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Sicherheit im Tunnel 23. August 2012

Keine Angst vor der Röhre

Mit der zunehmenden Verkehrsbelastung wachsen nicht nur die Zahl der Tunnelsysteme, sondern auch die Anforderungen an deren Sicherheit. Schadensereignisse wie Brandkatastrophen oder Zusammenstöße mit Hindernissen können auch für Eisenbahntunnel nicht ganz ausgeschlossen werden.

Die Anforderungen an Tunnelsysteme sind hoch.
Die Anforderungen an Tunnelsysteme sind hoch.

Um die Eintritts-wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse zu minimieren, sind daher auf die unterschiedlichen Tunnelsysteme abgestimmte Maßnahmen notwendig. W&S beleuchtet das Sicherheitskonzept für Eisenbahntunnel in Deutschland.

Generell bieten Eisenbahntunnel für die Streckenführung verschiedene Vorteile. Demgegenüber stehen allerdings auch Risiken, die berücksichtigt werden müssen. Im Ereignisfall ist unter Umständen mit größeren Schäden als auf freier Strecke zu rechnen, da sich beispielsweise ein Hitze- und Rauchstau durch das geschlossene Röhrensystem bilden kann. Ferner sind die Möglichkeiten zur Eigen- und Fremdrettung eingeschränkt, und je nach Tunnelbeschaffenheit gibt es längere Flucht- und Angriffswege sowie eine schlechtere Erreichbarkeit des Unfallortes. Auch darf die psychische Komponente von Menschen nicht außer Acht gelassen werden, die sich innerhalb eines solchen Bauwerkes in einer Gefahrensituation befinden.

Unterschiede zur Straße

Zwischen Straßen- und Tunnelsystemen bestehen grundlegende Unterschiede hinsichtlich des Präventionsgedankens. Im Gegensatz zu ausgebauten Straßentunneln ist durch das spurgeführte System etwa ein Überholen in Eisenbahntunneln nicht möglich, womit eine häufige Unfallursache ausgeschlossen ist. Daneben ist der Brandschutz innerhalb von Schienenfahrzeugen wesentlich umfassender als das vergleichsweise bei Straßenfahrzeugen der Fall ist. Dies bedeutet, dass die Brandschutzkonzepte bei Straßentunneln Risikofaktoren wie erhöhte Brandlast, mehrspurige Systeme und Fahrzeugdefekte kompensieren müssen. „Bei den über 900 Tunneln, die die Deutsche Bahn betreibt, sind daher Maßnahmen sinnvoll, die sich so nicht in Straßentunneln finden würden“, erläutert Klaus-Jürgen Bieger, Brandschutzbeauftragter Deutsche Bahn AG.

Um eine möglichst hohe Sicherheit in ihren Tunnels zu gewährleisten, verfolgt die Deutsche Bahn ein mehrstufiges Konzept. An erster Stelle steht die Prävention, die Schadensereignisse bereits im Vorfeld minimieren beziehungsweise ganz verhindern soll. Als weitere Stufen folgen die Ausmaßminderung, die Selbst- und schließlich die Fremdrettung. Neue Tunnel ab 1.000 Meter für Mischverkehr verfügen daher über parallele eingleisige Röhren, was im Schadensfall mögliche Folgeeinwirkungen auf ein zweites Gleis verhindert. Heißläuferortungs- beziehungsweise Festbremsortungsanlagen ermöglichen ferner ein frühzeitiges Erkennen von Problemen bei Zügen, womit sich diese gegebenenfalls rechtzeitig vor der Einfahrt in einen Tunnel stoppen lassen.

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Sollte es doch zu einem Unfall oder dergleichen kommen, gilt es, durch entsprechende Systeme den Schaden zu begrenzen. Bieger: „Sollte es zu einer akuten Gefahrensituation kommen, können Personal und Reisende diese durch eigene Maßnahmen abwehren. Hierzu können sie etwa zur Brandbekämpfung die eigenen Bordmittel wie Feuerlöscher nutzen bis Hilfe eintrifft beziehungsweise den Zug evakuieren, wenn das die Situation gebietet.“

Bauliche Maßnahmen

Neue Tunnel unterstützen seit 1997 Reisende und Mitarbeiter durch bauliche Maßnahmen bei der Selbst- und Fremdrettung. So bestehen die Tunnelwerke aus Baustoffen, die als nicht brennbar klassifiziert sind. Zudem müssen alle auf Energie angewiesene Systeme als Ganzes im Brandfall für mindestens 90 Minuten funktionstüchtig bleiben. Der Ausfall einzelner Komponenten darf die anderen nicht beeinträchtigen.

