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VCA an Bord

Die steigende Verbreitung hochauflösender HD-Kameras bringt für die Benutzer von Videoanlagen entscheidende Vorteile. Für einen VCA-Algorithmus (Video Content Analysis) ist die HD-Datenfülle dagegen eher ein Problem.

Video Content Analysis (VCA), also die automatisierte Analyse von Videodaten zur Erkennung von Objekten und alarmrelevanten Ereignissen, ist eine der anspruchsvollsten Teilaufgaben innerhalb eines Videoüberwachungs-systems. Eine VCA muss das Bild zuerst immer um störende Detailinformationen bereinigen. Dieser Artikel beleuchtet, welche Lösungsmöglichkeiten existieren, um mit dieser Diskrepanz zwischen Anforderungen des Menschen und Anforderungen der VCA umzugehen.

Moderne HD-Netzwerkkameras liefern HD-Videodaten mit 25 fps (frames per second, Bilder pro Sekunde). Doch so schön diese Pixelpracht ist, unkomprimiert entspricht diese einer Datenmenge von 150 Megabyte pro Sekunde. Da eine VCA immer unkomprimierte Videodaten analysiert, bringen bereits 15 HD-Kameras auch stärkere Serversysteme an ihre Grenzen. Es gibt jedoch Möglichkeiten, dieses Problem zu umgehen: 1. Für die VCA kann ein zweiter Datenstrom der Kamera mit niedrigerer Auflösung und gegebenenfalls niedrigerer Framerate genutzt werden (Dual Streaming). 2. Die Analyse kann direkt auf der Kamera durchgeführt werden. Dort stehen die unkomprimierten Videodaten in unterschiedlichen Auflösungen unmittelbar zur Verfügung.

VMS und VCA als getrennte Komponenten

Die erste Lösung führt zu einer Architektur, bei der das Videomanagementsystem (VMS) sowie die VCA vollständig getrennt sind. Separat installiert und konfiguriert kommunizieren sie nur über einen Kanal, mit dem die VCA dem VMS das Auftreten von Ereignissen mitteilt. Im einfachsten Fall ist dieser Kanal ein geschalteter IO-Port. Der entscheidende Vorteil dieser Architektur ist ihre Flexibilität bei der Auswahl der Komponenten. Für jedes Projekt kann die optimale Kombination aus Kameras, VMS und VCA ausgewählt werden.

Bei der Einrichtung, im Handling, sowie bei den funktionalen Möglichkeiten stößt diese Architektur aber an Grenzen. Sie ist aufwändig zu administrieren, da jede Kamera sowohl in der VCA als auch im VMS angelegt werden muss. Die Zuordnung der Kameras aus der VCA zum VMS erfolgt meistens manuell. Sie birgt die Gefahr der Fehlkonfiguration, wenn Änderungen nicht in beiden Systemen synchron durchgeführt werden.

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Ein wichtiger funktionaler Nachteil dieser Lösung ist, dass üblicherweise nur alarmauslösende Ereignisse (wie "Person ist über Zaun geklettert") an das VMS übertragen werden. Frame-genaue Metadaten, die zu jedem Bild Informationen zu Position, Größe und Art der erkannten Objekte enthalten, erhält das VMS nicht.

Ohne diese Metadaten kann das VMS im Live-Bild die VCA-Ergebnisse nicht anzeigen. Es fehlen also die "farbigen Rähmchen", die bereits vor der eigentlichen Alarmauslösung die Aufmerksamkeit eines Operators auf ein Objekt lenken können. In Vor-HD-Zeiten konnte ein VCA-System die Videodaten decodieren, die farbigen Rähmchen einblenden, und danach das Bild wieder encodieren und so dem VMS bereitstellen. Mit HD-Videodaten ist dies aufgrund der dafür erforderlichen erheblichen Rechenleistung kaum noch möglich. Das Fehlen der farbigen Rähmchen reduziert die Akzeptanz beim Kunden, erschwert die Administration und senkt die Investitionsbereitschaft.

VMS mit integrierter VCA

Die Nachteile der klassischen Architektur lassen sich umgehen, wenn die VCA als Komponente in das VMS integriert wird. Damit ist für den Anwender und idealerweise auch für den Administrator des VMS nicht mehr erkennbar, dass die VCA ein eingebundenes externes Modul ist. Parametrierung der VCA sowie Einbindung in das Alarm-Management sind nahtlos in die Oberfläche und Bedienphilosophie des VMS eingebaut. Da das VMS hier die VCA direkt mit den Videodaten versorgt, stehen die VCA-Ergebnisse inklusive beschreibender Metadaten dem VMS auch zur Verfügung. Farbige Objektrahmen können in das Live-Bild eingeblendet werden.

Diese Architektur bietet auch die Möglichkeit, frame-genaue Metadaten im VMS abzuspeichern und später für eine forensische Auswertung erneut zu nutzen. Damit sind Fragestellungen wie: "Wer hat sich in den letzten 24 Stunden in dem gerade markierten Bereich aufgehalten?" sehr schnell und effizient zu beantworten. Das VMS muss dafür keine Videodaten analysieren, sondern stellt anhand der archivierten Metadaten sekundenschnell die gewünschten Ergebnisse bereit.

Um mit dieser Architektur viele HD-Kameras mit VCA ohne massiven Hardware-Einsatz beherrschen zu können, sind im VMS spezielle Technologien erforderlich. Das VMS benötigt zwei Videodatenströme von der Kamera: einen hochauflösenden HD-Strom zur Anzeige und Archivierung, sowie einen niedrig auflösenden für die VCA. Die VCA-Ergebnisse aus dem zweiten Strom müssen frame-genau in das HD-Video eingeblendet werden. Diese technisch anspruchsvolle Aufgabe beherrschen derzeit aber nur wenige Hersteller – zum Beispiel das Digivod Videomanagement-System.

