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Knackpunkt Qualifikation

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Klassen von Ausschreibungen

Oft kommt es jedoch auf Vielfalt und auf Neutralität an – nämlich dann, wenn es eine Ausschreibung im Vorfeld eines Projektes gibt. Die Erfahrung zeigt, dass in fast jedem Unternehmen Projekte ab einer gewissen Größenordnung ausgeschrieben werden müssen. Meist mit dem Ziel, die Investitionen zu reduzieren und eine bestmögliche Transparenz des Angebots herzustellen. Praktisch gesehen, kann die Qualität von Ausschreibungen aber beliebig weit auseinander liegen, wie Frank Schille weiß: „Es gibt grundsätzlich drei Typen von Ausschreibungen.

Stephan Beckmann, Product Marketing Manager Video, Tyco Security Products EMEA
Edwin Roobol, Geschäftsführer, Axis Communications GmbH

Erstens die gut gemachten, an denen ein qualifizierter Planer beteiligt war. Bei denen müssen wir als Hersteller dann auch einiges leisten. Dann gibt es zweitens die Kategorie der katastrophal schlechten Ausschreibungen. Das sind die Fälle, die später teuer für den Kunden werden, weil dort geballte Inkompetenz vorhanden ist. Der dritte Typ sind im weitesten Sinne vom Hersteller geschriebene Ausschreibungen. Dort findet man die typischen Textbausteine mit bestimmten Alleinstellungsmerkmalen wieder, die es für andere schwierig machen, dort etwas Vernünftiges anzubieten. Das ist nicht im Kundeninteresse. Man muss also klarmachen, dass nur optimale Fachplanung dafür sorgt, dass der Anwender am Ende etwas Funktionierendes und wahrscheinlich auch Günstiges bekommt.“

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Andreas Wolf ergänzt: „Nach meiner Erfahrung sind etwa zwei Drittel aller Ausschreibungen mehr oder weniger unbrauchbar. Dort werden Dinge gefordert, die nicht funktionieren können, weil wegen mangelnden Know-hows falsche Annahmen getroffen wurden. Auf diese Weise wird dann ein Fantasie-Produkt gebildet, dass keiner der Hersteller liefern kann, weil jeder eine eigene Philosophie und eigene Technologie hat.“

Neutralität als Lösung?

Aber auch das Streben nach größtmöglicher Neutralität und Herstellerunabhängigkeit muss nicht zum Idealergebnis führen, wie Stephan Beckmann weiß: „Aus dem Anspruch, Ausschreibungen möglichst neutral zu formulieren, leiten sich ebenfalls viele Missverständnisse ab. Der Kunde hat eine Vorstellung, wie er eine gewisse Passage versteht, der Anbieter hat wiederum eine andere Vorstellung, wie er dieselbe Passage versteht. Und beide haben theoretisch erst einmal recht. Merken wird man die Diskrepanz leider erst, wenn das Projekt abgeschlossen ist und diese verschiedenen Meinungen aufeinander treffen.“

Peter Reithmeier vom Verband für Sicherheitstechnik erklärt, warum es häufig solche Missverständnisse gibt: „Wenn wir uns die ganze Kette ansehen, müssen wir beim Auftraggeber beginnen. Und welcher Auftraggeber ist überhaupt bereit, sich so tief in die Sache hinein zu denken? Der Anwender weiß häufig nicht sehr viel über die Technik und wird von vielen Seiten beeinflusst. Sehr häufig wenden sie sich dann an einen Hersteller, dessen Name groß genug ist oder der weit genug verbreitet ist. Das ist dann oft schon eine Vorentscheidung.“

Und Stephan Beckmann ergänzt: „Das Verständnis hängt immer auch von der Zielgruppe ab. Bei Großprojekten oder Hochsicherheitsanwendungen ist in aller Regel technisches Know-how und auch Verständnis für Sicherheitskonzepte vorhanden. Aber im mittleren Projektbereich gibt es meiner Meinung nach die größten Lücken. Gerade hier versuchen viele Verantwortliche, Projekte ganz alleine und ohne Hilfe eines Planers ausschreiben und umsetzen. Das ist häufig ein Trugschluss, der auch finanziell ordentlich wehtun kann.“

Unabhängig zertifiziert

Diese teilweise konfuse Ausschreibungspraxis könnte auch damit zusammenhängen, dass verbindliche Vorgaben und Regelungen für Videoanlagen weitgehend fehlen und auch die Ausbildung und Qualifizierung hier weder vereinheitlicht noch geprüft sind. Dabei gäbe es durchaus Vorbilder, wie Christian Werner ausführt: „Bei Brandmeldeanlagen muss das Ingenieurbüro zertifiziert sein, wenn es eine Anlage planen will.“

Dennoch gibt er auch zu bedenken, dass hier die Praxis den Wunschvorstellungen manchmal etwas hinterher hinkt: „Wenn der Ingenieur nämlich gerade keine Zeit hat, greift er auch schon mal auf die Unterstützung eines Herstellers zurück. Deswegen kann eine Zertifizierung allein nicht immer die ideale Lösung garantieren.“ Harald Zander sieht auch einen Unterschied zwischen Brandmelde- und Videotechnik: „Bei Brandmeldeanlagen ist man viel eher bereit, einen Spezialisten zu Rate zu ziehen. Anders als bei Videotechnik, bei der jeder durch bekannte Consumer- und Medien-Produkte wie TV und Foto glaubt, sich Bestens auszukennen und sich den Fachberater einspart.“

Dennoch bleibt die Perspektive interessant, auf absehbare Zeit eine unabhängige Zertifizierung für Planer in der Videotechnik zu etablieren, wie auch Peter Reithmeier findet: „So etwas ließe sich bestimmt sehr erfolgreich in Zusammenarbeit mit den Handelskammern verwirklichen. Die IHKs haben auch die Fachkraft für Sicherheit mit Begeisterung aufgenommen. Das betrifft zwar eine andere Ebene der Qualifikation, aber diese Ausbildung ist mittlerweile sehr beliebt. Ich könnte mir vorstellen, dass man bestimmt auch daran interessiert ist, dies auf die nächsthöhere Ebene zu heben. Am Ende könnten wir einen zertifizierten oder diplomierten Fachplaner für Videotechnik haben, der die Planung der Anlagen professionalisiert und dafür sorgt, dass es mehr zufriedene Kunden gibt.“

Schleichender Prozess

Der Weg zu mehr Know-how auf allen Seiten ist ein langer – und im Grunde ist dieser Weg gleichzeitig auch das Ziel, denn einen Endstand wird es angesichts der Vielfalt der Anwendungen und der Weiterentwicklung der Technik nie geben. Udo Kürzdörfer von Funkwerk Plettac ist überzeugt: „Gerade die Vielschichtigkeit in unserem Markt verhindert, dass es so etwas wie das Idealprojekt überhaupt gibt.

Es ergibt sich immer eine mehr oder weniger tragfähige Konstellation aus der Erwartungshaltung des Kunden, dem Preisdruck am Markt und der Qualifikation der Planer und Errichter. Womöglich sind auch Zertifizierungen sinnvoll, aber sie dürfen niemals endgültig sein, denn die Technik wird immer komplexer, so dass die Weiterbildung ein unaufhörlicher Prozess sein muss.“ Fundiertes und aktuelles Wissen wird künftig mehr denn je gefragt sein. Für Planer, die das Bindeglied zum Kunden sind, ist das Know-how die Basis für ihr Angebot. Nur wenn sie dem Kunden einen Mehrwert bieten, wird ihre Leistung in Anspruch genommen und angemessen bezahlt werden.

Michael Gückel
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