Als weiterer Punkt sind die Flucht- und Rettungswege sowie die dazugehörigen Notausgänge zu nennen. Sichere Bereiche müssen nach maximal 500 Metern erreichbar sein, in einigen Fällen sogar in 250 Metern. Im Anschluss an die Notausgänge folgen Rettungsstollen oder -schächte, durch die die evakuierten Personen rasch ins Freie gelangen. Auch ist in elektrifizierten Tunneln an eine rasche Abschaltung des Fahrdrahtes zu denken, da von spannungsführenden Teilen eine ernste Gefahr für Personen und Rettungskräfte ausgehen kann.

Im Ereignisfall müssen Feuerwehr- und Rettungskräfte den Betroffenen zügig bei der Evakuierung helfen, Verletzte versorgen und den Schaden soweit möglich begrenzen. Zur schnellen und zeitverlustfreien Erstversorgung vor Ort müssen neue Tunnel daher unter anderem einen Löschmittelvorrat vorweisen, und zwar an jedem Notausgang. Dazu gehört auch das Prinzip einer fest installierten Löschwasserleitung, die im Ernstfall helfen soll, Zeit durch das Verlegen von Schläuchen einzusparen.

Einsatz von Spezialgerät

Um auch in älteren Tunneln im Ernstfall benötigtes technisches Gerät und Personal schnell zu einem Unglücksort an oder in einem Tunnel transportieren zu können, unterhält die Deutsche Bahn für bestimmte Streckenabschnitte derzeit sechs Rettungszüge zur Unterstützung bei Fremdrettungsmaßnahmen an unterschiedlichen Standorten. Ein Rettungszug ist ausgelegt für die Befreiung, Rettung und Versorgung von bis zu 500 Betroffenen und wird im Bedarfsfall umgehend durch Feuerwehr und Rettungsdienst besetzt. Der Einsatz dieser Spezialzüge ist für die Tunnel der ersten Generation der Schnellfahrstrecken vorgesehen, deren Bauweise noch nicht allen modernen Anforderungen an die Selbstrettung genügen.

Die Rettungszüge bestehen in der Regel aus zwei Triebfahrzeugen am jeweiligen Zugende, die auch mit Video- und Wärmebildkamera ausgestattet sind. Daneben gibt es zwei gasdichte Transportwagen, die über eigene Versorgungsaggregate und eine Schleuse verfügen. Hier befindet sich auch die Einsatzleitung mit der Kommunikationseinrichtung. Zur Versorgung von Verletzten ist ferner ein gasdichter Sanitätswagen vorhanden, der unter anderem zwei voll eingerichtete Notarztarbeitsplätze und 18 Liegeplätze für Schwerverletzte bietet. Ein Gerätewagen mit feuerwehrtechnischem Gerät, mobilen Generatoren und schienenfahrbaren Rollpaletten unterstützt die Rettungskräfte logistisch. Schließlich dient ein Löschmittelwagen mit 20 Kubikmeter Wasser und einem Kubikmeter Löschschaum der Brandbekämpfung vor Ort.

Alte Tunnel über 1.000 Meter außerhalb der Schnellfahrstrecken wurden in den letzten Jahren auch sicherheitstechnisch weiter verbessert. So wurden neben der Nachrüstung z.B. von Notbeleuchtungen spezielle Zwei-Wege-Löschfahrzeuge beschafft, die in den Tunnel einfahren können und ihr Material heckwärts entladen können, um somit die engeren Platzverhältnisse optimal zu nutzen. Derzeit gibt es bundesweit 14 solcher Spezialfahrzeuge.

Das mehrstufige Sicherheitskonzept ist nach dem momentanen Stand optimal auf die Erfordernisse und Risiken bei Tunnelanlagen in Deutschland abgestimmt. Darüber hinaus beobachten und diskutieren Experten über veränderte Anforderungen infolge neuer Technologien, etwa beim Bau von noch schnelleren Zügen. Daneben gibt es auch technische Entwicklungen hinsichtlich des Brandschutzes beziehungsweise Brandbekämpfung. Wichtig ist hierbei, dass diese einen wirtschaftlich vertretbaren und nachweislichen sicherheitstechnischen Mehrwert bringen. So ist etwa in sehr langen Tunnel wie beim Euro-Tunnel der Einsatz von automatisch arbeitenden Löschanlagen in bestimmten Bereichen oder Abschnitten zumindest im Einzelfall nicht undenkbar. Ob solche Systeme künftig häufiger anzutreffen sein werden, bleibt abzuwarten, doch die Diskussion um die Optimierung von Sicherheitskonzepten von Tunnelanlagen allgemein wird sicherlich fortgeführt.

Hendrick Lehmann

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