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Nachweis von Lockpicking 27. Juli 2017

Mit Mikroskop und Sachverstand

Experten können Schlösser auch ohne passenden Schlüssel öffnen. Wer den Schaden hat, ist anschließend auch noch in der Verlegenheit, den Einbruch nachweisen zu müssen. Als Ausweg bieten sich Lockpicking-Experten als Gutachter an.

Ein Einbruchwerkzeug für Ungeübte, der so genannte Elektro-Pick, ähnelt einer Bohrmaschine.
Ein Einbruchwerkzeug für Ungeübte, der so genannte Elektro-Pick, ähnelt einer Bohrmaschine.

Laut dem „Einbruch-Report“ des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wurden 2016 rund 140.000 versicherte Wohnungseinbrüche gemeldet, der Gesamtschaden: 470 Millionen Euro. Meist gingen die Täter dabei mit recht rustikalen Geräten wie Brecheisen und Schraubendrehern an die Arbeit und versuchten erst gar nicht, den Einbruch zu vertuschen.

Ganz anders geht es im gewerblichen Bereich zu, besonders wenn es um Betriebsgeheimnisse geht. Die Eindringlinge stehlen zwar, entwenden aber oft keine physischen Gegenstände, sondern intellektuelle Werte. Indem sie Dokumente fotografieren oder Daten kopieren. Zum Öffnen der Türen greifen Einbrecher dann auf spezielle Werkzeuge zurück, die eigentlich für Schlüsseldienste entwickelt wurden. Diese Aufsperrwerkzeuge ermöglichen das Öffnen von Türen, ohne Türrahmen oder Schloss sichtbar zu beschädigen. Auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz IT-Defense in Berlin demonstrierten Spezialisten, wie man solche Einbrüche nachweisen kann.

Sportlicher Ehrgeiz entwickelt

Die Hersteller der Aufsperrwerkzeuge haben im Laufe der Zeit zwar immer bequemere Produkte ersonnen, aber ohne Training, spezielle Kenntnis der Schlösser und ein gehöriges Maß an Fingerfertigkeit öffnet sich kein Schloss. Kein Wunder, dass sich inzwischen eine Sportart entwickelt hat, das Lockpicking. In Deutschland organisiert im Verein „Sportsfreunde der Sperrtechnik Deutschland e.V.“ Mit frei erhältlichen Hilfsmitteln öffnen die Sportsfreunde in Wettbewerben fremde Schlösser. Ihre Hilfsmittel sind unterschiedlich geformte Metallstäbe, die unter den Namen Schlange, Haken, Halbrund, Diamant, Halbdiamant und Kreisform im Handel erhältlich sind. Bei den Wettbewerben zählt das individuelle Fingerspitzengefühl. Zusätzliche Hilfsmittel sind verpönt.

Die Aufsperrindustrie hat für Schlüsseldienste inzwischen aber auch elektrisch betriebene Geräte entwickelt, bei denen sich das Schloss auch mit weit weniger Geschick und ohne langes Training öffnet. Sehr beliebt ist der „Elektro-Pick“, ein elektrisch betriebenes Rüttel- und Bewegungsgerät, das auf den ersten Blick an eine Bohrmaschine erinnert. Statt eines Bohrers stecken vorne allerdings die bereits erwähnten Aufsperrhilfsmittel Schlange, Haken, Halbrund und Diamant, jeweils optimiert für eine bestimmte Aufgabe oder Schlossart. Das Problem für das Opfer: Es ist nur schwer möglich, das unberechtigte Aufsperren überhaupt nachzuweisen. Bislang konnten sich Betroffene, oder solche, die glaubten es zu sein, nur an die Spezialisten der Landeskriminalämter wenden. Nicht jeder Betroffene möchte diesen Schritt gehen.

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Als Alternative bieten sich nun erfahrene Lockpicker als Gutachter an. Einer von ihnen ist der Franzose Alexandre Triffault. Als renommierter Schlossexperte hat er wohl schon jedes auf der Welt gefertigte Schloss geknackt. Mittlerweile arbeitet er auch als Berater und forensischer Spurensicherer. Zusammen mit einigen Mitstreitern führte er in Berlin vor, wie er solche Beweise erbringt. Wichtigstes Werkzeug ist ein gutes Auflichtmikroskop, das bis zu hundertfache Vergrößerungen erlaubt und über eine Ausspiegelung für Kameras verfügt. Schon an der Front des Schlosses können sich sehr verräterische Spuren zeigen, erläutert Alexandre Triffault. Sie stammen vom „Spanner“, einem Werkzeug, mit dem der Lockpicker das Schloss aufschließt, wenn es mit den Tools entsperrt ist. Der Spanner hinterlässt gänzlich andere Spuren, als etwa ein Schlüssel, der mit einer Kante an einer klar definierten Stelle aufliegt.

