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Ein heißes Eisen

Technische Regeln bestimmen unseren Alltag in vielerlei Hinsicht. Bezüglich des Umgangs mit diesen technischen Regeln herrscht bei Fachplanern und ausführenden Unternehmen jedoch große Unsicherheit. Welche Regeln sind verbindlich zu beachten und wie ist vorzugehen, wenn von technischen Regeln abgewichen werden soll?

Bei der Errichtung von Gebäuden sind zahlreiche technische Regeln zu beachten.
Bei der Errichtung von Gebäuden sind zahlreiche technische Regeln zu beachten.

Normen und Richtlinien eignen sich ideal, um durch einfache Bezugnahme ein entsprechend verbindliches Niveau zu beschreiben, welches ein Gegenüber unmittelbar und nachvollziehbar verstehen kann. Auf privatrechtlicher Grundlage sind diese Quellen hervorragend geeignet, wenn klare vertragliche Bedingungen definiert werden sollen. Sie sind daher aus unserem Alltag als Grundlage in den Verträgen oder Ausschreibungen nicht wegzudenken. Es ist festzustellen, dass in den Gesetzen und Verordnungen nur selten eine konkrete Bezugnahme auf Normen und Richtlinien erfolgt. Einige Normen und Richtlinien sind jedoch (zum Beispiel als „eingeführte technische Baubestimmung“ oder innerhalb der Bauregellisten beziehungsweise künftig über die Verwaltungsvorschrift technische Baubestimmung) bauaufsichtlich eingeführt und daher eine verbindliche Planungsgrundlage.

Unterschiedliche Regelungen

Es ist zu beachten, dass jedes Bundesland im Rahmen der bauordnungsrechtlichen Bestimmungen eigenständig über die Verbindlichkeit von Normen und Richtlinien entscheidet. Daher können die konkret verbindlichen technischen Regeln in den einzelnen Bundesländern variieren. Beispielsweise ist die DIN 18065 als Rechtsnorm für Gebäudetreppen in Bayern bauaufsichtlich eingeführt, in Nordrhein-Westfalen jedoch nicht. Teilweise nehmen einzelne Bundesländer sogar auf unterschiedliche Fassungen der technischen Regeln Bezug. Beispielsweise sind je nach Bundesland die Fassungen der Leitungsanlagen-Richtlinie aus dem Jahr 2005 beziehungsweise aus 2015 verbindlich. In Nordrhein-Westfalen gilt sogar noch die Fassung aus dem Jahr 2000.

Daher ist vor der Anwendung einer technischen Regel zwingend zu prüfen, welche Vorgaben in den jeweiligen Bundesländern verbindlich zu beachten sind. Die verbindlichen technischen Regeln innerhalb eines entsprechenden Bundeslandes zu ermitteln, ist leider nicht einfach. Gegenwärtig sind diese Regeln in den Listen der „eingeführten technischen Baubestimmungen“ zu finden, die regelmäßig durch das zuständige Ministerium veröffentlicht werden. Nur wenige wissen, dass insgesamt drei Listen der „eingeführten technischen Baubestimmungen“ (bezeichnet als Teil I, II und III) existieren. Häufig werden in den Listen der „eingeführten technischen Baubestimmungen“ sogar weitergehende Anforderungen gestellt, die über den Ursprungstext der Norm hinausgehen aber trotzdem verbindlich beachtet werden müssen. Gelegentlich werden Normen nur in Teilen als „eingeführte technische Baubestimmung“ eingeführt. Sie sind damit nur in definierten Teilen eine verbindliche Planungsgrundlage. Eine weitere Quelle sind die Bauregellisten, die ebenfalls aus insgesamt drei Teilen (Bauregelliste A, Bauregelliste B und Liste C) bestehen. Sowohl die Listen der „eingeführten technischen Baubestimmungen“ als auch die Bauregellisten werden in den kommenden Monaten durch die Verwaltungsvorschrift technische Baubestimmung (VV TB) ersetzt. Hier lassen sich künftig die bauordnungsrechtlich verbindlich zu beachtenden technischen Regeln finden.

Abweichungen von technischen Regeln

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Normen und Richtlinien enthalten allgemeine Vorgaben, die selbstverständlich nicht jeden Einzelfall abschließend berücksichtigen können. Damit geht zwangsläufig einher, dass im konkreten Einzelfall auch Abweichungen von diesen Regelungen angebracht und zielführend sein können. Wie ist jedoch zu verfahren, wenn Abweichungen von technischen Regeln in Anspruch genommen werden sollen? Ergeben sich Abweichungen oder Erleichterungen von verbindlich festgelegten technischen Regeln, so muss entweder die formale Gestattung einer Abweichung im Sinne des § 67 (1) MBO erfolgen oder es ist eine Erleichterung im Sinne des § 51 (1) MBO darzustellen. In beiden Fällen sind in der Regel (je nach Landesrecht beziehungsweise dem gewählten bauordnungsrechtlichen Verfahren) entweder die zuständige Bauaufsichtsbehörde oder der entsprechende Prüfsachverständige einzubeziehen. Bei Abweichungstatbeständen hinsichtlich des Brandschutzes ist schriftlich nachzuweisen, dass dem Zweck der jeweiligen Anforderung auf andere Weise entsprochen wird und folglich das gesetzlich geschuldete Sicherheitsniveau gewahrt bleibt. Es ist somit ein Soll-Ist-Vergleich zu führen. Wird das dort definierte Sicherheitsniveau gewährleistet (und somit das dortige Restrisiko nicht überschritten), ist die Gestattung einer Abweichung oder Erleichterung meist vertretbar. In diesem Zusammenhang ist wichtig darauf hinzuweisen, dass selbst die den Brandschutz betreffenden Regelwerke der deutschen Industrienormung zunehmend entsprechende Parameter beinhalten, die weniger in der Optimierung des Brandschutzes als in der Verkaufsförderung der Privatwirtschaft begründet zu sein scheinen. Daher sollten diese Regelwerke nicht ungeprüft zur baurechtlich verbindlichen Grundlage einer Fachplanung erkoren werden. Zum Ziel führt bekanntlich immer mehr als nur ein Weg. Das ingenieurmäßige Denken darf und kann diese Regelwerke dem Fachplaner nicht abnehmen.

