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Praxisnah und flexibel

Im vergangenen Herbst konnte die Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen (HfÖV) den zehnten Geburtstag ihres Studiengangs „Risiko- und Sicherheitsmanagement“ feiern. Über ein sich veränderndes Risikobewusstsein sprach PROTECTOR & WIK mit der Studiengangsleiterin Professor Dr. Claudia Kestermann.

Prof. Jörg Ziercke bei seiner Antrittsvorlesung im Rahmen des 20. Forums Risiko- und Sicherheitsmanagement.
Prof. Jörg Ziercke bei seiner Antrittsvorlesung im Rahmen des 20. Forums Risiko- und Sicherheitsmanagement.

PROTECTOR & WIK: Wie war es denn 2006 um das Thema Risiko- und Sicherheits-management in Wirtschafts-unternehmen bestellt?

Professor Dr. Claudia Kestermann: Sicherheitsfragen spielen natürlich seit Jahrzehnten auch in der Wirtschaft eine bedeutsame Rolle. Und es wird nicht erst im 21. Jahrhundert über eine sich ändernde Sicherheitsstruktur und über neue Sicherheitsanforderungen in den großen Wirtschaftsunternehmen wie auch im Mittelstand diskutiert.

Im Hinblick auf Risikomanagement kann konstatiert werden, dass dieser Begriff vornehmlich in Finanzabteilungen (als Finanzrisikomanagement) Verwendung fand. Es ist davon auszugehen, dass es faktisch sicher ein unterschiedlich ausgeprägtes operatives und gesamtstrategisches Risikomanagement gab. Uns war es wichtig, dieses Thema wegen seiner besonderen Bedeutung bereits im Titel unseres Studiengangs zu adressieren.

Wenn dieses Thema bisher nicht an Hochschulen angesiedelt war, was hat die HfÖV dann bewogen, einen seinerzeit so „exotischen“ Studiengang anzubieten?

„Exotisch“ erscheint er mir tatsächlich nicht… Der Hintergrund ist folgender: In unseren Gesprächen mit Sicherheitsverantwortlichen aus der Wirtschaft wurden nicht nur die zunehmende Internationalisierung, Anforderungsvielfalt und die sich verändernden Organisationsstrukturen betont, sondern auch ein Bedarf an Personen erkannt, die sich auf akademischen Niveau mit dem Thema Sicherheit befasst haben.

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Professor Dr. Claudia Kestermann

Zunehmende Aufgabenkomplexität und Veränderungsdynamik gehen einher mit erhöhten Ansprüchen an übergreifende Lösungsansätze – das gilt auch und insbesondere in den leitenden Funktionen – und somit ist ein umgrenztes Handlungs- und Erfahrungswissen nicht oder nicht mehr allein ausreichend.

Es gibt also einen Bedarf an akademisch ausgebildeten Risiko- und Sicherheitsmanagerinnen und -managern mit einem gewissen betriebswirtschaftlichen Hintergrund und insbesondere mit der Fähigkeit, die vielfältigen Sicherheitsaufgaben in Wirtschaftsunternehmen wahrzunehmen. Darauf haben wir mit der Einrichtung unseres Studiengangs reagiert, der sich auf „Sicherheit in und für Unternehmen“ konzentriert und damit ein eigenständiges Berufsbild etablieren möchte.

Wie sehen Sie heute den Stellenwert des Risiko- und Sicherheitsmanagements in Unternehmen und Behörden? Sehen Sie in einem Bereich noch Nachholbedarf?

Die Bedeutung des Risiko- und Sicherheitsmanagements ist aus meiner Sicht allgemein anerkannt und in den vergangenen Jahren in vielen Unternehmen gestärkt und ausgebaut worden. Dies ist sicher den zunehmenden Herausforderungen durch beispielsweise Globalisierung, Internationalisierung und Digitalisierung geschuldet und gilt für Konzerne, für KMU und andere Institutionen, aber auch für Behörden.

