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Wirtschaftskriminalität 20. August 2012

Nur die Drogenmafia ist schlimmer

Strukturen der Organisierten Kriminalität (OK) haben längst das „Geschäftsfeld“ Wirtschaftskriminalität entdeckt. Delikte zum Nachteil von Unternehmen rangieren in der Kriminalstatistik gleich hinter dem illegalen Rauschgifthandel, macht der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, im W&S-Interview deutlich.

Die globale Vernetzung wird zunehmend von Innentätern und kriminellen Strukturen missbraucht.
Die globale Vernetzung wird zunehmend von Innentätern und kriminellen Strukturen missbraucht.

W&S: Wirtschafts-kriminalität bedroht Menschen, Sachwerte, die gesamte Volkswirtschaft. Wie schätzen Sie dieses Phänomen ein?

Jörg Ziercke: Die polizeilichen Fallzahlen zeigen nur einen Ausschnitt des tatsächlichen Phänomens. So wurden in den letzten zehn Jahren in Deutschland rund 80.000 bis 100.000 Fälle der Wirtschaftskriminalität jährlich polizeilich registriert. Die Schadenssumme lag im Jahr 2011 bei 4,1 Milliarden Euro. Bei einem Anteil an der Gesamtkriminalität in Deutschland von nur 1,3 Prozent (79.515 Straftaten Wirtschaftskriminalität von knapp sechs Millionen Straftaten insgesamt) beläuft sich der Anteil an der Gesamtschadenssumme auf über 50 Prozent. Diese Dimension ist entscheidend und verdeutlicht das hohe Schadens- und Gefährdungspotenzial der Wirtschaftskriminalität.

Zudem ist das mittelbare Schadenspotenzial der Wirtschaftskriminalität sehr groß: Wettbewerbsverzerrungen, gesundheitliche Gefährdungen und Schädigungen Einzelner, Reputationsverluste von Unternehmen oder auch ganzer Wirtschaftszweige bis hin zu Vertrauensverlusten in die Funktionsfähigkeit der bestehenden Wirtschaftsordnung – um nur einige Folgen zu nennen.

Delikte im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben sind auch im Bereich der OK von zentraler Bedeutung – sie bildeten 2010 den zweitgrößten OK-Bereich nach der Rauschgiftkriminalität und verursachten knapp die Hälfte der durch OK insgesamt verursachten Schäden (737 Millionen Euro von 1,65 Milliarden gesamt).

W&S: Welche Erkenntnisse gibt es zum Dunkelfeld?

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Die Studie einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft kommt zu dem Ergebnis, dass 73 Prozent der befragten Unternehmen von Wirtschaftskriminalität betroffen sind. Dennoch werden den Strafverfolgungsbehörden aus Furcht vor Image- und Reputationsschäden viele dieser Straftaten nicht gemeldet. Insofern ist von einem hohen Dunkelfeld auszugehen.

Das BKA hat bereits 2008 zur Dunkelfeldforschung in den Phänomenbereichen Wirtschaftskriminalität und Korruption eine Literaturauswertung sowie eine Expertenbefragung durchgeführt. Ziel war es unter anderem, einen Überblick über die aktuelle Lage zur Dunkelfeldforschung in verschiedenen Bereichen der Wirtschaftskriminalität zu gewinnen. Die Auswertung kam zu dem Ergebnis, dass die Dunkelfeldforschung in diesem Umfeld insgesamt als defizitär zu bezeichnen ist.

Das BKA versucht, dieser Erkenntnis Rechnung zu tragen und berücksichtigt daher im Rahmen interner Forschungsprojekte zur Wirtschaftskriminalität immer wieder auch Aspekte des Dunkelfeldes. So wird beispielsweise derzeit in einem Projekt „Compliance-Systeme und ihre Auswirkungen auf die Verfolgung und Verhütung von Straftaten der Wirtschaftskriminalität und Korruption“ unter anderem untersucht, welche Faktoren Einfluss auf das Anzeigeverhalten von Unternehmen haben. Ziel muss es sein, Ansätze zu gewinnen, die das Anzeigeverhalten erhöhen und folglich das Dunkelfeld minimieren.

W&S: Welche Argumente könnten hier helfen, das Anzeigeverhalten zu verbessern?

Ziercke: Um Wirtschaftskriminalität effizient bekämpfen zu können, ist es erforderlich, dass die Straftaten den Strafverfolgungsbehörden angezeigt werden. Durch ein aktives Herantreten an die Strafverfolgungsbehörden macht ein Unternehmen deutlich, dass kriminelle Handlungen nicht geduldet werden. Ein Image- und Vertrauensschaden entsteht meist dann, wenn wirtschaftskriminelle Handlungen vom Unternehmen bewusst und gewollt den Strafverfolgungsbehörden nicht angezeigt und erst durch Dritte bekannt gemacht werden.

