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Außer Gefecht setzen

Gerade die Polizei steht bei ihrer täglichen Arbeit dem Risiko von Gewaltanwendung besonders häufig gegenüber. Dabei muss sie stets den Umständen entsprechend die geeigneten Mittel zum Eigenschutz und dem Schutz anderer einsetzen.

Widerstand gegen die Staatsgewalt zum Beispiel bei Verkehrskontrollen, aber auch Körperverletzung gegen Polizeivollzugsbeamte steigen an.
Widerstand gegen die Staatsgewalt zum Beispiel bei Verkehrskontrollen, aber auch Körperverletzung gegen Polizeivollzugsbeamte steigen an.

Allein 2015 wurden in Berlin 1.917 Körperverletzungs- delikte gegen Polizeibeamte registriert. Bundesweit haben die Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) 2015 im Vergleich zu 2014 unbedeutend zugenommen, nämlich von 21.937 Fällen 2014 auf 21.945 Fälle 2015. Weit stärker ist allerdings die vorsätzliche einfache und schwere Körperverletzung gegen Polizeivollzugsbeamte angestiegen. Hier gab es 2015 14.756 beziehungsweise 4.071 Fälle, was einen Anstieg gegenüber 2014 um 8,6 beziehungsweise 4,9 Prozent bedeutet. Dabei wurden die meisten Taten unter Alkoholeinfluss begangen, etwa 57 Prozent. Weiteren Studien zufolge ereignen sich die meisten Delikte an öffentlichen Orten und bei Einsätzen wegen Streitigkeiten, Straften und Festnahmen.

Schutzmaßnahmen

Die Zunahme an Gewaltdelikten gegenüber der Polizei hat seit einigen Jahren die Diskussion um bessere Schutzmöglichkeiten angestoßen. Mindestens seit 2009 gibt es in diesem Zusammenhang auch die Forderung seitens verschiedener Polizeibehörden nach Einführung von Distanz-Elektroimpulswaffen, umgangssprachlich „Taser“ genannt. Bei diesen pistolenähnlichen Geräten werden aus einer Kartusche zwei Projektile abgefeuert, die eine Geschwindigkeit von etwa 50 Metern pro Sekunde erreichen. An den mit Widerhaken versehenen Projektilen sind isolierte Drähte angebracht, die die elektrischen Impulse auf das Ziel übertragen. Die Spannung beträgt etwa 50.000 Volt bei einigen Milliampere (0,0013 bis 0,0036 Ampere). Je größer die Distanz der abgefeuerten Projektile im Ziel, desto stärker die Wirkung der Stromstöße, da bei einem großen Strompfad mehr Nerven und Muskeln betroffen sind. Durch die Verbindung über die Drähte kann ein Impuls mehrmals ausgelöst werden. Bislang sind in Deutschland solche Waffen nur bei den Spezialeinheiten der Polizei in mehreren Bundesländern geführt worden. Verschiedene Bundesländer, darunter Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, sowie die Gewerkschaft der Polizei (GdP) haben sich wiederholt für den Einsatz von Tasern auch bei der regulären Polizei ausgesprochen. Seit Februar dieses Jahres setzt die Berliner Polizei in einem Pilotprojekt in zwei Abschnitten mit je zehn ausgebildeten Beamten Taser ein.

Den Angreifer kampfunfähig machen

Aus Sicht der Polizei schließt der Einsatz von Tasern eine wichtige Einsatzlücke zwischen Schlagstock, Reizgas und Schusswaffe. Denn der Schlagstockgebrauch muss auf kurze Distanz erfolgen, Pfefferspray hat häufig eine nur unzureichende Wirkung, und der Gebrauch der Schusswaffe ist rechtlich hohen Hürden unterworfen und seine Verhältnismäßigkeit oft nur schwer zu beurteilen. Gerade bei Tätern, die stark alkoholisiert sind oder unter Drogeneinfluss stehen, sind Zwangsmittel (außer der Schusswaffe) häufig aufgrund eines reduzierten Schmerzempfindens nicht mehr so wirkungsvoll. Als Zwangsmittel sind Taser daher im Ergebnis von typischen Einsätzen eher als das mildeste Mittel anzusehen. Taser sollen damit nicht nur Polizeibeamte besser schützen, sondern auch potenzielle Angreifer effektiv kampfunfähig machen, ohne dauerhaften körperlichen Schaden zufügen.

