Direkt zum Inhalt
Editorial 7. Februar 2017

Verunsichert ins neue Jahr

Die politische Debatte zu Beginn des neuen Jahres in Folge des Anschlags auf einen Berliner Weihnachtsmarkt war in ihrer Wucht erstaunlich, wurden doch grundlegende staatliche Strukturen in Frage gestellt, die seit der Gründung der Bunderepublik Deutschland zu deren Selbstverständnis gehören und die im Grundgesetz aus gutem Grund verankert sind.
Andreas Albrecht, Chefredakteur.
Andreas Albrecht, Chefredakteur.

Ist Föderalismus noch zeitgemäß? Müssten Sicherheitsorgane nicht zentral koordiniert und gelenkt werden? Ist der Rechtssaat überhaupt noch in der Lage, seine Bürger zu schützen? Fragen wie diese, die Zweifel an der Wehrhaftigkeit der demokratischen Grundordnung selbst implizieren, verdeutlichen bei aller berechtigten Kritik an den Ermittlungspannen nach dem Berliner Attentat vor allem die Verunsicherung, die Gesellschaft und Politik gleichermaßen erfasst hat. Auf politischer Ebene konterkarierte etwa Innenminister de Maizière nach dem Anschlag in Berlin seine eigene Einschätzung einer weiterhin „hohen Bedrohungslage“, die nach zeitnah umsetzbaren Lösungen verlangt, mit seiner kurz darauf erhobenen Forderung nach einer Stärkung des Bundeskriminalamts (BKA), der Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz zugunsten einer Bundesverwaltung sowie dem Ausbau der Bundespolizei.

Pläne, die nicht nur vorhersehbar auf Widerstand und Kritik von Landesbehörden und -politikern stießen, sondern die außerdem auf eine Föderalismusreform hinauslaufen, die Jahre dauern würde, was wiederum den falschen Eindruck in Teilen der Bevölkerung verstärkt, die Sicherheitsbehörden stünden der Bedrohung aktuell rat- und tatenlos gegenüber. Doch auch die Kritik an de Maizières Plänen dürfte teilweise nicht gerade zur Beruhigung beigetragen haben.

So bezeichnete beispielsweise Bayerns Innenminister Joachim Herrmann den Vorschlag, der Bundespolizei mehr Aufgaben zu übertragen, als „geradezu abwegig“, habe diese doch nicht einmal genug Personal, um überall in Deutschland die Grenzen wirksam zu kontrollieren. Damit stellte Herrmann einen Zusammenhang zwischen der unkontrollierten Einreise von Flüchtlingen und terroristischen Anschlägen her, den es zwar bisher nicht gibt, der bei Teilen der Bevölkerung inzwischen aber großen Anklang findet und der das Misstrauen in Gesellschaft und Politik weiter verstärken dürfte.

Wie ausgeprägt das Gefühl der Unsicherheit in Deutschland bereits ist, zeigt unter anderem eine repräsentative Studie, die der Hersteller von Videomanagement- Software Seetec mit dem Meinungsforschungsinstitut Yougov durchgeführt hat (einen ausführlichen Bericht lesen Sie dazu auf den Seiten 31 bis 32 in dieser Ausgabe). Über zwei Drittel empfinden demnach eine Verschlechterung der Sicherheitslage an öffentlichen Plätzen, über 60 Prozent fühlen sich bedrohter als noch vor zwei Jahren. Der Islamische Staat dürfte sich angesichts dieser Zahlen bestätig sehen. Die Erschütterung an den Glauben in demokratische Grundwerte, das Schüren von Angst und gegenseitigem Misstrauen bis in den Alltag hinein, ist Teil seiner Strategie. Und man muss leider sagen: sie funktioniert. Andreas Albrecht

Passend zu diesem Artikel