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EHI-Studie 16. August 2012

Niveau der Inventurverluste stagniert

Im gesamten deutschen Einzelhandel summieren sich die Inventurdifferenzen auf 3,8 Milliarden Euro. Nach wie vor verursachen unehrliche Kunden hiervon rund 1,9 Milliarden Euro, den eigenen Mitarbeitern werden 800 Millionen angelastet.

Durchschnittlich wird jeder 200. Einkaufswagen an der Kasse nicht bezahlt.
Durchschnittlich wird jeder 200. Einkaufswagen an der Kasse nicht bezahlt.

Statistisch betrachtet stiehlt jeder deutsche Haushalt jährlich Waren im Wert von rund 50 Euro im Einzelhandel. Auf den Lebensmittelhandel projiziert bedeutet dies, dass rund jeder 200. Einkaufswagen unbezahlt die Kasse passiert.

Im Vergleich 2011 zu 2010 haben sich die Inventurdifferenzen im deutschen Einzelhandel insgesamt leicht verbessert. Jedoch gab es unterschiedliche Entwicklungen in einzelnen Branchen: Während Baumärkte und nahezu der gesamte Lebensmittelhandel im Durchschnitt ihre Inventurdifferenzen um rund zehn Prozent reduzieren konnten, hat der Bekleidungshandel, überwiegend bedingt durch schlechtere Inventurdifferenzen bei Bekleidungsfachgeschäften und -fachmärkten, eine Zunahme der Bestandsdifferenzen feststellen müssen. Bei Drogeriemärkten und im Möbelhandel gab es per Saldo fast keine Veränderungen.

Rendite geschmälert

Nach wie vor schmälert eine durchschnittliche Inventurdifferenz von 0,56 Prozent – bewertet zu Einkaufspreisen in Prozent vom Nettoumsatz – die Renditen im Einzelhandel. Bewertet zu Verkaufspreisen in Relation vom Bruttoumsatz entspricht dies in branchengewichteter Hochrechnung einem Wert von durchschnittlich 0,99 Prozent des Umsatzes. Als Orientierung können folgende Mittelwerte angegeben werden, obwohl ein direkter Vergleich von Inventurdifferenzen verschiedener Unternehmen nur bedingt möglich und sinnvoll ist:

Im Lebensmittelhandel (inklusive C&C-Märkte) liegen die durchschnittlichen Inventurdifferenzen bei 0,50 Prozent. Die C&C-Märkte schneiden traditionsgemäß mit Werten um 0,2 Prozent am besten ab. SB-Warenhäuser haben nunmehr mit 0,45 Prozent vom Nettoumsatz deutlich Verbesserungen erzielen können. Bei Supermärkten bis 2.500 Quadratmetern betragen die durchschnittlichen Differenzen 0,52 Prozent, während große Supermärkte im Schnitt 0,58 Prozent ausweisen. Drogeriemärkte liegen mit durchschnittlich 0,84 Prozent ungefähr auf Vorjahresniveau. Die beteiligten Baumarktunternehmen haben durchweg niedrigere Inventurdifferenzen feststellen können, 2011 durchschnittlich 0,76 Prozent.

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Im gesamten Bekleidungshandel sind die durchschnittlichen Inventurdifferenzen von 0,49 Prozent auf 0,51 angestiegen. Während die Bekleidungsfachgeschäfte (0,45 Prozent) und Textilfachmärkte (0,61 Prozent) höhere Verluste erlitten, konnten Textilkaufhäuser einschließlich Warenhausunternehmen ihre Inventurmankos mit 0,52 Prozent auf Vorjahresniveau halten. Die durchschnittlichen Inventurdifferenzen der beteiligten Möbelhäuser unterschiedlichster Sortimentsausrichtung konnten ihre Differenzen auf 0,31 Prozent vom Nettoumsatz leicht reduzieren.

Handel investiert in Sicherheit

Im Durchschnitt aller Branchen gibt der Handel rund 0,31 Prozent vom Umsatz für Sicherheitsmaßnahmen aus. Damit investiert er Jahr für Jahr rund 1,2 Milliarden Euro in Präventiv- und Sicherungsmaßnahmen, um seine Waren vor Diebstählen zu schützen. Im Fokus der Sicherheitsaufwendungen stehen verbesserte Warensicherungen und Kameraausstattungen sowie Schulungen zur Steigerung der Aufmerksamkeit von Mitarbeitern. Aufmerksames Personal, offene Kameraüberwachungen, Testkäufe und vor allem diebstahlhemmende Warenträger und Warensicherungen gewinnen aktuell weiter an Bedeutung. Permanente Datenanalysen zur Erkennung von diebstahlgefährdeten Artikeln und Schwachstellen gehören in über 80 Prozent der Unternehmen zum Alltag.

