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Land in Sicht?

Seit Jahren werden deutsche Handelsschiffe in Krisenregionen der Weltmeere durch Piraten bedroht, besonders massiv vor den Küsten Somalias am Horn von Afrika - ein Einblick in die Gefährdungslage und die staatlichen Abwehrmaßnahmen.

Die jährliche Piraterieabwehr kostet mehr als fünf Milliarden US-Dollar.
Die jährliche Piraterieabwehr kostet mehr als fünf Milliarden US-Dollar.

In jüngster Zeit wird in der Politik heftig darüber diskutiert, ob die Schiffe durch deutsches Militär oder durch die Bundespolizei geschützt werden sollen oder ob man es den Reedern überlässt, ihre Schiffe durch eigene Einsatzkräfte oder Sicherheits-unternehmen schützen zu lassen, und ob es dazu rechtlicher Regelungen bedarf.

Weltweit ist die Zahl der Piratenüberfälle seit 2005 fast kontinuierlich angestiegen: von 276 auf fast 500 im Jahr 2010. Davon kam es bei 95 Angriffen zu Entführungen. Von den ungefähr 500 Überfällen ereignete sich fast die Hälfte (231) im Jahr 2010 am Horn von Afrika. In 31 Fällen waren deutsche Interessen betroffen, zumeist, weil die Schiffe unter deutscher Flagge fuhren.

Etwa seit Herbst 2010 setzen die Piraten nicht mehr nur gekaperte Dhows und Fischereiboote, sondern auch gekaperte Frachter als Mutterschiffe ein. Die Besatzungen der entführten Schiffe müssen für den Schiffsbetrieb sorgen und dienen zugleich als menschlicher Schutzschild gegen Zugriffsmaßnahmen von Marineeinheiten. Die Verwendung dieser Mutterschiffe vergrößert den Operationsradius der Piraten erheblich. Angriffe auf Schiffe, die mehr als 1.000 Seemeilen entfernt die somalische Küste passieren, sind keine Seltenheit (Lagebild Seesicherheit 2010 des BKA - Stand April 2011).

2011 wurden nach einer Studie von „Oceans Without Piracy“ 237 Schiffe angegriffen und 28 gekapert. Die Gesamtkosten der Piraterieabwehr betrugen nach dieser Studie 2011 rund 5,1 Milliarden US-Dollar, davon 160 Millionen für Lösegeldzahlungen und 20 Millionen zur Verbesserung der Lebensumstände in Somalia. 2,7 Milliarden US-Dollar wurden allein durch Erhöhung der Geschwindigkeit von Schiffen in High Risk Areas verursacht, weitere 1,3 Milliarden durch militärische Operationen.

Staatliche Maßnahmen zur Pirateriebekämpfung

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Der Staat ist an der militärischen Operation „Atalanta“ beteiligt, mit der die EU in den Gewässern am Horn von Afrika angreifende Piraten verfolgt. Derzeit sind 291 Soldaten der Bundeswehr mit dem „Einsatzversorger Berlin“ an der Operation beteiligt. Am 23. März haben die Außenminister der EU-Staaten beschlossen, die maritime Operation auf Küstengebiete Somalias (den „Strand“) auszuweiten, so dass die Ausrüstung der Piraten aus der Luft angegriffen werden kann. Vorgesehen ist, dass Boote, Treibstoff-, Munitions-, Waffen- und Nahrungsvorräte der Piraten am somalischen Strand mit Maschinengewehren von Hubschraubern aus zerstört werden, ohne dass Soldaten auf das Festland vordringen.

In einem Operationsplan muss daher zunächst der Begriff „Strand“ näher definiert werden, zumal zu erwarten ist, dass die Piraten durch örtliche Verlagerungen auf die Angriffsdrohung reagieren. Zudem haben die Minister beschlossen, den Begleitschutz für Transporte von Nahrungsmitteln für die somalische Bevölkerung auf UN-Schiffen zu flexibilisieren und Berater nach Somalia und Anrainerstaaten zu entsenden, um die Pirateriebekämpfung durch diese Staaten zu verstärken.

Schutzanspruch deutscher Reeder?