Auch in Fällen, in denen Unternehmen Opfer von Wirtschaftskriminalität geworden sind, zum Beispiel Produkt- und Markenpiraterie, geht von einer Strafanzeige die klare Botschaft aus, dass das Unternehmen die Verbraucher schützen will. Werden Wirtschaftsstraftaten nicht angemessen verfolgt und sanktioniert, wird der Eindruck erweckt, dass sich kriminelles Handeln lohnt. Dem müssen wir entschieden entgegen treten.

W&S: Laut Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2010 wird inzwischen bei mehr als jedem vierten Fall das Tatmittel Internet eingesetzt. Wie können sich die Unternehmen dagegen wappnen?

Ziercke: Es gibt heute kaum noch einen Kriminalitätsbereich, in dem sich die Täter nicht ausgefeilter Technik und des Internets als Tatmittel bedienen. Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden 2011 bei knapp 80.000 Fällen der Wirtschaftskriminalität insgesamt 11.605 Fälle registriert, bei denen das Internet als Tatmittel eine Rolle spielte, das heißt bei jeder sechster Wirtschaftsstraftat.

Dabei wird das Internet hauptsächlich im Betrugsbereich genutzt. Bei Geschäften, die über das Internet angebahnt, abgeschlossen beziehungsweise abgewickelt werden, muss die auch sonst gebotene Sorgfalt im Geschäftsleben praktiziert werden.

Auf der Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) finden sich zahlreiche Tipps und Hinweise. Darüber hinaus hat das BKA in Zusammenarbeit mit den Landeskriminalämtern „Handlungsempfehlungen für die Wirtschaft in Fällen von Cybercrime“ erarbeitet: Die Broschüre, die auf der BKA-Homepage www.bka.de veröffentlicht ist, gibt Unternehmen konkrete Hinweise zum Verhalten bei Cyber-Angriffen und soll zudem Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Anzeige solcher strafrechtlich relevanten Vorfälle nehmen.

W&S: Die „Global-Player-Initiative“ des BKA gilt als beispielhaft. Gibt es neue Entwicklungen?

Ziercke: An unserem ersten Zusammentreffen am 23. März 2006 nahmen 18 international aufgestellte deutsche Unternehmen teil. Heute kann ich 54 Global Player (GP) in unserem Kreis begrüßen; die Anträge von drei weiteren Unternehmen zur Aufnahme liegen vor. Mit dem über die Jahre gewachsenen gegenseitigen Vertrauen hat sich der Informationsaustausch in Sicherheitsfragen zwischen BKA und GP intensiviert. Der beim BKA eingerichtete Single Point of Contact hat sich, ebenso wie die festen Ansprechpartner auf Unternehmensseite, bewährt. Die Anzahl der Kontakte der Global Player zum BKA ist kontinuierlich gestiegen. Ich werte dies als Zeichen einer guten Zusammenarbeit.

Auf Basis der Anfragen aus Unternehmen haben wir Länderberichte zur Verfügung gestellt, Kontakte zu unseren weltweit eingesetzten Verbindungsbeamten vermittelt und Kontakte zu den verschiedenen Fachabteilungen des BKA hergestellt. Es gibt noch weitere Zusammenarbeitsfelder, bei denen die Kontakte zu den GP-Unternehmen von Bedeutung sind: Sicherheitsforschung, strategische Früherkennung und die auf Krisenbewältigung ausgerichtete Schulung von Mitarbeitern international tätiger Unternehmen durch unsere Verhandlungs- und Beratergruppe im Phänomenbereich Entführungen und Geiselnahmen.

Die Bekämpfung von Kriminalität in einer globalisierten Welt kann nur gemeinsam mit einem ganzheitlichen Ansatz erreicht werden. Sicherheitsbehörden und Wirtschaftsunternehmen können dabei beiderseitig von ihrem Know-how profitieren.

W&S: Welche Möglichkeiten haben denn mittelständische Unternehmen, von der Expertise des BKA zu partizipieren?

Ziercke: Das BKA arbeitet entsprechend der Rahmenregelung des Bundesministeriums des Innern auf Bundesebene mit einem zentralen Ansprechpartner der Wirtschaft für Sicherheitsfragen – der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft, ASW – eng zusammen. Neben regelmäßig erscheinenden Zirkularen, wie beispielsweise dem wöchentlichen Lagebericht des BKA, erhält die ASW anlassbezogene Lagedarstellungen zu sicherheitsrelevanten Entwicklungen, Bewertungen sowie gegebenenfalls auch Warnmeldungen. Die Informationen sollen den Unternehmen helfen, Einschätzungen hinsichtlich der eigenen Betroffenheit vorzunehmen und in der Folge geeignete Sicherheitsmaßnahmen daran auszurichten.

Die ASW trägt nach der Rahmenregelung dafür Sorge, dass diese Informationen allen Unternehmen zugute kommen. Hierfür werden die eigenen Mitgliedsverbände als Multiplikatoren genutzt. Daneben sind interessierte Unternehmen stets eingeladen, an unseren Veranstaltungen mit Wirtschaftsbeteiligung – wie der Staatsschutz-Wirtschaftstagung, der jährlichen Wirtschaftskonferenz oder auch der BKA-Herbsttagung – teilzunehmen.

Interview: Klaus Henning Glitza

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