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Potenziale nutzen

Der islamistische Terrorismus ist nicht nur in Paris und Brüssel angekommen. Auch Deutschland liegt im Zielspektrum dieser Terroristen. Angesichts der konkreten dschihadistischen Gefahr stellt sich die Frage, in welcher Weise die Sicherheitswirtschaft einen Beitrag zur Terrorismusbekämpfung leisten kann.

Der islamistische Terrorismus hat auch Deutschland erreicht.
Der islamistische Terrorismus hat auch Deutschland erreicht.

Am 18. Juli 2016 griff ein junger Afghane mehrere Fahrgäste in einem Würzburger Regionalzug mit Axt und Messer an und verletzte sie schwer. Mit der Veröffentlichung des Tätervideos nutzte der IS die terroristische Aktion propagandistisch aus. Einige Tage später zündete ein Täter, der in Syrien auf den Bau von Bomben spezialisiert worden war, eine Bombe an seinem Körper im fränkischen Ansbach. Im Internet veröffentlichte der IS einen Nachruf. Das BKA warnt in der aktuellen Gefährdungslage „Islamistischer Terrorismus“, dass Deutschland von verschiedenen international ausgerichteten dschihadistischen Organisationen als Gegner wahrgenommen wird. Die anhaltend hohe abstrakte Gefährdung könne sich jederzeit konkretisieren. Es sei davon auszugehen, dass sich auch unter den nach Deutschland Geflüchteten aktive Mitglieder terroristischer Organisationen befänden. Die Festnahme von drei tatverdächtigen Syrern in der Nähe von Hamburg im September hat diese Annahme belegt.

Der Beitrag der Sicherheitswirtschaft

Die Aufgabe, Radikalisierungen, Anschlagsvorbereitungen und Anschläge im Versuchsstadium zu erkennen und zur Tat Entschlossene rechtzeitig festzunehmen, liegt in erster Linie bei den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder. Dass auch die Sicherheitswirtschaft zur Erfüllung dieser Aufgabe einen wesentlichen Beitrag leisten kann, klingt zunächst befremdlich, wenn man bedenkt, dass Sicherheitsdienstleister grundsätzlich gar keine Hoheitsbefugnisse haben. Auf den zweiten Blick ist aber festzustellen: Die Sicherheitswirtschaft entwickelt, produziert und betreibt Sicherheitstechnik, ohne die die Abwehr und die Detektion terroristischer Anschlagsvorbereitungen und terroristischer Täter nicht möglich wäre. Und Sicherheitsdienstleister haben die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Aufträge verdächtige Umstände und Personen zu erkennen und rechtzeitig den Verfassungsschutz und/oder die Polizei zu informieren.

Diese Möglichkeit besteht insbesondere im Rahmen des Schutzes von Flüchtlingsunterkünften sowie im Öffentlichen Personenverkehr (ÖPV), beim Schutz anderer kritischer Infrastrukturen, bei der Einlasskontrolle in Sportstadien und beim Schutz öffentlicher Veranstaltungen. Im Zielspektrum der Terroristen liegen vor allem offen zugängliche, „weiche“ Ziele, die eine möglichst hohe Zahl von Opfern versprechen.

Videoüberwachung und Zutrittskontrolle

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Videoüberwachung hat sich als unentbehrlich bei der Bekämpfung physischer Gewaltkriminalität und vor allem bei der Terrorismusabwehr erwiesen. Intelligente Auswertungssoftware detektiert vordefiniertes auffälliges Verhalten sowie stehen gelassene verdächtige Gegenstände und führt nach einem Anschlag zur Täterermittlung. Lange Zeit wurde die Videoüberwachung von Datenschützern kritisiert und in ihrer Anwendbarkeit stark begrenzt. Mit der zunehmenden Zahl von Fahndungserfolgen, die ohne Videoüberwachung nicht denkbar gewesen wären, ist es in der kritischen Beurteilung stiller geworden. So vermerkte die Süddeutsche Zeitung schon im Januar 2015, wer sich beispielsweise im öffentlich Raum in München bewege, werde „von Tausenden Überwachungskameras erfasst“.

Allein Verkehrsunternehmen, Polizei und Ministerien betrieben in München mehr als 9.200 Kameras. Zum Beispiel habe die Münchner U-Bahn alle rund hundert Bahnhöfe mit Kameras ausgestattet. Die Polizei könne mit diesen Kameras „virtuelle Streifen“ fahren. 4K-Kameras mit hoher Auflösung eignen sich insbesondere für die Personenerkennung. Und die Wide- Dynamic-Range-Technologie oder Multifocalsensor-Technologie führt zu homogenen Auflösungen unabhängig von der Bildtiefe.

Bei der Zutrittskontrolle zu nicht öffentlich zugänglichen Bereichen werden maschinenlesbare Ausweise und/oder biometrische Verfahren zur Identifizierung der Zutrittsberechtigten durch Fingerabdruck oder Handflächenabdruck eingesetzt. Datenverschlüsselung und Einmal-Passwörter erhöhen die Authentifizierungssicherheit. Die Detektion von Waffen und gefährlichen Gegenständen bei den Passagier- und Gepäckkontrollen in Flughäfen und in Seehäfen wäre ohne die Röntgentechnik und die Körperscanner nicht möglich. Sie garantieren eine grundsätzlich lückenlose Luftverkehrs- und Seeverkehrssicherheit.

Mensch und Technik

Die beispielhaft erwähnten Sicherheitstechniken entfalten natürlich ihre Wirkung nur, wenn sie von zuverlässigen,speziell qualifizierten, hoch konzentrierten Einsatzkräften bedient werden. Immer wieder finden „Realtests“ bei den Passagier- und Gepäckkontrollen auf Flughäfen statt, um ihre Zuverlässigkeit zu prüfen und sicherzustellen. Das von mir geführte Unternehmen Securitas, das allein in der Branche Aviation ungefähr 3.000 qualifizierte Mitarbeiter einsetzt, führt zusätzlich immer wieder unternehmensinterne Qualitätskontrollen durch.