Kamera mit integrierter VCA

Beide bisher vorgestellten Varianten erfordern für VCA von HD-Videodaten zwei Videoströme von der Kamera. Die daraus resultierende zusätzliche Netzwerkbelastung und andere Probleme lassen sich umgehen, wenn die VCA bereits in der Kamera durchgeführt wird.

IP-Kameras einzelner Hersteller haben bereits eine leistungsfähige VCA an Bord, andere bieten teilweise die Möglichkeit, den werksmäßigen Funktionsumfang ihrer Kameras mit sogenannten Software-Plugins, zum Beispiel mit einer VCA, zu erweitern. Beide Ansätze nutzen die dezentrale Rechenleistung der Kamera, um die VCA dort auszuführen, wo die Videodaten entstehen. Damit lassen sich auch sehr große Installationen verhältnismäßig einfach realisieren, da weitere Kameras die erforderliche VCA-Rechenleistung selbst bereitstellen.

Die Visualisierung der VCA-Ergebnisse kann von der Kamera direkt in den Videodatenstrom eingebettet werden und macht sie so unabhängig vom VMS im Live-Bild und im Videoarchiv verfügbar. Auch das Speichern der Metadaten innerhalb des VMS ist möglich, sofern die Kamera einen Metadatenstrom bereitstellt und das VMS diesen verarbeiten kann.

Diese VCA-Architektur ist anderen Varianten deutlich überlegen. Dass sie trotzdem bisher vergleichsweise selten zum Einsatz kommt, hat zwei Gründe: 1. Die Auswahl an Kameras, die eine leistungsfähige VCA an Bord haben oder durch Plugin mit einer VCA erweitert werden können, ist beschränkt. 2. Die begrenzte Rechenleistung in einer Kamera bedingt, dass VCA-Algorithmen für Kameras den serverbasierten „Kollegen“ oft eine Generation hinterher hinken.

Beide Gründe verlieren zunehmend an Bedeutung. Neue Kameras verfügen oft über ausreichend Rechenleistung, auch für leistungsfähige VCA. Einzelne Hersteller wie zum Beispiel Riva bieten ganze Kamera-Serien mit integrierter VCA an, die alle gängigen Einsatzgebiete abdecken und bei denen sich einzelne Analysen im Bedarfsfalle auch nachträglich per Lizenz aktivieren lassen.

Abgrenzung: Videoanalyse und Bewegungserkennung

Auf fast jeder Netzwerkkamera steht eine Motion Detection (Bewegungserkennung) zur Verfügung. Diese sollte aber nicht mit einer Video Content Analysis (VCA) verwechselt werden. Eine VCA identifiziert durch eine in Echtzeit laufende Analyse unterschiedliche Objekte im überwachten Bereich. Je nach Leistungsfähigkeit ermöglicht die VCA dabei die Klassifizierung der erkannten Objekte zum Beispiel nach Größe (Tier, Mensch, Fahrzeug, Gruppe von Menschen), Verweildauer, Bewegungsgeschwindigkeit und Richtung der Bewegung.

Gute VCA-Algorithmen sind selbstlernend und passen ihre Sensitivität permanent an schwankende Umgebungsbedingungen an, zum Beispiel aufgrund von sich ändernden Beleuchtungsverhältnissen, sich wiederholenden Bewegungen oder Reflexionen und Spiegelungen. Zusätzliche Filter einiger VCA-Algorithmen ermöglichen darüber hinaus auch die auf die jeweilige Anwendung und Umgebung angepasste Interpretation des Verhaltens der erkannten Objekte. Ein solcher Filter kann eine Alarmierung immer nur dann auslösen, wenn ein Objekt sich zu lange in einem kritischen Bereich aufhält, oder wenn ein als Person identifiziertes Objekt sich auffällig schnell bewegt, oder einen Gegenstand dauerhaft im Überwachungsbereich abstellt (Lost Item).

Eine kamerainterne Motion Detection erkennt und identifiziert dagegen keine Objekte. Vereinfacht gesagt, vergleicht sie lediglich eine kleine Anzahl aufeinanderfolgender Videobilder miteinander. Bei Überschreitung zuvor definierter Schwellwerte kann eine Motion Detection aus diesem Vergleich ein nicht klassifiziertes Bewegungsereignis erzeugen – nicht mehr und, bei guter Parametrierung, auch nicht weniger. Für einfache Bewegungserkennung, vorzugsweise bei stabilen Beleuchtungsverhältnissen im Innenbereich, sind die meisten Motion-Detection-Implementierungen hinreichend gut verwendbar. Für den Einsatz in der Außenüberwachung oder für qualifizierende Videoanalysen wird im professionellen Umfeld allerdings nur eine VCA-Lösung die gewünschten Ergebnisse liefern können.

VCA von HD-Videodaten ist durchaus machbar, wenn man ein paar grundlegende Regeln beachtet. Am einfachsten ist die Kombination von Kameras mit integrierter VCA mit einem VMS, das die Möglichkeiten dieser Kameras vollständig unterstützt. In ein VMS integrierte VCA bieten maximale Flexibilität bei der Auswahl der Kameras, erfordern aber spezielle Vorkehrungen im VMS, um den Hardware-Einsatz in Grenzen zu halten.

Dr. Karsten Fourmont, Geschäftsführer & Andreas Spira, Produktmanager, Digivod GmbH

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