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Digitalisierung 9. März 2017

Buzzword oder reale Geschäftschance?

Kaum ein anderes Schlagwort wird zurzeit mehr strapaziert als das der Digitalisierung. Gerade in der Sicherheitstechnik sollte man meinen, dass die digitalen Themen schon längst angekommen sind. Doch Digitalisierung meint mehr als nur intelligente, webbasierte Produkte und Systeme.

Dr. Peter Fey, Leiter Sicherheitstechnik bei der Münchner Unternehmnsberatung Dr. Wieselhuber & Partner.
Dr. Peter Fey, Leiter Sicherheitstechnik bei der Münchner Unternehmnsberatung Dr. Wieselhuber & Partner.

Die Bedeutung des Schlagwortes „Digitalisierung“ für die Sicherheitstechnik haben auch die Ergebnisse des letzten Branchenbarometers (11/2016) belegt. Technologien und die digitale Transformation stehen ganz oben auf der Liste der Megatrends, die die Branche beeinflussen. Doch Hand aufs Herz: Wie weit sind die deutschen Unternehmen und mit ihnen diejenigen der Sicherheitstechnik auf dem Weg der digitalen Transformation, auf dem Weg in die Industrie 4.0, tatsächlich vorangekommen? Nüchtern analysiert, hat die vielgepriesene Disruption noch gar nicht stattgefunden: An der Tagesordnung ist vielmehr eine Weiterentwicklung in kleinen Schritten – derzeit von Industrie 3.6 zu Industrie 3.7. Die Unternehmen der Branche haben in den letzten Jahren enorm vom Trend zu immer leistungsfähigeren und komplexeren Produkten und Systemen für sicherheitstechnische Lösungen und den gestiegenen Anforderungen ihrer Kunden profitiert. Die Umsatzentwicklung war zwar nicht in allen Branchensegmenten zufriedenstellend, aber mit durchschnittlich erwarteten Wachstumsraten in der Höhe von 5,5 Prozent erhoffen sich die Branchenteilnehmer gute Geschäfte für die nächsten zwei bis drei Jahre (Quelle: Branchenbarometer 11/2016 in PROTECTOR & WIK).

Schatztruhe der Branche

Doch können die deutschen Player den Trend der Digitalisierung erfolgreich zu ihren Zwecken nutzen, um ihre Markt- und Wettbewerbsposition zu halten oder gar weiter auszubauen? Die allgemein erwartete F&E-Quote ist mit 4,9 Prozent eher im Mittelfeld anzusiedeln. Zum Vergleich: In der Elektrotechnik-Industrie lag sie 2013 bei 8,6 Prozent, im Maschinenbau bei 2,9 Prozent. Aber werden die Mittel für Innovationen in die attraktivsten Felder gelenkt? Wird ausreichend in Software, neue Services und Geschäftsmodelle investiert? Kann so der Sprung in eine digitale Zukunft gelingen? Digitalisierung ist ganzheitlich zu sehen (siehe Grafik), weshalb die Player immer mehrere Dimensionen im Blick haben sollten. Zum einen geht es um die Frage nach der richtigen Digitalisierungsstrategie und dem zugrunde liegenden Geschäftsmodell, an dem sich das konkrete Leistungsangebot des Unternehmens ausrichtet.

Zum anderen geht es um eine ganzheitliche „End to End“-Integration von smarten Prozessen, wie zum Beispiel neue Schnittstellen zu Kunden und Lieferanten. Auch der intelligente Umgang mit Daten, eine der Kernleistungen der Sicherheitstechnik, wird zum A&O – smarte Daten bilden das Fundament eines ganzheitlichen Digitalisierungsansatzes. Klar ist: Die erforderlichen Technologien sind in der Branche verfügbar. Intelligente Komponenten und Algorithmen, leistungsfähige Übertragungstechnologien sowie Rechner- und Speicherkapazitäten stehen sowohl kostengünstig für die am Markt angebotenen Produkte und Systeme als auch für die Optimierung der internen Prozesse zur Verfügung. Die Unternehmen der Sicherheitstechnik haben die denkbar beste strategische Position: Mit ihren Sensoren sitzen sie auf der „Schatztruhe“ der Branche, mit ihren Komponenten und Systemen werden Daten und Informationen in Unmengen generiert: Digitale Datensätze aus Kameras zur Videoüberwachung, Informationen über den Zu- und Abfluss von Mitarbeitern aus den Zutrittskontrollsystemen, Merkmale und Zustände von Komponenten und ganzheitlichen sicherheitstechnischen Systemen, zum Beispiel zum Perimeterschutz, sind in Echtzeit verfügbar. Immer leistungsfähigere Algorithmen sowie künstliche Intelligenz machen nutzbare Informationen daraus. Ein wahrer Datenschatz also – der häufig noch völlig brach liegt.

Knackpunkt Datenhoheit

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Denn noch viel zu oft verharren Unternehmen der Sicherheitstechnik zu stark in ihrem bisherigen Geschäftsmodell und bieten lediglich digitalisierte Komponenten und Systeme sowie klassische Hardwareorientierte Dienstleistungen an. Die gängigen sicherheitstechnischen Systeme sind daher zwar vielversprechende Ansätze, sie heben den „digitalen Schatz“ der Branche aber noch lange nicht. Weitergehende Services oder Geschäftsmodelle, die über das aktuelle Produkt- und Leistungsangebot hinausgehen, sind oft nicht angedacht beziehungsweise nicht weit genug vorangetrieben. Die Gründe? Ökonomische Vorteile für die Kunden beziehungsweise den Betreiber eines sicherheitstechnischen Systems sind oft nicht klar und Vorbehalte, insbesondere bezüglich der Datensicherheit, sind noch nicht ausgeräumt: Die Datenhoheit hat der Betreiber, nicht aber der Hersteller sicherheitstechnischer Lösungen.

Die Kernfrage lautet letztlich, welche Daten von wem auf welche Weise genutzt werden. Wird der Betreiber künftig bereit sein, dem Komponentenhersteller beziehungsweise Systemanbieter online Zugriff auf seine Daten zu gestatten, um „automatisiert“ Serviceleistungen wie Ersatzteilbeschaffung oder Vorschläge zur Systemoptimierung und damit zur Steigerung der Sicherheit bereit zu stellen? Wenn ja, dann sehen die Bedingungen für den Sprung von Industrie 3.7 zur Industrie 4.0 gut aus. Doch was, wenn nein? In jedem Fall bleibt es spannend zu verfolgen, wie schnell sich innovative Dienstleistungen und neue Geschäftsmodelle flächendeckend in der Sicherheitstechnik durchsetzen – und wer letztendlich den größten Teil des Schatzes und damit des Geschäfts für sich vereinnahmen kann.

Dr. Wieselhuber & Partner GmbH, www.wieselhuber.de

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