„Anerkannte Regeln der Technik“

Eine verbindliche vollumfängliche Anwendung sämtlicher technischer Regeln ist bauordnungsrechtlich nicht geschuldet. Jedoch müssen auch die bauaufsichtlich nicht eingeführten technischen Regelwerke gegebenenfalls bei der Planung berücksichtigt werden. In einigen Bundesländern gilt nämlich, dass neben den bauaufsichtlich eingeführten technischen Regeln auch die „anerkannten Regeln der Technik“ (zumindest in Teilen) zu beachten sind. In der bayerischen Bauordnung sind beispielsweise als vergleichbare Bezeichnung die „anerkannten Regeln der Baukunst“ definiert. In diesen Bundesländern gilt, dass zunächst zu bewerten ist, ob es sich bei der betreffenden technischen Regel um eine „anerkannte Regel der Technik“ handelt.

Eine Definition der Begrifflichkeit „allgemein anerkannte Regeln der Technik“ findet sich nicht unmittelbar in der Musterbauordnung. Trotzdem eilt auch den bauaufsichtlich nicht eingeführten technischen Regelwerken zum Brandschutz häufig der Ruf voraus, als „anerkannte Regel der Technik“ verbindliche Planungsgrundlage zu sein. In der DIN EN 45020 ist hierzu Folgendes ausgeführt: „Eine anerkannte Regel der Technik ist die technische Festlegung, die von einer Mehrheit repräsentativer Fachleute als Wiedergabe des Standes der Technik angesehen wird.“ Orientiert man sich im Bereich des Brandschutzes an dieser Definition, so dürften wohl die wenigsten bauaufsichtlich nicht eingeführten technischen Regelwerke uneingeschränkt als „anerkannte Regel der Technik“ bezeichnet werden. Ihre Beachtung ist im Zuge der Brandschutzfachplanung natürlich grundsätzlich möglich, jedoch keinesfalls zwingend erforderlich. Als Beispiel kann eine abweichend von den Bestimmungen der VDE 0833-2 erfolgte Anordnung der automatischen Brandmelder einer Brandmeldeanlage angeführt werden. Da die VDE 0833-2 keine „eingeführte Technische Baubestimmung“ darstellt, stellen Abweichungen von diesen Vorgaben weder Abweichungen gemäß § 67 (1) MBO noch Erleichterungen gemäß § 51 (1) MBO dar. Trotzdem sollte diese Thematik im Zuge des Brandschutzkonzeptes beziehungsweise im Zuge der Baudokumentation behandelt werden.

Zivilrechtliche Parameter müssen beachtet werden

Neben den bauordnungsrechtlichen Parametern ist bei der Bewertung von technischen Regelwerken jedoch grundsätzlich auch das Zivilrecht zu berücksichtigen. Schließlich haben normative Regelwerke bei der Beurteilung der Frage nach der Qualität eines Produktes oder einer Leistung eine wesentliche Bedeutung. Ihnen kann damit zusammenhängend auch zivilrechtliche Bedeutung zukommen. Insbesondere bei der Beurteilung der Frage, ob ein Sachmangel vorliegt, spielen normative Regelwerke eine maßgebliche Rolle. Insbesondere, wenn verbindliche vertragliche Regeln oder Ausschreibungen die Beachtung entsprechender technischer Regeln definieren, darf hier, unabhängig davon, ob die technische Regel bauordnungsrechtlich zwingend zu beachten ist, natürlich nur in Abstimmung mit der Bauherrenschaft abgewichen werden. Aber nicht nur in diesen Fällen muss darauf hingewiesen werden, dass Abweichungen von technischen Regelwerken unter Umständen dazu führen können, dass eine Leistung als mangelhaft anzusehen ist. Abweichungen von technischen Regeln sollten daher grundsätzlich eindeutig und unmissverständlich schriftlich dokumentiert werden. Da in der gelebten Praxis die Kommunikation auf den Baustellen in der Regel primär mit der Bauleitung oder der Projektsteuerung erfolgt, wird dringend angeraten, hier auch den Bauherren einzubeziehen. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Bauherr die realisierte Bauausführung aufgrund von Abweichungen hinsichtlich des technischen Regelwerkes nicht zu einem späteren Zeitpunkt als mangelhaft bewertet und entsprechenden Schadenersatz geltend macht.

Dipl.-Ing. Matthias Dietrich, Rassek & Partner Brandschutzingenieure, www.brandschutzbuero.de

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