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Wirtschaftskriminalität

Betrugsradar entwickeln

Wirtschaftskriminalität – ein Delikt, das die deutsche Wirtschaft jährlich Milliarden Euro kostet. Seit Januar gibt es nun ein Projekt EWV (Erkennung von Wirtschaftskriminalität und Versicherungsbetrug), das versucht, Versicherungsbetrug und Geldwäsche auf die Schliche zu kommen. PROTECTOR befragte dazu Dr. Martin Steinebach vom Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT.

Geldwäsche: Illegal erwirtschaftetes Geld wird in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf geschleust.
Geldwäsche: Illegal erwirtschaftetes Geld wird in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf geschleust.

PROTECTOR: Wie hoch schätzen Sie die jährlichen Schäden durch Wirtschafts-kriminalität?

Dr. Martin Steinebach: Zunächst zur Begriffsdefinition: Wirtschafts-kriminalität ist hier eigentlich eher der Oberbegriff, der aus der Projekt-ausschreibung stammt. Das Projekt adressiert konkret die Themen Versicherungsbetrug und Geldwäsche.

Zahlen, die uns vorliegen, sind die Schätzung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), der in Deutschland von jährlich vier Milliarden Euro Schaden durch Versicherungsbetrug in Schaden- und Unfallversicherungen ausgeht. Das Beratungsunternehmen Aite Group prognostiziert für die gleiche Versicherungssparte in den USA einen Schaden durch Versicherungsbetrug von 80 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015.

Welche Delikte untersuchen Sie nun im Rahmen Ihres Projekts genauer? Geht es um „Otto Normalverbraucher“ und den falsch gemeldeten Fahrraddiebstahl oder um Großschäden an Unternehmen?

Beides, hier werden sowohl kleine Fälle als auch Großschäden betrachtet. Wir gehen allerdings davon aus, dass die Großschäden die größeren Herausforderungen mit sich bringen werden, da hier einfach die Komplexität der Zusammenhänge und die zu betrachtende Datenmenge größer ist.

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Wie kam es überhaupt zum Projekt EWV? Wer ist daran beteiligt?

Das Konzept für das Projekt entstand aus einem Dialog mit einem Forensiker, der Experte für Versicherungsbetrug ist, und der mit uns im Dialog über eine Reihe von Technologien stand, die wir entwickeln. Gemeinsam haben wir uns überlegt, dass die Ausschreibung des BMBF zum Themen Wirtschaftskriminalität eine passender Rahmen wäre, die gemeinsame Arbeit zu intensivieren.

Wir haben dann zusammen eine Konsortium aufgebaut, welches die verschiedenen unserer Meinung nach notwendigen Kompetenzen aufwies, um das Thema umfassend und interdisziplinär zu behandeln. Nachdem wir die erste Runde der Ausschreibung erfolgreich gemeistert hatten, stellte sich leider heraus, dass die formellen Rahmenbedingungen im Projekt für den Experten nicht passten, woraufhin er das Konsortium verließ und wird, die Konsortialführung übernahmen.

Beteiligt sind neben dem Fraunhofer SIT auch die MH Service GmbH, die Universität Kassel, die Universität Passau, die Fachhochschule Dortmund, das Institut Psychologie & Bedrohungsmanagement und als assoziierte Partner die Mannheimer Versicherung sowie das Finanzamt Gotha.

Dr.-Ing. Martin Steinebach

Welche Ziele verfolgen Sie?

Übergeordnetes Ziel ist es, groß angelegte Betrugsversuche im Versicherungsumfeld aufzudecken. Das können sowohl Großschadensfälle sein, aber auch häufig auftretende kleinere Schadensfälle. Weiterhin soll das Thema Geldwäsche im Umfeld von Versicherungen betrachtet werden. Wie kann erkannt werden, dass das Abschließen einer Versicherung nur dem Zweck dient, durch diese Schwarzgeld zu waschen?

Die Partner entwickeln dazu Verfahren, mit denen Hinweise auf Versicherungsbetrug möglichst automatisiert erkannt werden können. Mit speziellen Analyseverfahren für Bilder und Finanzdaten lassen sich Verdachtsfälle identifizieren oder sogar Betrugsversuche direkt belegen.

Weiterhin wird mit psychologischen Analysemethoden das Verhalten von Versicherungsbetrügern betrachtet. Die im Projekt involvierten Juristen prüfen, wie gerichtsverwertbar die entwickelten Ansätze sind und ob sie den Datenschutz ausreichend beachten. Und nicht zuletzt nehmen wir auch die Perspektive der Wirtschaft ein und analysieren die Auswirkungen unserer Verfahren auf die Versicherungsbranche. Letztendlich muss ja gewährleistet sein, dass der Gewinn durch die Aufdeckung höher ist als der Aufwand, um sie zu erreichen.

