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Neue Fasern für PSA 23. November 2010

Weg vom „Marsmensch“-Image

Rund ein Drittel aller 16 deutschen Textilforschungsinstitute sind mit zum Teil Aufsehen erregenden Forschungsergebnissen im Sektor Berufsbekleidung direkt am Umsatzwachstum beteiligt. Nach Mitteilung des Forschungskuratorium Textil (FKT) ist Deutschland heute dank neuer Fasermischungen und innovativer Textileigenschaften wie UV-schützend, antistatisch, stichsicher oder leuchtend bei Persönlichen Schutzausrüstungen (PSA) führend in der Welt.

Multifunktional und jenseits vom „Marsmenschen“-Image: Persönliche Schutzausrüstung ist ein Zukunftsmarkt.
Multifunktional und jenseits vom „Marsmenschen“-Image: Persönliche Schutzausrüstung ist ein Zukunftsmarkt.

Das Thema wurde von der Politik inzwischen als Wirtschaftszweig mit Lead Market-Qualitäten erkannt und wird als einer der Zukunftsmärkte von der EU-Kommission gefördert.

Dass sich Berufskleidung überdurchschnittlich gut entwickelt, belegen zudem die aktuellen Zahlen vom intex Industrieverband Textil Service e. V., dem wichtigsten Zusammenschluss textiler Dienstleister. Danach verzeichnete die Sparte in den Jahren 2007/08 ein Umsatzwachstum um 8,5 bzw. 7,8 Prozent im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr. 2008 wurden 1,17 Mrd. Euro umgesetzt; Berufsbekleidung und dort vor allem Persönliche Schutzausrüstung gelten als umsatzstärkste „Zugpferde“, hieß es.

„Tragbare Spezialbekleidung mit immer neuen Schutzkomponenten sind strategische Umsatzbringer – in Deutschland und auf dem Weltmarkt“, sagt FKT-Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen. Vorwettbewerblich durch das Programm Industrielle Gemeinschaftsforschung mit Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums gefördert, würden die Neuerungen aus den Instituten u. a. in Chemnitz, Denkendorf, Greiz, Hohenstein und Krefeld von der Industrie schneller als in anderen Bereichen üblich aufgenommen und in neue Produkte überführt – zum Beispiel neue Schutzanzüge für die Feuerwehr.

Problemlösung Tragekomfort

Feuerwehrleute, die zu einer Massenkarambolage auf der Autobahn gerufen werden, sind angesichts der Geschehnisse am Unfallort nicht nur extremen psychischen Belastungen ausgesetzt. Sie leisten auch physisch Schwerstarbeit in Spezialkleidung, die sie vor Wetter, Hitze, Flammen und Chemikalien schützt. Doch die zwingend vorgeschriebene PSA war bisher eher dick, steif und zudem oft auch noch zu eng. „In den Sommermonaten werden die Rettungskräfte in dieser Montur regelrecht gekocht“, beschreibt Rudolf Küttelwesch, ehemaliger technischer Geschäftsführer der MEWA Textil-Service AG & Co. Management OHG in Wiesbaden, das Dilemma. Das Beispiel verdeutlicht, dass es noch großen Entwicklungsbedarf und aus unternehmerischer Sicht viele ungehobene Schätze rund um das Generalthema Berufskleidung gibt.

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Laut Küttelwesch dominierte bei PSA über viele Jahre die Monofaserkultur – mit in der Regel schweren, kaum luft- und wasserdampfdurchlässigen, die Bewegung einschränkenden Gewebe-„Rüstungen“. Große Textildienstleister führten daher mit Gewebeherstellern und Forschungsinstituten Versuche durch, verschiedene Fasern miteinander zu kombinieren. Herausgekommen sind Textilien, die überaus innovative Möglichkeiten bei der praxisnahen Gestaltung und Anpassung professioneller Schutzkleidung zulassen. Die neuen, weitaus leichteren und weicheren Materialien besitzen eine noch höhere Resistenz gegen Hitze und Flammen, bieten zugleich Schutz vor aggressiven Chemikalien oder Schnittverletzungen. Und sie verfügen zudem über antistatische Eigenschaften.

Dank neuester Forschungsergebnisse müssen Mitarbeiter in Schutzanzügen z. B. für hitzeexponierte Industriearbeiten nach den Worten von Küttelwesch nicht mehr wie „Marsmenschen“ herumlaufen. „Durch die innovativen Gewebe sind PSA deutlich leichter mit nie dagewesenem Tragekomfort.“ Schutzkleidung, so seine Vision, werde fortan multifunktional sein und mehrere Schutzarten vereinen: Sie schützt zugleich vor Hitze, aggressiven Stoffen, zeichnet sich durch eine besonders große „Visibility“ aus und besitzt darüber hinaus eine nahezu perfekte Passform.

