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Mehr Schein als Sein?

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Vielseitig anwendbar

Damit wäre deutlich, dass die jeweilige Anwendung entscheidet, wie sich Videoanalyse in der Praxis gestaltet. Neben den klassischen Anwendungsfeldern in Hochsicherheitsbereichen oder beim Perimeterschutz eröffnen sich durch die gesunkenen Kosten und die gesteigerte Rechenleistung der Geräte auch andere Anwendungsfelder neben der Sicherheit. Zur Dokumentation und anschließender Suche findet sie vor allem in der Logistik sehr häufig Anwendung, wie Andreas Wolf von Dallmeier Electronic beschreibt: „Im Logistiksektor wird die Technik sehr viel genutzt, um Paletten und Kartons wieder zu finden, auf denen vielleicht kein Aufkleber drauf war oder die aus irgendwelchen Gründen nicht gescannt wurden. Aber man muss sagen, dass das noch kein sehr großer Markt ist, weil die meisten in der Branche bisher nicht viel dafür ausgeben wollten.“

Jan Schwager, Leiter Geutebrück Akademie, Geutebrück GmbH
Frank Marcus Schille, Geschäftsführer, Schille Informationssysteme GmbH
Heinz-Joachim Wilke, Geschäftsführer, ES Consulting e.K.
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Stephan Beckmann schildert ein weiteres Anwendungsfeld: „Im Retail-Bereich kann es sehr interessant werden. Dort lassen sich Algorithmen nutzen, um Kunden zu zählen und auch um ihre Bewegungen im Laden zu analysieren. So kann man herausfinden, ob die Präsentationen gut aufgestellt sind und auf Resonanz bei den Kunden stoßen. Oder man detektiert, wenn Regale plötzlich leer sind.“

Hier sieht auch Edwin Roobol einen Mehrwert: „Diese Technik hilft dem Einzelhandel, mehr Umsatz zu machen, den Service zu verbessern oder auch das Personalmanagement zu optimieren.“ Und Dirk Brand ergänzt: „Viele der Anwendungen werden auch nicht nur im klassischen Sinne genutzt. Die Nummernschilderkennung beispielsweise wird von vielen Betreibern als Marketing-Instrument verwendet. Auf diese Weise kann ein Einkaufzentrum herausfinden, wie groß sein Einzugsgebiet ist und woher seine Kunden kommen. Anschließend lässt sich in den Regionen gezielt Werbung schalten. Dieses Prozedere ist auch denkbar für große Baumärkte, Wellness-Einrichtungen oder Freizeitparks.“

Damit wäre ein weiterer Bereich angesprochen, in dem Videoanalyse positive Effekte haben kann. Achim Hauschke rät: „Auch bei der Verkehrsoptimierung kann eine Videoanalyse durchaus sinnvoll sein. Man kann sie zur Verkehrsleitung oder Tunnelüberwachung einsetzen oder aber – wenn man die Möglichkeit hat, zwischen verschiedenen Objekten, wie Personen, Gruppen von Personen, Fahrzeugen und dergleichen, zu differenzieren – auch zur Auswertung allgemeiner Bewegungsmuster für die Verkehrs- oder Personenzählung.“ Albert Unterberger sieht überdies auch Anwendungen im Brandschutz: „Nehmen wir einmal die Feuer- und Rauchdetektion mittels Video. Da geht es manchmal auch darum, eine Meldung zu bekommen, noch bevor die Brandmeldeanlage anspricht. Man kann so unter Umständen bis zu drei Minuten Vorsprung gewinnen – was zum Beispiel in Tunnels schlichtweg entscheidend sein kann.“

3D nicht gleich 3D

Bei der Frage nach der Zukunft und den Perspektiven der Videoanalyse kommt man früher oder später auch auf die in der Consumer-Technik momentan sehr beliebte 3D-Technik zu sprechen. Im Zuge des allgemeinen Trends, Technik und Funktionen aus der Welt des Home-Entertainments für die Videoüberwachung zu adaptieren, stellt sich die Frage, wann auch dreidimensionale Bilder und Analysemethoden Einzug halten werden. Doch hier ist die Branche skeptisch.

Klaus Middelanis erklärt: „Das 3D, das wir aus dem Kino kennen, lässt sich für Sicherheitsanwendungen nicht vernünftig einsetzen, denn es orientiert sich am normalen Augenabstand. Damit lässt sich vielleicht die Tiefe von drei bis acht Metern räumlich abbilden, in der sich die Schauspieler normalerweise bewegen, aber für eine Tiefe von 30 oder 40 Metern müsste man die Kameras sehr weit auseinander stellen. Dafür eignet sich die Consumer-Technik einfach nicht.“

Jan Schwager hält diesen Ansatz ebenfalls für wenig aussichtsreich: „Dem Betrachter auf einem 3D-Monitor ein wie auch immer geartetes stereoskopisches Bild zu bieten, ist für uns doch vollkommen irrelevant. Es geht nicht darum, den Wachmann später mit der 3D-Brille dasitzen zu haben. Es sind eher die Nebeneffekte, die wir vielleicht für die Analyse nutzen können.“

Udo Kürzdörfer sieht es ähnlich. „Es wird auch niemand einen solchen Aufwand treiben, nur um einen räumlichen Eindruck zu bekommen. Wenn ich bei der Videoüberwachung keinen echten Mehrwert bringen kann, damit der Kunde besser überwachen kann und demzufolge auch mehr investiert, wird sich das nicht durchsetzen.“ 3D sei auch nicht gleich 3D, gibt Achim Hauschke zu bedenken: „Man darf die dreidimensionale Betrachtungsweise in Form von Stereoskopie nicht verwechseln mit der 3D-Klassifizierung von Objekten in der Analyse, die wir ja schon haben und die die Größenverhältnisse mit in die Berechnung einbezieht.“

Differenzieren lernen

Mit Schlagworten kommt man also nicht weit, wenn man ernsthaft Analyse planen und einsetzen will. Das muss auch den Kunden bewusst werden, die noch zu oft auf Marketingversprechen vertrauen und die Grenzen beim praktischen Einsatz nicht kennen. Klaus Middelanis berichtet: „Man bekommt immer wieder Anfragen nach PTZ-Kameras im Zusammenhang mit Bewegungserkennung für die Überwachung eines ganzen Parkplatzes. Dort soll man dann unterscheiden zwischen einer Person, die einen Meter vor der Kamera steht und einer, die 50 Meter entfernt ist – und das möglichst noch, während sich die Kamera bewegt. Da muss man es auf das Machbare reduzieren, obwohl sich die Videoanalyse in den vergangenen 20 Jahren natürlich erheblich verbessert hat. Dennoch gilt nach wie vor: Wenn die Videoanalyse nicht vernünftig geplant ist und man exakte Vorgaben hat, geht es dennoch schief.“

Das Fazit kann nur lauten: Realismus ist auf allen Seiten oberstes Gebot. Die Werbung sollte nichts versprechen, was in der Praxis nicht gehalten werden kann und die Kunden sollten nicht auf das hoffen, was sie im Kino erleben. Die Leistungsfähigkeit der Komponenten und der Algorithmen steigt zwar immer weiter – jedoch muss dies nicht heißen, dass sich jede Vorstellung leicht umsetzen lässt. Es hilft nur, vorab genau zu definieren, welcher Zweck erreicht werden soll, und danach die Mittel zu wählen. Insgesamt hat Videoanalyse großes Potenzial, wenn man den vielfältigen Mehrwert erkennt und sie richtig zu nutzen weiß.

Michael Gückel
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