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Auswertung PKS 2012 8. August 2013

Tiefschwarze Punkte

Bei der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2012 könnte es sich um eine der besten aller Zeiten handeln – wären da nicht ein paar tiefschwarze Punkte. Überaus positiven Trends in einigen Kriminalitätsfeldern stehen alarmierende Entwicklungen bei Wohnungseinbruchdiebstählen und Internetdelikten gegenüber.

Polizei bei der Tatortarbeit.
Polizei bei der Tatortarbeit.

Zu den positiven Punkten der aktuellen PKS zählt, dass die Fälle schwerer Gewalttaten von Jugendlichen um fast 20 Prozent zurückgegangen sind. Auch bei Straftaten gegen das Leben (-3,4 Prozent) und gegen die sexuelle Selbstbestimmung (-2,7 Prozent) sind die Fallzahlen erheblich gesunken. Ebenso kam es bei Kfz-Diebstählen (-9,3 Prozent) und Ladendiebstählen (-6,6 Prozent) zu deutlichen Rückgängen.

Deutliche Steigerungen

Doch die Negativa wiegen schwer. Mit 9,3 Prozent nahmen die Wohnungseinbruchsdiebstähle fast explosionsartig zu. Schlimmer noch: mit diesem Boom, alle vier Minuten wird irgendwo in Deutschland eingebrochen, korrespondiert eine rapide sinkende Aufklärungsquote. Nur in jedem sechsten Fall konnten Tatverdächtige ermittelt werden.

„Die immer schwächer werdende Präsenz der Polizei im öffentlichen Raum lädt Straftäter geradezu ein, in Wohnungen und Häuser einzudringen“, sagt der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Oliver Malchow. Vielerorts fehle der Polizei „das Personal, um beispielsweise Einbrecher intensiv verfolgen zu können“.

Verbesserungen dieser Personalsituation seien nicht in Sicht, betont Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Im Gegenteil: bis 2020 sollen in den Ländern nach seinen Angaben noch einmal 10.000 Stellen abgebaut werden. Vor allem in den neuen Bundesländern sei die Situation prekär. Wendt spricht deshalb von einem „vorsätzlich organisierten Politikversagen“.

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„Schon heute ist eine fachgerechte Ermittlungsarbeit am Tatort kaum möglich“, so sieht es auch Bernd Carstensen, Pressesprecher des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Eine qualifizierte Spurenuntersuchung könne oft gar nicht mehr realisiert werden. Hinzu komme, dass auch bei den Präventionsdienststellen ein Konzentrationsprozess zu beobachten sei. Nicht selten sei eine solche Einrichtung für einen gesamten Landkreis zuständig. Von Bürgernähe könne da niemand mehr sprechen.

Drastischer Personalmangel

„Gewerkschaftslyrik“? Wohl kaum! Ein besonders plakatives Beispiel liefert die deutsche Bundeshauptstadt Berlin. Nach Recherchen des „Tagesspiegel“ liegen dort „derzeit 11.000 unbearbeitete DNA-Proben beim Landeskriminalamt“. Es fehle das Personal, die angehäuften genetischen Hinweise zu bearbeiten. „Die kommen überhaupt nicht mehr hinterher“, so ein BDKSprecher.

Vor allem Einbrüche blieben deshalb unaufgeklärt. Gerade in diesem Deliktfeld sei die DNA-Analyse von besonderer Bedeutung. Stimmen relevante Tatortspuren mit einem „genetischen Fingerabdruck“ aus der DNA-Analyse-Datei überein, ist der Täter überführt. „Inzwischen kann über die DNA-Analyse-Datei jede dritte Spur dem entsprechenden Spurenleger zugeordnet werden“, so das BKA.

Immer mehr ermittlungsintensive Straftaten, zu wenig Personal – das ist nicht erst seit gestern ein ernstes Thema. Bereits vor mehr als drei Jahren hatte Joachim Lenders, stellvertretender Bundesvorsitzender und Hamburger Landeschef der DpolG, den mittlerweile „alltäglichen Wahnsinn“ im Dienstalltag der Hansestadt angeprangert.

Der Gewerkschafter schilderte im April 2010 einen „ganz normalen Wochentag“ eines „ganz normalen Polizeikommissariats“, dem nachts drei Streifenwagen für Einsätze zur Verfügung stehen: „Einer wird abkommandiert zur Jagd nach Autobrandstiftern, der andere für mehrere Schwertransportbegleitungen und der dritte für einen Sondereinsatz in dieser Nacht. Im Ergebnis gibt es „Null-Streifenwagenbesatzungen für etwa 70.000 Menschen in diesem Bereich.“ Seine damalige Prophezeiung: „Entweder wir bekommen mehr Personal oder wir werden Schiffbruch erleiden.“

Eine ausreichende Personalstärke sei das A und O, so DpolG-Bundesvorsitzender Rainer Wendt gegenüber PROTECTOR. Anders sei es nicht möglich, zumindest einen Grundschutz (nächtliche Streifenfahrten durch Wohngebiete) zu gewährleisten.