Wie „funktioniert“ EWV? Wie gehen Sie bei der Auswertung von Straftaten vor?

Das herauszufinden, ist ja erst einmal ein Projektziel. Ich vermute, wir werden beispielsweise eine Reihe von Werkzeugen entwickeln, die bei einer Schadensmeldung die Belege auf Hinweise von Betrug untersuchen und gegebenenfalls dem Bearbeiter dann entsprechende Warnungen anzeigen. So kann die Handhabe von Meldungen beschleunigt werden. Bei größeren Fällen greifen eher die Hardware-Lösungen mit geeigneten Schnittstellen und Datendurchsatz.

Sie werten dazu ja zahlreiche Daten aus. Wie sieht es mit dem Datenschutz bei diesem Projekt aus?

Datenschutz und Forensik sind immer eine spannende Konstellation. Wir haben im Projekt mit Professor Hornung von der Universität Passau einen Experten, der sich genau mit diesem Thema beschäftigen wird. Ich denke, das ist eine sehr gesunde Konstellation: Wir entwickeln Algorithmen, die die Daten auswerten, und prüfen so, was technisch machbar ist. Parallel dazu wird aber auch untersucht, was rechtlich erlaubt ist. So kommen wir hoffentlich zu Methoden, die dann auch in die Praxis überführt werden können.

Eine spannende Frage wird aber auch sein, ob wir Realdaten erhalten können, um mit diesen im Projekt unsere Verfahren zu evaluieren. Verständlicherweise sind wir hier in der Vergangenheit bei ähnlichen Anliegen auf Zurückhaltung gestoßen. Vielleicht finden sich aber Unternehmen, die nach ausreichender Anonymisierung oder von ihnen durchgeführter Pseudonymisierung bereit sind, Daten zur Verfügung zu stellen.

„Das Aufdecken krimineller Handlungen ist ein Wettrennen zwischen Täter und Ermittler.“

Als Ergebnis des Projektes vermute ich mal eine Software zur Prävention?

Nicht ganz. In den BMBF Projekten wird die Entwicklung maximal bis hin zu einem Demonstrator gefördert. Aber Sie vermuten insofern richtig, dass man nach Abschluss eine fundierte Vorstellung haben wird, wozu Software im Rahmen der Erkennung von Versicherungsbetrug in der Lage ist. Sie wird aber nicht so ausgereift sein, dass danach ein Unternehmen direkt zur Anwendung übergehen kann. Dazu muss noch der Schritt des Transfers hin zum Prototypen und dann zur Integration in ein produktives System erfolgen.

Diese Schritte müssen dann von der Industrie finanziert werden. Als Ergebnis kommen aber auch eine ganze Reihe von Dokumenten und Richtlinien heraus, die zum Beispiel verschiedene rechtliche Aspekte betrachten. Das Projekt ist ganz explizit kein reines Entwicklungsprojekt für Software, sondern primär eine interdisziplinäre Betrachtung des Projektgegenstandes.

Beschreiben Sie uns den „Demonstrator“ bitte genauer?

Dieser wird aus einer Reihe von Methoden bestehen, die ganz unterschiedliche Arten des Versicherungsbetrugs aufdecken können. Ganz einfache Faktoren wie Schadensfotos , die aus dem Internet stammen und nicht den wirklichen Schaden des Versicherungsnehmers widerspiegeln, werden ebenso adressiert wie komplexe Analysen von Kontenbewegungen, die Geldflüsse aufdecken.

Wie ist Ihre Prognose: Wird Wirtschaftskriminalität ein „Dauerbrennerthema“ bleiben oder kann das Delikt doch zurückgedrängt werden?

Das Aufdecken krimineller Handlungen ist eigentlich immer ein Wettrennen zwischen Täter und Ermittler. Ich denke, es werden immer wieder neue Ideen für Betrug entwickelt werden. Vielleicht gelingt es, einzelne Ausprägungen durch technisch unterstütze Ermittlungsverfahren so effizient aufzudecken, dass hier das Delikt tatsächlich zurückgedrängt werden kann. Allgemein bin ich da aber eher skeptisch: Wirtschaft und die Beziehungen darin sind nun einmal komplex; und in dieser Komplexität werden auch immer wieder Kriminelle erfolgreich und unentdeckt aktiv sein.

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