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Gepanzerte Pkw 20. Mai 2015

Mobile Trutzburgen

Die Nachfrage an Sonderschutzfahrzeugen ist in den letzten Jahren stetig angestiegen. Vor allem in Krisengebieten besteht ein erhöhter Bedarf an gepanzerten zivilen Fahrzeugen. Daneben wappnen sich aber auch immer mehr Menschen in vermeintlich gefährlichen Städten oder Regionen mit entsprechend geschützten Autos gegen Kriminalität.

Mercedes bietet seine Flagschiffe auch in einer gepanzerten Version an.
Mercedes bietet seine Flagschiffe auch in einer gepanzerten Version an.

Während sich ein hundertprozentiger Schutz aufgrund der Vielfalt an Bedrohungen mit Schuss- oder Sprengwaffen nicht gewährleisten lässt, bemühen sich die Fahrzeugbauer dennoch, ihre Fahrzeuge für die vorgesehenen Einsatzprofile so sicher wie möglich zu konstruieren. Die Sicherheit hängt dabei nicht zuletzt auch von der erfolgreichen Zertifizierung eines Sonderschutzfahrzeuges ab, die anhand geltender Prüfnormen und -richtlinien durchgeführt werden muss. Nur so können Kunden sicher sein, dass ein Fahrzeug auch über die entsprechenden Leistungsmerkmale verfügt.

Gerade im Gebrauchtwagenmarkt, auf dem auch gepanzerte Fahrzeuge angeboten werden, sind die Bezeichnungen der Widerstandsklassen oft nicht konkret oder sogar irreführend. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Prüfergebnisse einzelner Komponenten oder Materialien auf das gesamte Fahrzeug übertragen werden. Hier entsteht als Folge ein falscher Gesamteindruck der Schutzwirkung, der fatale Folgen haben kann.

Prüfrichtlinien

Zur Bewertung der Widerstandfähigkeit eines Fahrzeugs gegen verschiedene Munitionsarten und Geschosstypen existieren mehrere Normen und Richtlinien. Die aktuelle Richtlinie mit produktspezifischen Anforderungen an die Durchschusshemmung und Prüfverfahren BRV 2009 (Bullet Resistant Vehicles) weist zur BRV 1999 einige signifikante Unterschiede auf. In Übereinstimmung mit der BRV 1999 waren die Fahrzeuge nur unter den beiden Winkeln 90 Grad und 45 Grad zum Fahrzeug zu beschießen. Gemäß BRV 2009 sind Sonderschutzfahrzeuge unter beliebigen Winkeln zu beschießen, um ein möglichst realistisches Ergebnis zu erhalten, da Angriffe selten aus exakt einer Richtung und einem Winkel erfolgen. Außerdem weist die neue BRV gegenüber der alten Fassung neue Schutzklassen auf, die nun bis zur Stufe zehn reichen, wobei einige neue Kaliber hinzukommen sind.

Einsätze nicht zuletzt in Afghanistan und Irak haben ferner den notwendigen Schutz gegenüber IEDs – Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen – gezeigt. Daher sind in der Norm ERV 2010 (Explosive Resistant Vehicles) die Anforderungen für einen entsprechenden Schutz gegen Sprengwaffen definiert. Dabei muss ein Fahrzeug etwa eine Sprengstoffmenge von 15 Kilogramm TNT-Äquivalent aus zwei Metern Entfernung und in einer Höhe von einem Meter überstehen. Diese Anforderungen sind nicht einfach zu erfüllen, da die Energie der Stoßwelle zentral auf die B-Säule des Fahrzeuges trifft und eine verheerende Wirkung entfalten kann.

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Auszug Stanag4569

Die gestiegene Nachfrage nach einem entsprechenden Sprengschutz hat dazu geführt, dass nun viele Fahrzeuge auch nach der Nato Richtlinie Stanag (Standardization Agreement) 4569 zertifiziert werden. Die Prüfung beinhaltet sowohl Geschosse aus militärischen Handwaffen wie auch Sprengtests mit unterschiedlichen Sprengsätzen und -größen.

Anspruchsvolle Entwicklung

Die Herausforderung beim Design von Sonderschutzfahrzeugen liegt zuerst in der ausreichenden Panzerung des Fahrzeugs innerhalb der gewünschten Widerstandsklasse. Dabei dürfen auch die unvermeidlichen Schwachstellen, zu denen vor allem die Übergänge wie alle Fugen, Türspalten, Stöße, Überlappungen, Verschraubungen und Verschweißungen, Kabeldurchführungen, Belüftungsdurchlässe oder Tank und Tanköffnungen gehören, nicht vernachlässigt werden.

Ziel ist es, einen hermetisch abgeschlossenen Fahrzeuginnenraum herzustellen. Die Arbeit hierzu erfolgt nicht in Automation, sondern in klassischer Handarbeit, da die komplexen Arbeiten an Material und Karosserie, anders als in der Serienproduktion der ungepanzerten Varianten, nicht von Maschinen erfolgen kann.

Sondertraining nötig

Bei der Realisierung der gepanzerten Ausführung ist zu berücksichtigen, dass das Fahrzeug für den Fahrer noch steuerbar sein muss. Materialstärken können für einen ballistischen Schutz nicht unbegrenzt erhöht werden, da sich dies entsprechend auf das Gesamtgewicht auswirkt. Nicht nur die Motorisierung ist hiervon betroffen, auch Komponenten wie Achsen und Aufhängung müssen das zusätzliche Gewicht verkraften. Ein Fahrzeug in Serie oder nachgerüstet kann damit schnell das Doppelte gegenüber der normalen Ausführung wiegen, und das hat unmittelbare Auswirkungen auf das Fahrverhalten.

Anbieter von Serienfahrzeugen verkaufen daher nicht nur das Fahrzeug, sondern gleich auch noch das entsprechende Training für den Chauffeur. Insofern ist neben den Konstrukteuren von Sonderschutzfahrzeugen auch die materialliefernde Industrie gefordert, etwa Stahlproduzenten. Hier stehen Qualitätssicherung und neue Verfahren zur Sicherheitsstahlerzeugung an oberster Stelle, wenn es um die Verstärkung von Panzerungen geht. Ähnlich sieht es beim Panzerglas aus. 135 Kilogramm für eine zehn Zentimeter dicke Frontscheibe sind nicht ungewöhnlich. Hier wird Entwicklungs- und Forschungsarbeit notwendig sein, um die lichtdurchlässigen Elemente eines Fahrzeugs auch in Zukunft ausreichend schützen zu können. Letztlich müssen sich alle schützenden Komponenten bei den zivilen Ausführungen in das ursprüngliche Fahrzeugdesign harmonisch einfügen, damit man von außen nicht sofort erkennt, dass es sich um ein besonderes Fahrzeug handelt. Von der Unauffälligkeit geht damit immer noch der beste Schutz aus.

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