Des Weiteren bedürfe es eines bundesweiten Lagebildes und der Verbesserung der Spurenauswertung. Zumindest eine dieser Forderungen kann erfüllt werden. Wie aus Polizeikreisen verlautet, wird derzeit ein bundesweites Lagebild in enger Abstimmung mit den Länderpolizeien im BKA erstellt. Eine bundeseinheitliche Handlungsempfehlung, von der Medien berichteten, werde es aber nicht geben, so ein Insider. Die regionalen Besonderheiten und die jeweiligen Bedürfnislagen unterschieden sich zu stark. Auch bundesweite Ermittlungsgruppen würden vermutlich an der föderal geprägten Sicherheitsarchitektur scheitern.

Erklärungsansätze

Für die Zunahme der Wohnungseinbruchdiebstähle gibt es nach Angaben von Experten in der Tat vielfältige Gründe. Zweifellos spielt die verhaltene Präsenz der Polizei eine gewichtige Rolle. „Früher agierten die Einbrecher zu zweit, weil einer Schmiere stehen musste. Heute kann der zweite Mann getrost zu Hause bleiben“, so umschreibt es ein Ermittler. „In der alten Weisheit‘ ‚wenn der Schutzmann ums Eck kommt, nimmt der Ede Reißaus‘ steckt schon eine ganze Menge Wahrheit drin“, so sagt es auch DpolG-Vizevorsitzender Joachim Lenders.

Den patrouillierenden Polizeibeamten muss offenbar niemand mehr fürchten – wie im Übrigen oftmals auch den wachsamen Nachbarn nicht. Deutschland ist nach der Einschätzung von Polizeipraktikern zu einem Magneten der nationalen und internationalen Organisierten Kriminalität geworden.

Kein Wunder, denn das Entdeckungsrisiko ist denkbar gering. Selbst wenn Tatverdächtige ermittelt werden, ist dies noch lange nicht mit Folgen verbunden. Nur in zwei von hundert angezeigten Fällen kommt es überhaupt zu einer Verurteilung. Doch auch eine Haftstrafe schreckt oftmals nicht wirklich.

Neben deutschen Tätern treten immer häufiger auch Einbrecher aus dem ost- und südosteuropäischen Raum in Erscheinung. Diese Täterstrukturen gehen höchst professionell vor und hinterlassen kaum Spuren. Ein Riesenproblem, denn wo nichts ist, kann auch das beste DNA-Labor nichts ausrichten.

Kriminalitätstourismus

Die offenen Grenzen erleichtern zudem Einreise und Verbringung des Diebesgutes ins überwiegend östliche Ausland. Effiziente Ausgleichsmaßnahmen für die weggefallenen Grenzkontrollen sind trotz verschiedentlicher Ankündigungen nie umgesetzt worden. Es kommt zu einer Art Kriminalitätstourismus: Südosteuropäische Täter gehen gezielt auf Einbruchstour ins deutsche Eldorado. Aus Hamburg wird gemeldet, dass sogar Täter aus Südamerika anreisen. Und auch die „Armutseinwanderung“ wird immer deutlicher zum PKS-relevanten Problem.

Doch das ist nicht die einzige Baustelle der inneren Sicherheit, die die PKS offenbart. Auch eine andere Art von Einbrechern ist auf dem Vormarsch. In Sachen Internetkriminalität wurde ein Zuwachs von 7,5 Prozent registriert. „Bedrohlich wird dieser Anstieg, wenn man weiß, dass die meisten Internet-Straftaten in der PKS gar nicht abgebildet werden, weil die Server im Ausland stehen, die Straftat deshalb als Auslandstat bezeichnet wird und in der PKS nicht erfasst wird“, so BDK-Sprecher Carstensen.

Ein Phänomenbereich mit Steigerungspotenzial, wie Bundesinnenminister Friedrich bei der Vorstellung der PKS deutlich machte. In den nächsten Monaten und Jahren werde die Anzahl von Angriffen aus dem Internet noch erheblich zunehmen.

Insbesondere mittelständische Unternehmen müssten sich deshalb besser schützen. Virtuelle Gegner seien längst nicht mehr spezialisierte Computerexperten, sondern organisierte Kriminelle, die sich die Schadsoftware einfach kaufen.

Alle Polizeigewerkschaften sehen noch erhebliche Defizite bei der Bekämpfung der Internetkriminalität. Polizisten müssten sich besser mit Straftaten im Internet auskennen. Heute auch nur von einer annähernden Waffengleichheit zu sprechen, wäre pure Illusion, so ein Ermittler. KHG

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