Quednau: PSA im Megatrend

Neben Küttelwesch gehört FuE-Unternehmensberater Wolfgang Quednau aus Mönchengladbach zu den führenden deutschen Experten in Sachen Berufsbekleidung. Für den Diplomingenieur, der Mitglied in Normungsgremien ist und der PPE (= PSA) Expert Group der Europäischen Kommission angehört, fängt die Entwicklung erst richtig an. „Mit neuen Fasermischungen können wir jetzt Schutzausrüstungen passgenau auf die Bedürfnisse der Anwender zuschneiden“.

Immer öfter rückten dabei Spezialkonfektionen in den Mittelpunkt des Interesses, so für hoch gefährliche Bereiche, für die es bisher nur unzureichende Schutzkleidung auf dem Markt gab. Jüngstes Beispiel: Eine Hitze- und Flammschutzkleidung, die für das „heiße Ende“ in der Glasproduktion konzipiert wurde, um Verbrennungen an den Unterarmen durch Kontakt mit glühendem Glas zu vermeiden. Quednau war es auch, der eine maßgeschneiderte Heißmehl-Schutzkleidung für den Einsatz in der Zementherstellung mit konzipierte. Infolge des neuen Hybridgewebes ist der Anzug ungleich bequemer als der zuvor gebräuchliche, sperrige „Raumanzug“.

Es tut sich also einiges in diesem kleinen Segment, das im Begriff ist, sich dem stereotypen Blaumann-Image zu entziehen. Gerade der PSA-Bereich ist für Quednau stark im Kommen. „PSA sind der Wachstumsmarkt schlechthin.“ Quednau, der von einem „Megatrend seit Anfang des Jahrzehnts“ spricht, ist gewiss: Die zunehmende Durchsetzung/Implementierung der verschiedenen EN-/ISO-Normen in Verbindung mit neuen textilen Materialien bietet ein großes Zukunftspotenzial.

Doch nicht die USA, sondern Europa sei weltweit zum innovativen Schrittmacher dieses Zweigs geworden. „Es gibt kein weiteres Land, dass sich so stark auf PSA fokussiert hat wie Deutschland“. Europaweit machten PSA bereits 12 Prozent des Gesamtmarktes Berufsbekleidung mit den Schwerpunkten Hitze- und Flammschutz bzw. Warnschutz aus, bilanziert der Berufsbekleidungs-Experte.

Schutzbekleidung von morgen

An der Schutzbekleidung für die nächsten Jahre arbeiten Textilproduzenten, -dienstleister wie auch Forschungsinstitute gemeinsam. Erst kürzlich stellte eine Innovationsbörse der Hohenstein Institute (Baden-Württemberg) einige Zukunftstrends vor.

1. Eine Arbeitsbekleidung, die neben hohem UV-Schutz und langer Gebrauchseignung einen hohen Tragekomfort aufweist. Die Projektbeteiligten präsentierten drei UV- Schutzshirts, die auf unterschiedliche Belastungen (Sonne, Arbeitsbereich) und Anforderungen (z.B. Warnfarbe) ausgelegt sind.

2. Ein anderes Vorhaben konzentriert sich auf die Herstellung funktionell gewirkter und gestrickter Flächen für industriell waschbare Pflegepersonal- und Ärztebekleidung mit tragephysiologisch „angenehmen“ Eigenschaften. Sie sollen eines Tages die konventionellen Polyester-/Baumwolle-Gewebe ersetzen.

3. Eine besondere technische Herausforderung ist eine sensorische Schutzausrüstung für die Forstarbeit mit Motorsägen. Es handelt sich um eine intelligente, sensoraktive Schnittschutzhose, die die Arbeit mit gefährlichen Maschinen sicherer machen soll: Bei einer Auslösedistanz von 5 Zentimetern wird die Motorsäge automatisch gestoppt.

4. Vielversprechend ist auch eine in Kooperation zwischen Hohenstein und dem Sächsischen Textilforschungsinstitut entstandene Materialkombination, die zu einer erheblichen Verbesserung des hautsensorischen Tragekomforts (geringe Klebeneigung auf der Haut, hohe Durchlässigkeit) beitragen soll.

Mehr Informationen rund um das Thema Sicherheitsschuhe finden Sie hier: Dossier Sicherheitsschuhe: Schutzausrüstung für die Füße.

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