Einer Meldung der Welt Online vom 26.8.2011 ist die Position des Bundesministeriums des Innern (BMI) zu entnehmen, es gebe keine Schutzpflicht des Staates, eine „individuelle Begleitung“ von Handelsschiffen zu garantieren. Nach Artikel 2 des Grundgesetzes hat zwar der Staat jedes menschliche Leben zu schützen und sich schützend und fördernd vor diese Leben zu stellen. Wie die staatlichen Organe ihre Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des Lebens erfüllen, ist von ihnen aber grundsätzlich in eigener Verantwortung zu entscheiden.

Diese – auch auf der Grundlage der Gewährleistung des Eigentums in Artikel 14 Grundgesetz basierende – Schutzpflicht des Staates verpflichtet ihn jedenfalls, im Rahmen seiner Möglichkeiten rechtliche und tatsächliche Hindernisse auszuräumen, die es den Reedern erschweren, ihre Schiffe selbst mit angemessenen Mitteln zu schützen. Dem entspricht der Staat jetzt mit dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen. Die Bundesregierung möchte mit der Einführung eines speziellen Zulassungsverfahrens für Sicherheitsunternehmen erreichen, dass nur solche Unternehmen Seeschiffe vor Piratenangriffen schützen dürfen, die sicherstellen, dass die Geschäftsleitung, die Betriebsleitung vor Ort und die eingesetzten Mitarbeiter fachlich und persönlich geeignet und zuverlässig sind. Alle näheren Einzelheiten der Anforderungen (einschließlich der Ausbildung des Personals, der technischen Ausrüstung und der Gewährleistung der Einhaltung der waffenrechtlichen Vorschriften) und des Verfahrens sind in einer Rechtsverordnung des BMWi im Einvernehmen mit BMI und Bundesministerium für Verkehr, Bau und und Stadtentwicklung (BMBV) zu regeln.

Das geplante unternehmensbezogene Zulassungsverfahren orientiert sich eng an den Leitlinien der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) für den Einsatz von privaten bewaffneten Sicherheitskräften. Die Sicherheitsunternehmen bleiben in ihren Befugnissen auf die „Jedermannsrechte“ wie Notwehr, Notstand und Selbsthilfe beschränkt.

Die Einführung des geplanten Zulassungserfordernisses soll durch eine Änderung der Seeeigensicherungsverordnung ergänzt werden. Diese wird den Reedern nur den Einsatz von durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zugelassenen Sicherheitsunternehmen auf Schiffen unter deutscher Flagge erlauben.

Ressourcenproblem

Die Bekämpfung eines Piratenangriffs ist grundsätzlich eine polizeiliche Aufgabe. Zuständig für einen Zugriff auf ein gekapertes Schiff mit dem Ziel der Befreiung der Geiseln ist nach Verfassungsrecht die Bundespolizei. Dieser Verantwortung hat sich die Polizei im Fall der gekaperten Stavanger auch gestellt, wenngleich der Zugriff durch die GSG 9 in der konkreten Situation aus taktischen Gründen nicht erfolgt ist. Gegen die Übernahme des präventiven Schutzes jedes unter deutscher Flagge fahrenden Schiffes sprechen aber tatsächlich folgende Gründe:

  • Der Bundespolizei fehlen die erforderlichen personellen Ressourcen. Nach ihren Berechnungen bräuchte sie 1.600 bis 1.800 Einsatzkräfte, um jedes unter deutscher Flagge fahrende Schiff durch die Gefahrenzone am Horn von Afrika zu begleiten.
  • Es mangelt auch an den notwendigen finanziellen Ressourcen. Die Bundespolizei hat ausgerechnet, dass die präventive und repressive Bekämpfung der Piraten vor der Küste Somalias und im indischen Ozean jährlich etwa 150 Millionen Euro kosten würde und weitere 50 Millionen Euro zum Aufbau der Mission vor Ort nötig wären.
  • Die Bundespolizei müsste eine Vielzahl von Einsatztrupps bilden, die fernab vom Verband und seiner Logistik auf sich gestellt und möglicherweise im Konflikt mit der Entscheidungsbefugnis des Kapitäns operieren.

Ministerialdirektor a.D. Reinhard Rupprecht ist freier Sicherheitsberater

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