Die Einbindung der Sicherheitsverantwortlichen vor und in Entscheidungen der Vorstände nehmen bei vielen Fragen kontinuierlich zu – wenn sich über die Kompetenz das Vertrauen aufgebaut hat. Prozessverbesserer – oder „business enabler“ – und kompetente interne Beratung und Unterstützung sind in allen Geschäftsbereichen gefragt. Die Sensibilität für Sicherheitsfragen steigt auch mehr und mehr bei den mittelständischen Unternehmen.

Wie reagieren Sie auf die aktuelle veränderte Bedrohungslage weltweit, aber auch in Deutschland? Gehört mittlerweile die Terrorgefahr zu einem „Standard-Risiko“ für Unternehmen und Behörden?

Die Herausforderungen für Sicherheitsverantwortliche, das heißt für jene, die für die Sicherheit von Menschen, Werten, Informationen und Prozessen einstehen, werden vor dem Hintergrund sozialer, wirtschaftlicher, religiöser und auch anderer Spannungen in vielen Ländern der Welt immer anspruchsvoller. Dass diese Probleme nun auch (Mittel-)Europa erreichen, zeigen die Ereignisse des zurückliegenden Jahres.

An unserer Hochschule haben wir dieses Thema schon länger auf der Agenda. So konnten wir im vergangenen Jahr zwei Honorarprofessoren berufen, die auf diesem Feld besonders ausgewiesen sind. Zum einen handelt es sich um Jörg Ziercke, den ehemaligen Präsidenten des BKA, zum anderen um Dr. Daniel Heinke, Terrorismusforscher und Leiter der Direktion K/LKA der Polizei Bremen.

Es gibt noch andere neue Faktoren, auf die ein Risikomanagement reagieren muss, Stichwort Soziale Medien und Reputationsmanagement. Wie schätzen Sie hier die Entwicklung ein? Wird das eine immer größere Herausforderung werden?

Reputationsschutz - im Sinne der Bewahrung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen - und damit oft einhergehend die professionelle Krisenkommunikation sind essentielle Bestandteile des Risiko- und Krisenmanagements in der Wirtschaft. Um angemessen im Ereignisfall reagieren zu können und die Informationshoheit zu bewahren, bedarf es qualifizierten und ständig ansprechbaren Personals, hinreichender Analysen sowie vorbereiteter Entscheidungen der Geschäftsleitungen und natürlich bestehender Medienkontakte vor den Einsatzfällen. Die Präsenz in den Sozialen Medien ist hierbei zunehmend von Bedeutung.

Auch in anderen Bereichen sind Soziale Medien eine Chance und eine Herausforderung, mit der sich Unternehmen zunehmend beschäftigen – Stichwort: Osint (Open Source Intelligence).

Bleiben wir bei den Unternehmen. Wie haben Sie deren Anforderungen in die Studieninhalte einfließen lassen? Wie gehen Sie mit neuen Entwicklungen um?

Unsere Vorstellung der Studieninhalte haben wir mit den potentiellen Arbeitgebern in der Wirtschaft diskutiert, um die Kompetenzerwartungen zu erheben und das Anforderungsprofil zu schärfen. Letztlich haben wir auf wissenschaftlichen Grundlagen ein Curriculum mit ausgeprägtem Praxisbezug entwickelt. Mit diesem Konzept ist der Studiengang 2007 akkreditiert und 2012 erfolgreich reakkreditiert worden.

Die hohe Qualität der Lehre, die zielgruppenorientierte Ausrichtung und der stete Austausch mit potentiellen Arbeitgebern in der Wirtschaft als auch mit Absolventen und Absolventinnen wurden besonders gewürdigt.

Um neue Anforderungen weiterhin zu identifizieren und als Maßnahmen zur Qualitätssicherung haben wir unsere Berufsfeldanalyse verstetigt, einen Beirat aus Wissenschaft und Praxis eingerichtet, Expertinnen und Experten aus der Praxis in die Lehre eingebunden und das Studium in Theorie und Praxis kontinuierlich evaluiert – um nur einige Aspekte zu nennen.

