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Unsicher und oft unerwartet

Wie verhalten sich Menschen in Brandrauch?

Warum und wie verhalten sich Menschen bei einem Brandereignis mit Rauchausbreitung und welche Auswirkungen hat dies auf eine Evakuierung? Menschen verbleiben bei Bränden im Rauch und gehen sogar durch Rauch, wenn sie dafür „gute“ Gründe haben. Diese Gründe sind psychologischer Natur. Mangelndes Wissen über die Gefahren von Rauch oder fehlende Informationen über die aktuelle Gefahrensituation spielen ebenso eine Rolle wie Neugier oder Gewohnheiten.

Was tun, wenn der Rettungsweg verraucht ist?
Was tun, wenn der Rettungsweg verraucht ist?

Menschen unterschätzen die Gefährlichkeit von Rauch für die Gesundheit

Im Brandfall ist nicht unbedingt das Feuer, sondern der giftige Rauch die größte Gefahr für Menschen. Menschen ziehen sich bei Flammen eher zurück, da diese deutlich als Gefahr verstanden werden. Für Einsatzkräfte der Feuerwehr scheint die Giftigkeit von Rauch aufgrund ihrer Ausbildung selbstverständlich zu sein – Menschen die sich nicht mit Rauch beschäftigen, unterschätzen die Auswirkungen von Rauch auf die Gesundheit. Viele Menschen wissen nicht, dass bereits drei bis fünf Atemzüge tödlich sein können. Menschen befinden sich in Rauch also in akuter Lebensgefahr.

Erkenntnisse aus Praxis und Forschung zeigen immer wieder, dass Menschen entgegen den Erwartungen – auch der Einsatzkräfte – auf Brandrauch nicht erwartete Reaktionen zeigen, zum Beispiel Abwarten in verrauchten Bereichen oder die Nutzung von verrauchten Fluren oder Treppenräumen als Fluchtweg. Es muss davon ausgegangen werden, dass nicht alle Personen aus eigenem Antrieb einen verrauchten Bereich verlassen und ein Verständnis fehlt, wie schnell sich Rauch ausbreiten und gefährlich werden kann. Einsatzkräfte und Helfer sollten deswegen damit rechnen, dass noch Menschen in verrauchten Bereichen angetroffen werden und es zu Verzögerungen einer Evakuierung kommen kann.

Menschen sind unsicher und nutzen vorhandenes Wissen

Brandereignisse stellen für die meisten Menschen Ausnahmesituationen dar. Da ein „richtiges“ Verhalten bei einer Gefahrensituation von den betroffenen Menschen nicht einfach abgerufen werden kann, müssen Entscheidungen und Handlungen erst „gefunden“ werden. Dies kann zu Stress führen und wird oft von Angst begleitet. Selten bis kaum tritt jedoch Panik in Brandereignissen auf. Unter Stress fällt es Menschen grundsätzlich schwerer, über mögliche Handlungen nachzudenken. Dies führt zusätzlich zu Unbehagen oder geistiger Anstrengung, die die Unsicherheit sogar verstärken kann. Menschen neigen aber dazu, Unsicherheit zu vermeiden. Als Rettungswege und Notausgänge werden deshalb vor allem bekannte Wege genutzt, das heißt Wege, die sie gut kennen und die sie regelmäßig gehen. Dies führt dazu, dass Menschen bei Evakuierungen nicht alle zur Verfügung stehenden Rettungswege nutzen und möglicherweise verrauchte Wege in Kauf nehmen. Außerdem werden Umwege oder unbekannte Fluchtwege durch sonst nicht genutzte Notausgänge eher als unangenehm empfunden und gemieden.

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Des Weiteren werden in den Medien häufig Situationen gezeigt, die fern der Realität sind. Menschen leiten davon fehlerhaftes Verhalten bei einem Brandereignis ab, zum Beispiel laufen Menschen durch Rauch trotz eindeutiger Verschlechterung der Sichtverhältnisse. Es ist deswegen wichtig, den betroffenen Personen Informationen und Wissen über die aktuelle Situation zu geben. Diese sollten möglichst konkret sein, damit „richtige“ Handlungen abgeleitet werden können.

Menschen haben Bedürfnisse und Ziele, die nicht immer sachdienlich sind

Ein Verständnis über Bedürfnisse und Ziele von betroffenen Personen kann dazu beitragen, zielgerichteter mit Betroffen zu kommunizieren beziehungsweise sie zu Handlungen zu veranlassen. Menschen haben verschiedene Bedürfnisse, die bei Brandereignissen nicht immer sachdienlich sind. Am Arbeitsplatz entscheiden sich Menschen beispielsweise manchmal gegen eine Evakuierung – trotz Verrauchung –, auch weil sie ihre aktuelle Handlung, wie Arbeiten am Computer, ungern unterbrechen wollen. Unterbrechungen werden als unangenehm empfunden. Dies kann zu Verzögerungen bis hin zu Verweigerung einer Evakuierung führen. Ebenso scheinen Neugier und der Drang nach Unterhaltung ein stark vorherrschendes Bedürfnis bei Ausnahmesituationen oder allgemein bei Unfällen zu sein. Der aktuelle Zustand, zum Beispiel Alkoholisiertsein oder eine allgemeine Feierstimmung, fördern das Bedürfnis unterhalten zu werden sowie die Sensationslust. Rauch wird dann eher als „Unterhaltungsprogramm“ betrachtet denn als Gefahr. Menschen filmen mit ihren Handys und machen Fotos, anstatt sich in Sicherheit zu bringen. Personen laufen aber auch zurück, um ihre persönlichen Gegenstände zu holen. Um zu verhindern, dass Betroffene in verrauchte Bereiche zurückgehen oder diese betreten, sind geeignete Absperrmaßnahmen notwendig. Dabei ist die Absperrung durch Einsatzkräfte oder Sicherheitspersonal häufig die einzig wirksame Variante. Ein Absperrgitter oder Flatterband hält Personen nicht zuverlässig zurück.