Schutz von Flüchtlingsunterkünften

Rund 25.000 Einsatzkräfte von Sicherheitsdienstleistern schützen Flüchtlingsunterkünfte und ihre Bewohner vor Angriffen möglicher Gewalttäter, aber auch vor Auseinandersetzungen innerhalb der jeweiligen Unterkunft. Diese Tätigkeit gibt den Einsatzkräften die Möglichkeit, Verhaltensweisen einzelner Personen zu erkennen, die auf eine Radikalisierung hindeuten, und vor allem auch Radikalisierungsversuche von externen Salafisten. Die unverzügliche Meldung solcher Entwicklungen und Radikalisierungsversuche an den Verfassungsschutz und/oder die Polizei führt nicht etwa zu einem „Generalverdacht“ gegenüber allen Flüchtlingen. Ohne die Mitteilung solcher Verdachtsfälle kann die Gefahr der weitergehenden Radikalisierung und der Vorbereitung eines etwaigen Anschlags nicht abgewendet werden.

Schutz kritischer Infrastrukturen

Ein für terroristische Anschläge geeignetes „weiches Ziel“ sind Verkehrsmittel und Bahnhöfe im ÖPV. Die Anschläge in Madrid, London, Paris, Brüssel und zuletzt in Würzburg haben das eindeutig gezeigt. Auch hier hat nicht nur die Polizei, sondern haben die Einsatzkräfte von Sicherheitsdienstleistern die Möglichkeit, Täter in der „Vortatphase“ zu erkennen und hoheitliche Maßnahmen einzuleiten oder unter Umständen selbst einzuschreiten. Auch beim Schutz anderer kritischer Infrastrukturen wie dem Schutz von Kernkraftwerken und anderer Versorgungseinrichtungen gehört es zum Auftrag der Einsatzkräfte, Anzeichen für einen bevorstehenden Anschlag zu erkennen und ihn möglichst abzuwehren, so schwer und gefährlich dies auch sein mag.

Entlastung für die Polizei

Einen indirekten – nicht minder wertvollen – Beitrag zur Terrorismusbekämpfung leistet das Sicherheitsgewerbe dadurch, dass es die Polizei durch Wahrnehmung von Sicherheitsfunktionen ohne Hoheitsbefugnisse im „Sicherheitsalltag“ des Personen-, Objekt- und Ereignisschutzes entlastet, so dass sich die Polizei in Koopertion mit dem Verfassungsschutz intensiver auf spezifische Funktionen der Terrorismusprävention und Detektion terroristischer Entwicklungen fokussieren kann.

Optimierung der Sicherheitstechnik

Die Technologien befinden sich in einem permanenten Innovationsprozess. Das gilt natürlich auch für Sicherheitstechniken, die zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt werden. Beispiele dafür bilden:

  • eine immer intelligentere Bildanalyse bei der Videoüberwachung, immer leistungsfähigere Kamerasysteme oder die 3D-Erfassung zur Gesichtserkennung
  • der Einsatz von Körperscannern zur sicheren Detektion gefährlicher Gegenstände und Sprengstoffe bei Personenkontrollen
  • die Weiterentwicklung biometrischer Verfahren – auch der Spracherkennung -, um sie möglichst fehlalarmresistent und zuverlässig zu machen.

Qualifikation der Sicherheitsdienstleister

Auch in der Qualifizierung der Einsatzkräfte von Sicherheitsdienstleistern sind noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um ein Maximum an Awareness, an Fähigkeit im Profiling und Beherrschung der eingesetzten Sicherheitstechnik zu erreichen. Hier kommt den Akademien der leistungsstarken Sicherheitsdienstleister und der vom BDSW anerkannten Schulen eine große Bedeutung zu. Sowohl in den USA wie in Israel wird bei Personenkontrollen sehr stark das Profiling eingesetzt. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Ausbildungsprogramm, das die Hamburger Hochbahn- Wache mit der Security des Flughafens Hamburg und der Hamburger Hochschule der Polizei entwickelt hat. Das Programm geht davon aus, dass potenzielle Täter in der „Vortatphase“ auf dem Weg zum Tatort typische Täterprofile und Verhaltensmuster zeigen, die vom normalen Verhalten abweichen.

Diese Muster und Bewegungsabläufe sollten die Aufmerksamkeit des Sicherheitspersonals erregen. Ob ein unmittelbares Eingreifen aufgrund einer Notwehr- oder Nothilfesituation das richtige Vorgehen ist oder die unverzügliche Meldung an die reaktionsbefugte nächste Polizeistreife,das zuständige Polizeirevier oder die Verfassungsschutzbehörde, kann nur im Einzelfall entschieden werden.

Auf jeden Fall ist in solchen Fällen Eile geboten. Die Meldewege müssen zur Zeitersparnis im Rahmen der bestehenden Sicherheitspartnerschaften zwischen der Polizei und den Sicherheitsdienstleistern festgelegt werden. Je besser Polizei, Verfassungsschutz und Sicherheitsdienstleister zusammenarbeiten – selbstverständlich unter Wahrung der unterschiedlichen Kompetenzen und Befugnisse sowie des vorgeschriebenen Datenschutzes – umso eher kommt die von der Innenministerkonferenz vorgenommene Bewertung des Sicherheitsgewerbes als Säule der Infrastruktur der inneren Sicherheit zum Tragen, auch in der Abwehr terroristischer Gefahren.

Manfred Buhl, CEO Securitas Deutschland, Vizepräsident BDSW

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