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Falsifikate in Museen 16. April 2014

Kunstwerk oder Kunst-Werk?

Sie ist aller anderslautenden Theorien zum Trotz wohl echt, die Mona Lisa im Pariser Louvre. Doch im Gegensatz zu Leonardo da Vincis „La Gioconda“ ist es bei anderen Exponaten keinesfalls sicher, dass es sich um Originale handelt. Fachleute schätzen den Anteil der Falsifikate in deutschen Museen auf rund 25 Prozent.

Der Betrachter kann sich nicht sicher sein, ob er das Original sieht.
Der Betrachter kann sich nicht sicher sein, ob er das Original sieht.

Allerdings, das sei zur Ehrenrettung hinzugefügt, steckt in den meisten Fällen keine betrügerische Absicht hinter den Nachahmungen. Viele Museen sind sehr wohl im Besitz der Originale, stellen sie aber wohlweislich zum Schutz vor Beschädigungen nicht öffentlich aus. So lagern in nicht wenigen Fällen die echten Meisterwerke in wohltemperierten Untergeschossen, wo sie nur eine handverlesene Schar von Kunstfreunden zu Gesicht bekommt, während sich die breite Masse der Museumsbesucher mit täuschend ähnlichen Kunst-Werken begnügen muss.

Kunstwerke schützen

Ein Beispiel dafür ist die Eremitage in Sankt Petersburg. Sage und schreibe drei Viertel der Originale sind in den Kellern verwahrt, so Peter Zachmyc, Maler und Kunstdetektiv aus Düsseldorf, gegenüber PROTECTOR. Auch im Van-Gogh-Museum in Amsterdam seien echte Werke mit falschen vermischt. All dies geschieht zum Schutz vor verirrten Seelen und skrupellosen Erpressern, die schon einmal Meisterwerke mutwillig beschädigen, um ihre dubiosen Ziele zu erreichen.

Apropos Van-Gogh-Museum: Ausgerechnet diese weltberühmte Ausstellungsstätte hat beim „Fälschen“ kräftig mitgemischt. Um trotz leerer Kassen die dringende Renovierung zu ermöglichen, ließ der Museumsdirektor in einem speziellen 3D-Druckverfahren „plastische Klone“ von Werken des niederländischen Malers und Zeichners auflegen. Kein Laie war in der Lage, diese „Relievos“ von echten Van-Gogh-Werken zu unterscheiden. In einem Einkaufszentrum in Hongkong gerieten die „van Goghs“ aus dem Spezialdrucker für 25.000 Euro pro Stück zu einem wahren Verkaufsschlager.

Neben Fundraising und dem Schutz unwiederbringlicher Werte spielt aber auch ein dritter Aspekt eine Rolle. In einigen wenigen Museen werden Zweifel an der Echtheit eines Werkes geflissentlich ausgeblendet, weil es ein Killerfaktor für Renommee und Reputation wäre, wenn sich das vermeintliche Original als Fälschung herausstellte. Eine komplette Riege, von Kunsthändlern über diverse Sachverständige bis hin zu Experten, Kuratoren und Direktoren, würde dadurch in Grund und Boden blamiert.

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Viele Museen spielten mit, „weil sie von Irrtümern nichts wissen wollen“, so sieht es auch die Kunsthistorikerin und Autorin des Fachbuches „Tatort Kunst“ Susanna Partsch. Nicht alle hätten so viel Courage wie die National Gallery in London, die einräumte, jahrelang Fälschungen ausgestellt zu haben. Andere Museen halten sich mit derlei Offenheit eher zurück. So wurde Nicholas Turner, Kurator im Getty Museum in Los Angeles, entlassen, weil er zu viele Zeichnungen der Ausstellungsstätte als Fälschungen entlarvt hatte, wie Susanna Partsch mitteilt.

Original oder Fälschung?

Was ist echt, was ist so kunstvoll nachgeahmt, dass selbst Experten glauben, ein Original vor sich haben? Eine Frage, die die Kunstszene seit Urzeiten bewegt. Manche Falsifikate sind so gut, dass selbst die Künstler höchstpersönlich auf sie hereinfallen. Als Pablo Ruiz Picasso einmal Werke vorgelegt wurden, die seine Signatur trugen, testierte er sie als echt. Und die Fachwelt raunte: Welche Picasso-Werke könnten authentischer sein als diese? Dennoch: Es waren Fälschungen. Salvador Dali, selbst unter den Künstlern ein Exzentriker, ging vermutlich noch erheblich weiter. 1973 soll der geldfreudige Katalane 40.000 Blankobögen handsigniert haben – als „Rohstoff“ für „echte Dali-Lithografien“ aus Fälscherhand.