Die Gesamtkosten für Inventurdifferenzen und deren Vermeidung betragen jährlich 5 Milliarden Euro, die der Handel, wie alle Kosten, in seine Verkaufspreise einkalkulieren muss: Jeder ehrliche Kunde wird also bei jedem Kauf mit über einem Prozent des Kaufpreises an den Schäden der Ladendiebstähle beteiligt.

Zu den am häufigsten geklauten Artikeln gehören im Lebensmittelhandel nach wie vor kleine, teure Waren wie Rasierklingen, Spirituosen, Parfüm, Kosmetik und Tabakwaren. Im Bekleidungshandel werden vor allem Markenartikel bevorzugt, aber auch modische Artikel, Jeans, Jacken, Accessoires, sowie Dessous werden oft nicht bezahlt. Smartphones, Konsolenspiele, CDs, DVDs, Speicherkarten und Druckerpatronen gehören zu den „Klaurennern“ im Elektronikhandel.

Dunkelfeld: Polizeiliche Kriminalstatistik

Die polizeilich erfassten Ladendiebstähle haben 2011 mit 385.463 angezeigten Fällen um 0,6 Prozent abgenommen. Der stetige Rückgang der angezeigten Ladendiebstähle in der Polizeilichen Kriminalstatistik spiegelt offensichtlich nicht die tatsächlichen Verhältnisse wider. Die aktuellen Einschätzungen des Handels zur Kriminalitätslage stehen im Widerspruch zur Statistik. Durch die hohe Dunkelziffer von geschätzt weit über 98 Prozent besitzt die Statistik nur eine eingeschränkte Aussagefähigkeit.

Aus dem durchschnittlichen Schaden der angezeigten Diebstähle und dem tatsächlichen Schaden im Handel ergibt sich, dass täglich über 100.000 Ladendiebstähle mit je einem Warenwert von 65 Euro unentdeckt bleiben. Damit werden jährlich rund 30 Millionen Ladendiebstähle nicht entdeckt.

In allen Bereichen der Einzelhandelskriminalität erwarten die Händler eine Zunahme. In der subjektiven Wahrnehmung der Händler steht vor allem der organisierte Ladendiebstahl - im Sinne von Bandendiebstählen und Diebstählen auf Bestellung von professionell agierenden Tätergruppen – im Fokus, die bei jedem Zugriff wertmäßig hohe Schäden verursachen. Auch die zunehmende Gewaltbereitschaft potentieller Täter und der gewöhnliche Gelegenheitsdiebstahl durch Kunden bereiten den Einzelhändlern Sorgen.

Nach Einschätzung des EHI empfinden die meisten Handelsunternehmen die Zusammenarbeit mit der Polizei bei der Bekämpfung des Ladendiebstahls als gut. Die anschließende Strafverfolgung wird allerdings als unzureichend bemängelt. Einer Entkriminalisierung des Ladendiebstahls widerspricht der Handel vehement. Eine breitere öffentliche und politische Diskussion des Problemfeldes der Ladendiebstähle könnte zu einem stärkeren Unrechtsbewusstsein und einer größeren gesellschaftlichen Ächtung dieser Delikte beitragen.

Das akzeptable Niveau der Inventurdifferenzen stellt keinen Anlass dar, Investitionen und Aufwendungen für Präventiv-, Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen zu vernachlässigen. Über 80 Prozent der Unternehmen halten ihr Budget 2012 konstant, und weitere 13 Prozent stocken es sogar auf. Das Bedrohungspotenzial durch Kundendiebstahl und Mitarbeiterdelikte wird von den Unternehmen ernst genommen – wie die Einschätzungen der Handelsunternehmen zur Kriminalitätsentwicklung im Handel belegen. Auch wenn Vertriebsaspekte oft im Vordergrund stehen, sind Warensicherungs-, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen oft zwingend und gezielt einzusetzen. Oftmals kritische Medienberichte sollten Handelsunternehmen nicht davon abhalten, dort, wo es notwendig ist, unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der Persönlichkeitsrechte von Kunden und Mitarbeitern, die erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung von Diebstählen zu ergreifen.

Frank Horst, Leiter Fachbereich Sicherheit & Inventurdifferenz, EHI Retail Institute

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