Wie Sie schon sagten, haben wir es mit einem dynamischen Bereich zu tun, im dem wir auch Entwicklungen verfolgen können: von Krisen- und Notfallmanagement zum Business Continuity Management; oder hin zu gesetzlichen Verpflichtungen, Risikomanagement in den börsennotierten Unternehmen zu entwickeln und zu etablieren.

Wir verfolgen inhaltliche Entwicklungen sehr genau, um zu entscheiden, ob eine Anpassung des Curriculums angezeigt ist. Seit der Einrichtung des Studiengangs haben wir zum Beispiel die Bereiche Business Continuity Management, Supply Chain Management und Risk Management in der Lehre gestärkt.

Wie sieht denn Ihre Zwischenbilanz aus? Wie sind die Berufsperspektiven für Ihre Absolventen?

Tatsächlich war es in den ersten Jahren für die frühen Absolventinnen und Absolventen etwas schwieriger, da das Berufsfeld noch nicht so bekannt war. Heute zählen sehr viele Stellenausschreibungen den Studienabschluss RSM als Einstellungsvoraussetzung explizit auf, und auch die Nachfrage nach (Pflicht-)Praktikanten übersteigt seit vielen Jahren deutlich die Zahl der Studierenden.

Absolventen und Absolventinnen der letzten Abschlussjahrgänge bekamen teilweise bereits direkt nach Abschluss des Praktikums – also ein Jahr vor Abschluss des Studiums – ihren ersten Arbeitsvertrag. Insgesamt zeigt unsere letzte Absolventenbefragung überdurchschnittlich hohe Beschäftigungsquoten, und Absolventinnen und Absolventen gelang – abgesehen von denen, die direkt Master-Studiengänge angestrebt haben – weit überwiegend innerhalb der ersten Monate nach Studienabschluss der berufliche Einstieg.

Was die Einsatzfelder angeht: Die Schwerpunkte der Beschäftigung liegen zum Berufsbeginn in der konzeptionell-operativen Arbeit in den Sicherheitsabteilungen großer bis mittelständischer Firmen und Institutionen in der klassischen Konzernsicherheit (Schutz von Menschen, Werten und Informationen), des Krisen- und Notfallmanagements, des Business Continuity Managements, des Risikomanagements und des Schutzes kritischer Infrastrukturen sowie in Beratungsunternehmen mit gleichen Schwerpunkten.

Dazu gehören auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit ihren Bereichen wie Forensic, Risk Management und Auditing. In Einzelfällen arbeiten sie auch in Behörden wie zum Beispiel dem BSI, dem Verfassungsschutz oder Institutionen wie dem DFB.

Wo sehen Sie das Thema Risiko- und Sicherheitsmanagement in der Zukunft?

Aus unserer Sicht wird das Thema fester Bestandteil des Managements von Wirtschaftsunternehmen und Verwaltungen auch auf den Vorstandsetagen sein. Zudem ist von einer zunehmenden Verzahnung zwischen Hochschulen und den Unternehmen auszugehen, zum einen in der Aus- und Fortbildung, zum anderen in der Forschung, um wissenschaftliche Erkenntnisse für strategische und konzeptionelle Entscheidungen nutzbar machen zu können.

Für Konzerne wie auch für mittelständische Unternehmen ist die Veränderung der Studienlandschaft im Bereich der Sicherheit eine positive Entwicklung, die es ihnen ermöglicht, für ausgewählte Positionen und Funktionen Personen gewinnen zu können, die über die erforderlichen fachlichen Fähigkeiten und Schlüsselqualifikationen verfügen und die nicht zuletzt die wissensbasierten Kompetenzen mitbringen, welche das Innovationspotential erhöhen und zur kreativen und effektiven Lösung heutiger und zukünftiger Probleme beitragen können. ASL

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