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Konvergenz der Gewerke

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Onvif für den Massenmarkt?

Gerade was den Privatanwender angeht, mahnt Torsten Anstädt von Axxonsoft allerdings zur Besonnenheit: „Wenn wir die breite Zielgruppe des Massenmarktes erreichen wollen, muss die Bedienung wirklich einfach sein – man braucht weniger Features, aber die Bedienoberfläche muss sehr gut gestaltet sein. Wir sprechen schließlich eine ganz neue Zielgruppe an, die viel intuitivere Handhabung gewöhnt ist. Wir können natürlich auch abwarten, bis ein großer IT-Anbieter einsteigt und mit einer solchen Lösung an uns vorbeizieht.“

Einen weiteren Unterschied zwischen diesen Märkten sieht Thomas Probian von Bosch in der Wahl des Standards: „Wenn wir mehr auf den Massenmarkt schauen, spielt Onvif auch wieder eine Rolle, denn hier setzt man auf verbreitete Standards, wie Webservices, auf. Die Standards aus der Gebäudetechnik, wie etwa Bacnet und OPC, werden vermutlich im projektgetriebenen Markt der komplexen Systeme bleiben. Aber die Schnittstellenoffenheit über Webservices, welche in Onvif nun verwendet, und die auch bei Zutritt kommen werden, ermöglichen natürlich eine größere Akzeptanz und Verbreitung. Die Voraussetzungen dafür sind durch Onvif geschaffen.“

Nur noch Alleskönner?

„Wir reden über ein sehr großes Spektrum: Von den sehr großen und komplexen Systemen bis hin zu den Kleinstanwendungen. Ich glaube, dass die Videotechnik überall ein Teil sein kann. Und warum soll die Videotechnik nicht in die Brandmeldeanlagen integriert werden, damit die Feuerwehr im Brandfall darauf zugreifen kann? Außerdem sind wir mit der Videotechnik längst nicht mehr auf die klassischen Überwachungsaufgaben beschränkt, sondern können viel mehr bieten. Und das ist auch gut so, denn der Videomarkt würde sonst irgendwann zu eng werden.“
Dr. Magnus Ekerot, CSO, Mobotix AG

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„Ich denke, dass trotz umfassender Integration immer noch die Stärken der einzelnen Themen wichtig bleiben. Es ist ähnlich wie in der Küche: Wenn man zum Beispiel einen Käsehobel mit einem Kartoffelschäler vergleicht, stellt man fest: Beide sind von der Konstruktion her sehr ähnlich. Trotzdem würde man sich schwer tun, mit dem Käsehobel Kartoffeln zu schälen. Man könnte sich natürlich vorstellen, dass man diese beiden Funktionen in einem Werkzeug vereinigt, aber vermutlich ist es doch besser, für jede Aufgabe ein ideales Werkzeug zu haben.“
Stephan Beckmann, Regional Manager, Central Europe, Tyco Security Products EMEA

„Es geht künftig um die generelle Frage: Wollen wir als Video-Experten allein auf unserer Insel bleiben oder können wir in absehbarer Zeit integrative Systeme liefern? Dabei ist nicht unbedingt entscheidend, ob man Hersteller oder Systemhaus ist. Es könnte ja sein, dass der Eine oder Andere seine Neigung zur Zutrittskontrolle entdeckt und das in Zukunft als ein Add-on für das Portfolio des Unternehmens betrachtet.“
Heinz-Joachim Wilke, Geschäftsführer, ES Consulting e.K.

Die Voraussetzungen auf technischer Seite mögen also durchaus gegeben sein. Und auch die Anwender dürften sich schnell an vernetzte und intuitiv bedienbare Sicherheitstechnik gewöhnen. Aber wie sieht es mit den Markteilnehmern aus: Müssen Hersteller, Errichter und Händler bald ebenso wie die Technik wahre Alleskönner sein? Ralf Balzerowski von Samsung Techwin ist da noch skeptisch: „Wenn man als Video-Errichter eine übergreifende Anlage installieren soll, kann man zwar die ganzen Videokomponenten von einem Händler kaufen und erhält dort auch Support – aber die Komponenten der Zutrittskontrolle muss man sich aus anderen, bisher unbekannten Quellen besorgen. Auf der anderen Seite gibt es die Zutrittskontroll-Errichter, die vielleicht auch noch Einbruchmeldetechnik mit anbieten, die aber mit Video nichts zu tun haben. Das wird vor allem bei den mittleren Projekten schwierig, weil es von der Struktur des Marktes behindert wird.“