Der Nachweis der Echtheit ist eine mehr als schwierige Frage, betont der Erste Kriminalhauptkommissar Franz Weber, Leiter des für Kunstdelikte zuständigen Sachgebiets 622 des Bayerischen Landeskriminalamts gegenüber PROTECTOR. Die Überprüfungen seien derart komplex, dass oftmals mehrere Gutachter und mit naturwissenschaftlichen Methoden arbeitende Experten für jeweils spezifische Teilbereiche eingesetzt werden müssten.

Fälschungen kursieren nach Meinung des polizeilichen Kunstfahnders Weber in erheblichen Mengen. Den Anteil von Falsifikaten beziffert er mit „zwischen 40 und 60 Prozent“. Das Spektrum reicht von primitiven Kunstfälschungen über professionellere Versionen bis bin zu nachgerade genialen Reproduktionen, die selbst Sachverständige nicht als solche identifizieren können.

Wer weiß das besser als der Kunsthistoriker Werner Spies, ein weltweit führender Experte für das Werk von Max Ernst. Der ehemalige Direktor des Museums für moderne Kunst im Pariser Centre Pompidou hatte an der Echtheit eines Landschaftsbildes mit der Signatur des Surrealisten keinerlei Zweifel gehegt. Das Werk konnte aufgrund dieser Expertise zu einem Preis von mehr als einer Million Euro verkauft werden. Dabei stammte das Werk aus dem Atelier des am 27. Oktober 2011 zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilten Kunstfälschers Wolfgang Beltracchi, geborener Fischer. Spies wurde im Mai 2013 zusammen mit einem französischen Galeristen von einem französischen Gericht zur Zahlung eines Schadensersatzes von 652.883 Euro verurteilt.

Boomender Markt

Der Markt der Fälschungen ist einer der wenigen Bereiche, die schon seit vielen Jahren boomen. Schnee von gestern sind die spektakulären Raubtaten wie jene, die sich in der Nacht zum 18. März 1980 im Isabella-Stewart-Gardner-Museum in Boston ereignete. Zwei als Polizisten verkleidete Täter, die zuvor zwei Wärter überwältigt hatten, wanderten durch das Museum wie durch einen Selbstbedienungsladen. Fast anderthalb Stunden lang nahmen sie sich Zeit, die wertvollsten Meisterwerke im Gesamtwert von einer halben Milliarde US-Dollar, unter anderem von Degas, Manet, Rembrandt und Vermeer, auszuwählen.

Es werde heute mehr gefälscht als geraubt, ist sich Kriminalhauptkommissar Ernst Schöller vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg sicher. Der Grund: Aus Museen oder Privatsammlungen gestohlene „heiße Ware“ lasse sich heute kaum noch an den Mann bringen, Fälschungen aber sehr wohl – sofern sie mit einer guten Story unterlegt sind. In der Tat: Hinter jeder Fälschung steckt eine phantasievolle Geschichte. So wurde über die „Mona Lisa“ die Legende verbreitet, diese sei in Wahrheit das nachempfundene Werk eines Schülers von Leonardo da Vinci und nicht des Meisters selbst, um Fälschungen als Originale verkaufen zu können. Gern geglaubt wurde offenbar auch die Theorie, das weltberühmte, nur 77 mal 53 Zentimeter große Ölgemälde sei nach dem spektakulären Kunstraub von 1911 gar nicht mehr in den Louvre zurückgelangt, stattdessen hänge dort ein Falsifikat.

Er sei Nachlassverwalter der Expressionistin Lou Albert-Lasard, behauptete ein pensionierter Kunstlehrer und Galerist aus Berlin. Im November 2013 wurde bekannt, dass etwa 100 Werke nicht von der 1969 verstorbenen Malerin stammten, sondern von dem Ex-Lehrer samt Nachlassstempel gefälscht worden waren.

Phantasievolle Storys ranken sich auch immer wieder um das große Thema Raubkunst. Dr. Uwe Hartmann, Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzforschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, berichtet PROTECTOR von einem solchen Fall. Aus Russland wurde einem Berliner Museum ein Kunstwerk angeboten, das angeblich ein ehemaliger Soldat der Roten Armee als „Souvenir“ nach der Besetzung Berlins mit in sein Heimatland genommen hatte. Die Initiatoren hatten sich viel Mühe gegeben. Auf der Rückseite war sogar ein Beschlagnahmevermerk der Reichskanzlei angebracht. Doch der Unterzeichner, ein SS-Sturmbannführer, war in der behaupteten Dienststelle niemals tätig gewesen, wie Dr. Hartmann herausfand.

Kunstwerk oder Kunst-Werk? Ein Hauch von Zweifel wird wohl immer bleiben.

Klaus-Henning Glitza

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