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Sonderschutzfahrzeuge 28. August 2012

Panzerung ab Werk oder Nachrüstung?

Bei gepanzerten Fahrzeugen gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Produktangebote: vom Originalhersteller gepanzerte Fahrzeuge und solche, die nachträglich gepanzert werden.

Das Zertifizierungsfahrzeug E-Guard.
Das Zertifizierungsfahrzeug E-Guard.

Beide Varianten können zwar potenziell ähnliche Schutzeigenschaften aufweisen, sich aber auch erheblich unterscheiden. Ein erstes wichtiges Kriterium ist der Zeitpunkt, an dem die Panzerung in das Fahrzeug kommt. Nachrüstung umschreibt ziemlich genau die Einbringung der Panzerung, nämlich nachträglich, das heißt ein fertiges Fahrzeug wird auseinandergebaut, gepanzert und wieder zusammengebaut.

Konstruktion

Bei Mercedes-Benz entsteht die Panzerung bereits mit der Entwicklung eines Serienmodels. Bei der aktuellen E-Klasse wurde beispielsweise also die Entwicklung des sondergeschützten E-Guard gleichzeitig gestartet. So wird bereits im frühen Produktentstehungsprozess sichergestellt, dass alle relevanten Änderungen am Fahrzeug berücksichtigt werden.

Neben der Entwicklung der Schutzkomponenten wird ein großes Augenmerk auf die Fahrwerkskomponenten gelegt. Diese müssen zwingend auf das Mehrgewicht des Schutzes angepasst werden. So hat beispielsweise der S-Guard im Vergleich zur Serien-S-Klasse ein Mehrgewicht von ungefähr 1.500 Kilogramm. Bildlich gesprochen bedeutet dies eine S-Klasse mit einer zusätzlichen E-Klasse auf dem Dach. Offensichtlich also, dass nur mit deutlich stärkeren Fahrwerkskomponenten ein serienähnlich souveränes Fahrverhalten möglich wird.

Die Fahrzeugachsen, welche für das Serienfahrzeug aus Verbrauchsgründen gewichtsoptimiert aus einer Leichtmetalllegierung gefertigt werden, sind beim S-Guard aus hochbelastbarem Stahl hergestellt und mit einer eigens neu entwickelten Bremse ausgestattet, um das Mehrgewicht sicher zu beherrschen. Zusätzlich werden sie mit verstärkten Stabilisatoren versehen. Auch die Regelsysteme, wie beispielsweise das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) oder das Antiblockiersystem (ABS), sind an das Mehrgewicht adaptiert. Nur so kann sichergestellt werden, dass im Ernstfall die notwendigen Fahrmanöver problemlos gefahren werden können und die alltäglichen Dauerbelastungen ebenfalls kein Problem darstellen.

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Auch die hochentwickelten Assistenzsysteme, wie beispielsweise der Abstandsregeltempomat, der autonom den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug regelt, müssen dem Mehrgewicht angepasst werden.

Erprobung

Um sicherzugehen, dass die Fahrzeuge von Mercedes-Benz Guard der späteren Alltagsbeanspruchung unermüdlich standhalten, durchlaufen sie dieselben Qualitäts- und Entwicklungsprozeduren wie die Serienfahrzeuge von Mercedes-Benz. Zum Beispiel der Hydropulstest: Hier wird die Karosserie durch einen simulierten Dauerlauf über Schlechtwegstrecken auf ihre Dauerhaltbarkeit überprüft. Der hier identifizierte Optimierungsbedarf fließt umgehend in die Fahrzeugkonstruktion ein, lange bevor Kundenfahrzeuge gebaut werden.

Auch in den größtmöglichen Insassenschutz bei Kollisionen der Guard-Fahrzeuge investiert man weit vor Verkaufsbeginn. Das Zusatzgewicht und die Schutzmaterialien haben einen massiven Einfluss auf das Crashverhalten der Fahrzeuge, der in einer Vielzahl von Konstruktionsmaßnahmen berücksichtigt wird. Zu diesen gehören insbesondere die Steuerungen der Rückhaltesysteme wie die Airbags und Gurtstraffer, deren zuverlässige Funktion in abschließenden Crash-Tests nachgewiesen wird.

Im Mittelpunkt steht allerdings der Nachweis der ballistischen Resistenz. Hierzu wird das Fahrzeug durch unabhängige Behörden oder Instituten einem Beschusstest unterzogen. Um den Beschusstest beziehungsweise die Beschusszertifizierung zu bestehen, wird mit intelligenten Überlappungssystemen bei Materialübergängen von Glas zu Stahl oder bei der Tür zur Karosserie gearbeitet. Für die Ingenieure ist dies, neben der Gewichtsthematik, eine der großen Herausforderungen im Bau von sondergeschützten Fahrzeugen. Es gilt dabei, die Überlappungssysteme so unauffällig wie möglich in das Fahrzeug zu integrieren, ohne den Innenraumkomfort und das Raumgefühl zu schmälern.

Wenn das Referenz-Fahrzeug diese kompromisslosen Tests besteht und mit dem Beschusszertifikat ausgezeichnet wurde, wird die finale Freigabe zur Serienproduktion gegeben. Von nun an werden in der speziell abgeschirmten Manufaktur die Fahrzeuge in Handarbeit hergestellt. Es entsteht ein Fahrzeug mit integriertem Schutz ab Werk inklusive der normalen Herstellergarantie und Gewährleistung.

Bei der Kaufentscheidung abwägen

Vergleicht man jetzt ein ab Herstellerwerk gepanzertes Fahrzeug, inklusive den getrieben Entwicklungs- und Erprobungsaufwand, mit einem nachträglichen gepanzerten Fahrzeug, wird relativ schnell klar, wo die tatsächlichen Unterschiede liegen. In Abwägung aller sicherheitsrelevanten Anforderungen obliegt es dem Endkunden zu entscheiden, für welchen Typ Fahrzeug er sich entscheidet. Nur welchen Nutzen bringt die beste Panzerung des Fahrzeugs, wenn die Peripherie des Fahrzeugs nicht darauf angepasst wurde? Es steckt also weitaus mehr in einem Sonderschutzfahrzeug als nur der ballistische Schutz.

Ein nachträglich gepanzertes Fahrzeug, beispielsweise durch einen externen Aufbauhersteller, ist übrigens per Gesetz kein Mercedes-Benz mehr. Es müssen alle MB-Markensymbole entfernt werden und Mercedes-Benz ist weder in Sachen Produkthaftung oder Garantie für das Fahrzeug verantwortlich.

Markus O. Nast,
Marketing, Kommunikation, Fahrsicherheitstrainings sowie Controling, Mercedes-Benz Guard der Daimler AG

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