Bertrand Völckers von Flir CVS sieht auch aufseiten der Hersteller keinen flächendeckenden Trend, künftig zur „eierlegenden Wollmilchsau“ zu mutieren: „Je nach Hersteller ist tatsächlich die Philosophie sehr unterschiedlich, ob man gewerkeübergreifende Lösungen anbieten kann und will. Es spielt dabei auch eine Rolle, wie groß ein Anbieter ist, wie international er aufgestellt ist und welchen Marktbereich er schließlich bedient. Natürlich arbeiten viele enger zusammen, aber ich denke, es wird auch in Zukunft zahlreiche Hersteller geben, die spezialisiert bleiben.“

Ähnlich sieht es Heinz Schoon von Geutebrück: „Wir brauchen auch nach wie vor die Spezialisten für die einzelnen Bereiche, man kann gar nicht alle Gewerke allein abdecken. Denn man findet schlichtweg keinen, der sich überall auskennt. Als Hersteller ist man auch auf die Errichter angewiesen, die qualifiziertes Personal haben, welches die Systeme installiert und wartet.“

In der Qualifikation liegt der Schlüssel, meint auch Ralf Balzerowski: „Falls die Vertriebler oder Produktmanager bisher nur Videovertrieb gemacht haben, dann wissen sie logischerweise oft gar nicht, was man alles an einer Tür berücksichtigen muss. Es ist eben nicht nur damit getan, außen einen Leser anzuschrauben und mit einem elektrischen Türöffner zu verbinden. Man sieht es auch daran, dass die Zutrittskontrollsysteme der großen Hersteller hauptsächlich unter dem Punkt der Administration vermarktet werden.“

Hindernis Ausschreibung

Ein weiterer Punkt, der der technischen Integration noch etwas hinterher hinkt, betrifft die Ausschreibungen. Hier scheint der Gedanke der Vernetzung und Verschmelzung zumindest vordergründig noch nicht angekommen zu sein. Thomas Probian hat den Markt beobachtet: „Ich sehe bei Ausschreibungen immer wieder, dass es oft noch einen eindeutigen Fokus gibt, sei es Zutritt oder Video. Natürlich werden häufig Zutrittskontrollanlagen ausgeschrieben, die eine Videoverifikation besitzen, aber es wird kaum eine Videoanlage ausgeschrieben, die die vollintegrierte Zutrittskontrolle mit fordert.

Und die Videoeinbindung in ein Zutrittskontrollsystem ist viel einfacher, als die komplexe Integration eines Zutrittskontrollsystems in ein Videomanagement-System.“ Martin Scherrer pflichtet bei: „Es ist in der Tat immer noch so, dass sehr oft Video und Zutritt getrennt ausgeschrieben werden. Es wird keine Interoperabilität verlangt, es wird nicht gefordert, dass eine Dome-Kamera automatisch umschwenken muss, wenn sich jemand an der Tür anmeldet. Solche Forderungen kommen dann höchstens im zweiten Schritt, wenn es um die konkrete Anwendung geht – es ist nicht so, dass man das gleich funktional ausschreibt.“

Es gilt also sowohl seitens der Hersteller wie auch der Kunden Einiges zu berücksichtigen, wenn man den Trend zur Verschmelzung wirklich für sich nutzen möchte. Dass es in Zukunft aber nur noch Einheitssysteme geben wird, die alles gleichermaßen perfekt beherrschen, ist mehr als unwahrscheinlich. Gleichermaßen utopisch wäre es, von Herstellern und Errichtern zu erwarten, dass sie von heute auf morgen in jedem Gewerk heimisch werden. Letztlich wird die Verschmelzung ein schleichender Prozess werden, den die Beteiligten im Auge behalten sollten. Heute jedenfalls scheint das unweigerliche Ende der Inseln noch nicht gekommen, dafür sind sie mit zahlreichen „Brücken“ und „Fährverbindungen“ effektiv miteinander verbunden.

Michael Gückel
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