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Ein Umstand, der psychologisch für die Beamten weniger belastend ist, als etwa der Schusswaffengebrauch. Die Beamten benötigen aber zum sicheren Gebrauch eine gesonderte Ausbildung, denn die Verwendung der Geräte bei den Spezialeinheiten lässt sich aufgrund der dort geprobten Einsatzbedingungen nicht einfach direkt auf den Alltag von Polizisten übertragen. Ferner ist auch die Rechtslage in den einzelnen Bundesländern zu betrachten, denn Taser können unterschiedlich in den Polizeigesetzen verortet werden. Entweder als Hilfsmittel zum Zwang, was eine breitere Anwendung in der Praxis erlauben würde, oder als Waffen, zu denen in der Regel Schlagstock, Pistole, Revolver, Gewehr und Maschinenpistole zugelassen sind.

Da der Einsatz als Waffe eine verhältnismäßig hohe rechtliche Hürde darstellt, plädieren Befürworter der Taser für die Einordnung als Zwangsmittel, wie es auch in einigen anderen europäischen Ländern der Fall ist. Denn in anderen Ländern sind Taser bereits seit einigen Jahren im Regelbetrieb von Polizeikräften im Einsatz und werden auch genutzt. In Großbritannien begann bereits 2003 die Erprobungsphase und 2008 anschließend der großflächiger Einsatz von Tasern. Etwa 20.000 Beamte nutzen derzeit solche Geräte, weitere Anschaffungen sind in der Diskussion. Zwischen 2005 und 2009 wurden Taser knapp 6.300- mal in England und Wales eingesetzt, allein im Großraum London über 1.000-mal. 2014 setzte die Polizei Taser insgesamt über 10.000-mal ein, davon wurden die Geräte in 17 Prozent der Fälle auch tatsächlich abgefeuert. Die überwiegende Anwendung beschränkt sich auf das Anvisieren mittels „Red-Dot“ Markierung (Laserpointer). Auch in Frankreich setzen Polizeikräfte Taser ein, wenn auch der generelle Einsatz Beschränkungen unterliegt. Die Police Nationale verzeichnete 2015 872 Einsätze mit Tasern – eine Steigerung um 67 Prozent gegenüber dem Vorjahr, wobei nicht ersichtlich ist, in wie vielen Fällen Taser auch abgefeuert wurden. Auch in Österreich werden Taser verwendet, aber nach einer längeren Erprobungsphase nur von den vier Spezialeinheiten. Während dieser Testphase hat sich gezeigt, dass die Verwendung von Tasern einer entsprechenden Ausbildung bedarf, denn in dynamischen Situationen ist es nicht einfach, beide Projektile ein Ziel so treffen zu lassen, dass es einen Effekt hat. Von 127 Fällen, so die Bilanz, war der Taser 17-mal wirkungslos, in 75 Fällen wirkte der Impuls unmittelbar.

Nebenwirkungen

Nach wie vor umstritten aber ist, inwieweit Taser ernsthafte körperliche Schäden bis hin zum Tod verursachen. In den USA, wo Taser und ähnliche Geräte bei der Polizei seit langem im Regelbetrieb sind, wird immer wieder von Todesfällen berichtet. Auch in Großbritannien sind 19 Personen durch unmittelbare oder indirekte Wirkung von Tasern ums Leben gekommen. In Deutschland sind zahlreiche Studien zur Wirkung durchgeführt worden. Deren Fazit lautet überwiegend, dass von Tasern keine anhaltenden Schäden für Menschen ausgehen. Zumindest in Deutschland ist es nicht zu unmittelbaren Todesfällen beim Abfeuern von Tasern gekommen. Indirekte Auswirkungen, gerade bei Herzproblemen, sind aber generell nicht auszuschließen, wenn die Projektile in der entsprechenden Region treffen. Ein anderes Risiko sehen manche Experten in einer niederen Hemmschwelle der vermeintlichen Harmlosigkeit von Tasern, sodass es zu einem vermehrten und unter Umständen unverhältnismäßigen Einsatz kommen könnte. Insgesamt ist festzuhalten, dass Taser den Erfahrungen gerade bei anderen europäischen Polizeibehörden nach, durchaus eine sinnvolle Ergänzung der Ausrüstung und Polizeitaktik sein können. Voraussetzung ist aber, dass die Beamten in rechtlicher Hinsicht und im eigentlichen Gebrauch gründlich ausgebildet sind. Hier werden Pilotprojekte wie in Berlin zeigen, inwieweit sich erste praktische Erfahrungen im Alltag in weiteren Erkenntnissen zum Einsatz niederschlagen. Die Diskussion wird sicherlich in den einzelnen Bundesländern fortgesetzt. HL

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