Die weitaus meisten Spuren befinden sich allerdings im Schlossinneren. Um sie zu dokumentieren, wird das Schloss mit einer Säge der Länge nach geteilt. Von besonderem Interesse sind sowohl der Schließkanal als auch das Herz des Schlosses, die sogenannten Stifte sowie das Ende des Schlosses. Ein Schlüssel ist immer starr, verhältnismäßig groß und hat eine definierte Eindringtiefe. All dies gilt für Aufsperrwerkzeuge nicht. Sie sind viel schmaler und dünner. So können sie weiter in das Schloss eindringen als jeder Schlüssel und gelangen in Regionen, in die ein Schlüssel niemals vordringen kann. Wenn also ganz am Ende des Zylinderganges Kratzspuren sichtbar werden, können diese niemals vom Schlüssel stammen, sondern sind Zeugnis eines Aufsperrversuchs. Gleiches gilt für die Innenwände des Zylinders.

Funktionen verstehen lernen

Um genauer zu verstehen, wohin die Experten schauen, ist es notwendig, die Funktion von Schlüssel und Schloss zu verstehen. Die Mehrzahl aller heutigen Schlösser sind sogenannte Stiftschlösser, in Deutschland auch Sicherheitsschlösser genannt, weil sie wesentlich schwerer zu entriegeln sind, als etwa Buntbartschlösser, die es heute fast nur noch in Privatwohnungen gibt. Stiftschlösser gibt es bereits seit über 150 Jahren. Zwar gibt es eine schier unübersehbare Anzahl von Konstruktionen und Sonderkonstruktionen, doch ähneln sie alle dem bekannten Sicherheitsschloss, dessen Schlüssel ein charakteristisches Zackenprofil aufweist.

Die Schlüssellänge gliedert sich meist in fünf, seltener sechs Bereiche mit unterschiedlich tiefer Einbuchtung. Im Schloss befinden sich – korrespondierend zu den Bereichen – fünf oder sechs Stiftsäulen, auch Stiftpaare genannt. Diese blockieren immer dann das Schloss, wenn nicht der passende Schlüssel in ihm steckt. Zehn verschiedene Einbuchtungen lassen sich pro Bereich realisieren, was zu 35.000 praktisch nutzbaren Schlüsselformen führt. Das Schloss selbst besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen. Zum einen aus dem drehbar gelagerten Zylinder und zum anderen aus dem mit der Tür verschraubten Schlossgehäuse. Beide Metallkörper weisen an den fünf oder sechs Bereichen Stifte auf, die das Schloss blockieren. Man spricht auch von Stiftsäulen. Eine jede besteht aus zwei Teilen, dem Kernstift und dem Gehäusestift. Wird der richtige Schlüssel eingeführt, drückt er alle fünf Kernstifte gleichzeitig so gegen die Gehäusestifte, dass die Blockade aufgehoben wird. Der Zylinder lässt sich drehen, das Schloss öffnet.

Leider verfügen alle mechanischen Apparate über gewisse Toleranzen. Das trifft auch auf Schlösser zu. Es ist möglich, die Stifte zu manipulieren. Lockpicker nennen dieses Verfahren „Harken“. Mit dem Aufsperrtool erforschen sie zunächst das Schloss, um danach mit wohldosiertem Druck die Stifte in die Aufsperrposition zu schieben. Die Lockpicker sprechen vom „Setzen“ der Stifte. Sie tun dies allerdings nacheinander, darum muss der Zylinder leicht gedreht werden, damit die Stifte leicht verkannten und so nicht wieder von den Federn in ihre Blockadeposition zurückgeschoben werden können. Mit dem nötigen Fingerspitzengefühl öffnet sich das Schloss überraschend schnell. Erfahrene Lockpicker öffnen durchschnittlich sichere Schlösser in weniger als 30 Sekunden.

Das A und O des Lockpickings ist stets das Setzen der Stifte, und zwar unabhängig davon, ob das Tool von Hand geführt wird, oder der Aufsperrer sich das Leben einfacher macht und zum Elektctro-Pick greift. In allen Fällen sind die Kuppen von besonderem Interesse. Sie werden vom Schlüssel bei jedem Schließvorgang überstrichen. Nach einigen Hundert Schließvorgängen zeigen sie einen gewissen Verschleiß. Der Fachmann erkennt unter dem Mikroskop aber sofort den Unterschied zwischen Aufsperrwerkzeug und Schlüssel. Das Lockpicking-Tool hinterlässt tiefe, unebene Kratzer, die sich deutlich von den schleifenden Spuren des Schlüssels unterscheiden.

Bernd Schöne

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