Menschen möchten in Gefahrensituationen mit anderen Menschen zusammenbleiben und helfen sich gegenseitig

Die Einbeziehung von Gruppendynamiken können Evakuierungszeiten verkürzen. Dort wo erkennbar Gruppen angetroffen werden, ist es sehr häufig die bessere Wahl, nicht Einzelne, sondern die gesamte Gruppe anzusprechen und Gruppen geschlossen aus einem Gefahrenbereich zu lenken. Das Zurückbleiben Einzelner erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Gruppe stehen bleibt, wartet, den Weg aus dem Gefahrenbereich langsamer bewältigt und gegebenenfalls sogar zurückgeht.

Bei Ausnahmesituationen verstärkt sich das Bedürfnis, mit anderen Menschen zusammenbleiben zu wollen (Affiliation), insbesondere wenn man sich untereinander gut kennt. Eine Situation möchte niemand alleine bewältigen. Aus diesen Gründen ist in diesen Situationen zu erwarten, dass Gruppen, wie Familien, Freundeskreise oder Besuchergruppen, zusammenbleiben wollen.

Zusätzlich zu dem Bedürfnis, mit anderen Menschen zusammenbleiben zu wollen, kommt es in Gruppen zu gegenseitiger Unterstützung, zum Beispiel durch gutes Zureden, Empathie oder Hilfe bei der Selbstrettung. So sind Fälle bekannt, dass Menschen durch verrauchte Flure gingen, um andere Menschen zu warnen. Weitere Gruppendynamiken werden häufig unter dem „Herdentrieb“ zusammengefasst. Darunter wird meisten verstanden, dass Menschen einander nachlaufen, Menschen sich an anderen Menschen orientieren und Anschluss an das Verhalten anderer gesucht wird. Andere Personen werden als Information und Hinweis verstanden. Dies erfolgt aber nicht unbedingt durch Nachdenken oder eine bewusste Entscheidung. Zusätzlich führt dieses Herdenverhalten nicht immer zu einem sicheren Verhalten. Das Abwarten von den meisten Anwesenden in einem Gebäude kann als „die anderen bleiben, also ist es für mich nicht zu gefährlich“ interpretiert werden (Fehleinschätzung der Gefahr). Auch der soziale Druck durch eine Gruppe (Konformitätsdruck) kann einer Evakuierung entgegenstehen: „Wenn alle anderen dableiben, kann ich doch nicht einfach loslaufen.“ Unsicherheit und das Bedürfnis mit anderen zusammenzubleiben führt dazu, dass Menschen eine höhere Bereitschaft haben sich führen zu lassen. Maßgeblich für die Führung sind die Anwesenheit von Menschen, die Führung geben sowie zuverlässige und glaubwürdige Informationen übermitteln.

Menschen benötigen möglichst konkrete Informationen, was passiert ist und welche Handlungen erforderlich sind

In Ausnahmesituationen benötigen Menschen Informationen, damit sie wissen, was passiert ist, und um entscheiden zu können, was sie tun müssen. Menschen müssen die Gefahr durch den Brand zunächst als solche wahrnehmen und als Gefahr für sich selber verstehen, das heißt für Leib und Leben. Die Entscheidung, einen verrauchten Bereich zu verlassen, wird beeinflusst durch die persönliche Einschätzung der Gefährdung sowie Wissen, Erfahrung und Verarbeitung von aktuellen Informationen. Der Rauch stellt für die meisten Menschen noch keinen ausreichenden Hinweis für die Gesundheitsgefährdung dar, außer der Rauch ist stark reizend. Menschen beginnen zunächst, eine Situation zu erkunden, weil ihnen subjektiv gesehen „gesicherte“ Informationen für eine Entscheidung fehlen. Unsicherheit durch mangelnde Informationen erhöht zusätzlich das Bedürfnis, geführt zu werden. Um Personen dazu zu bewegen, einen Gefahrenbereich geordnet und schnell zu verlassen, ist es von entscheidender Bedeutung, eine deutliche und klar strukturierte Ansprache zu geben. Die Kommunikation über Gefahren und die Gestaltung von Warnungen und Formulierung von Durchsagen spielen deshalb eine entscheidende Rolle, wenn das Verhalten bei Rauch beeinflusst werden soll. Dies vermindert Unsicherheit und Angst bei betroffenen Personen und fördert schnelle Handlungen beziehungsweise das Rauslaufen.

Fazit

Die Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Psychologie können für die Sicherheit verantwortlichen Personen (zum Beispiel Planern, Sicherheitskräften, Einsatzpersonal) helfen, das Verhalten von Betroffenen oder Zuschauern besser zu verstehen. Das Wissen sollte genutzt werden, um Maßnahmen zielgerichteter und damit gegebenenfalls auch erfolgreicher zu gestalten. Das Verhalten von Menschen in Gefahrensituatio nen, insbesondere bei Brandereignissen, sollten dafür stärker in die Planungen und Maßnahmen im Gefahrenfall einbezogen werden.

Dr. Laura Künzer (Dipl.-Psych.), Partnerin im Team HF- Human Factors Forschung Beratung Training, Hofinger, Künzer & Mähler PartG, Ludwigsburg, und Christian Spielvogel, Kreisbrandmeister Enzkreis

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