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Gemeinsam stark sein

Deutsche Unternehmen sind täglich von (Wirtschafts-)Kriminalität betroffen. Die Angriffsszenarien unterscheiden sich, das Ziel ist immer dasselbe: Know-how abzuziehen und die Wirtschaft zu schädigen. PROTECTOR & WIK befragte zur Bedeutung des Wirtschaftsschutzes und zur Zusammenarbeit von Unternehmen und Staat Steffen Gentsch, Vorsitzender des Arbeitskreises Wirtschaftsschutz im Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI).

Staat und Wirtschaft müssen ihre Sicherheitsmaßnahmen für den Schutz von Unternehmen aufeinander abstimmen. Der vernetzte Wissensaustausch ist essentiell.
Staat und Wirtschaft müssen ihre Sicherheitsmaßnahmen für den Schutz von Unternehmen aufeinander abstimmen. Der vernetzte Wissensaustausch ist essentiell.

PROTECTOR & WIK: 69 Prozent der Unternehmen waren in den vergangenen zwei Jahren von Wirtschafts-spionage, Sabotage und Datendiebstahl betroffen, so das Ergebnis einer Bitkom-Studie. Diese Zahlen lassen einen aufhorchen – was ist denn so „klaubegehrlich“ in deutschen Unternehmen?

Steffen Gentsch:„Klaubegehrlich“ ist tatsächlich einiges. Deutsche Unternehmen sind weltweit erfolgreich und im globalen Wettbewerb um internationale Märkte sehr gut aufgestellt. Produkte „Made in Germany“ stehen für innovative Lösungen, Qualität und Zuverlässigkeit. Wir reden hier von Spitzentechnologie. Dieser Erfolg und das besondere Know-how deutscher Unternehmen wecken Begehrlichkeiten. Täter haben es dabei nicht immer nur auf Diebstahl von Daten abgesehen. Durch Wirtschaftsspionage und Sabotage versuchen fremde Nachrichtendienste, Konkurrenten und auch kriminelle Organisationen, sich illegale Wettbewerbsvorteile oder Einnahmen zu Lasten deutscher Unternehmen zu verschaffen. Auch aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter können – bewusst oder unbewusst – zu Tätern werden.

Wer wird meist zum Opfer? Großkonzerne oder eher kleine und mittelständische Unternehmen?

Diese Frage lässt sich nur sehr schwer beantworten. Es gibt Studien, die zeigen, dass große Industrieunternehmen sehr stark von Wirtschaftsspionage betroffen sind. Vermeintlich stärker als kleinere Betriebe. Solche Statistiken darf man allerdings nur im Zusammenhang mit der Aufdeckungsrate betrachten. Es gibt weiterhin eine sehr hohe Dunkelziffer von Angriffen, die nie entdeckt werden. Viele Unternehmen wissen bis heute nicht, dass sie Opfer eines Angriffes geworden sind. Oftmals kommen Angriffe nur durch Zufall heraus. Als Unternehmer zu glauben, Spionage, Sabotage und Kriminalität betrifft einen nicht, weil das Unternehmen zu klein, zu unbekannt, ist daher ein gewaltiger Fehler. Jeder kann Opfer von Spionage, Sabotage oder Datendiebstahl werden. Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind begehrte Ziele, vor allem aufgrund ihrer Innovationskraft und des wertvollen Know-hows. Leider verfügen viele Unternehmen noch nicht über die entsprechenden Sicherheitskonzepte und machen es so möglichen Angreifern leicht. Dies kann unter anderem an mangelndem Bedrohungsbewusstsein oder auch an der geringen Investitionsbereitschaft in Sicherheitsmaßnahmen zur Prävention, Aufklärung und Reaktion liegen. Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif.

Jetzt hat sich vor rund 18 Monaten die „Initiative Wirtschaftsschutz“ gegründet, an deren Gründung der BDI – neben anderen Behörden und Verbänden – maßgeblich beteiligt war. Mit welchem Ziel?

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Im April 2016 haben BDI, DIHK, der ASW Bundesverband, der BDSW sowie die Sicherheitsbehörden BfV, BKA, BND und das BSI unter Koordinierung des BMI gemeinsam die „Initiative Wirtschaftsschutz" ins Leben gerufen. Ziel der „Initiative Wirtschaftsschutz" ist es, zentrale Unternehmenswerte für Deutschland und seine Wirtschaft gemeinsam besser zu schützen. Erstmals gibt es einen institutionalisierten Rahmen für den gegenseitigen Informationsaustausch zwischen Staat, Sicherheitsbehörden und Wirtschaft. Alle Beteiligten arbeiten gemeinsam an Schutzkonzepten, Maßnahmen und Projekten, die insbesondere KMU dabei unterstützen sollen, sich mit diesem zentralen Thema auseinanderzusetzen. So hat sich im Bereich Wirtschaftsschutz in den letzten Monaten in Deutschland einiges getan. Wichtig ist, für das Thema kontinuierlich zu sensibilisieren, auch dafür steht die gemeinsame Initiative.

Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus? Was ist positiv zu vermerken?

Die Gründung der „Initiative Wirtschaftsschutz“ ist ein Meilenstein in der Zusammenarbeit, denn vorher gab es zu dem Thema Wirtschaftsschutz keine adäquaten Strukturen. Unternehmen sind heutzutage einer Vielzahl an Bedrohungen und Risiken ausgesetzt. Der Schutz gegen jede mögliche Bedrohungsform ist eine enorme Herausforderung für ein Unternehmen. Eine effektive Abwehr gegen deren Kombination und fast täglich neuer Angriffsmethoden kann kein Unternehmen und keine Sicherheitsbehörden alleine leisten. Deswegen ist es von zentraler Bedeutung, dass Sicherheitsmaßnahmen von Staat und Wirtschaft für den Schutz von Unternehmen kontinuierlich aufeinander abgestimmt werden. KMU gilt es, nachhaltig zu sensibilisieren. Mit Blick auf die jährlichen enormen Schäden durch Wirtschaftskriminalität, insbesondere Wirtschaftsspionage, Konkurrenzausspähung und Sabotage, muss die Zusammenarbeit weiter vertieft werden. Meine Zwischenbilanz ist, dass wir für den Wirtschaftsschutz in Deutschland viel erreicht haben, aber die sich häufenden Ereignisse und Angriffe – und es sind nicht ausschließlich Cyberangriffe – auf deutsche Unternehmen erlauben es nicht, dass wir jetzt die Füße hochlegen. Wir brauchen eine ganzheitliche Betrachtung der Gefahren für die Wirtschaft und keine Reduktion auf einzelne Angriffsvektoren, wie zum Beispiel Cyberattacken – auch wenn das Thema gerade sehr präsent ist. In Politik, Wirtschaft und Gesellschaft muss ein deutlich höheres Maß an Bewusstsein und Sensibilität für die wachsenden Sicherheitsrisiken für deutsche Unternehmen erzeugt werden.

Ist das Sicherheitsbewusstsein in den Unternehmen noch nicht ausreichend gestiegen?

Mit der Kick-off Veranstaltung im Jahr 2016 und der Vorstellung der „Initiative Wirtschaftsschutz“ haben wir ein breites Publikum erreicht. Auch medial ist das Thema Wirtschaftsschutz in den letzten Monaten verstärkt vertreten. Die Berichterstattung unserer Veranstaltungsformate ist gut, und alle Partner der Initiative arbeiten mit Nachdruck daran, den Bekanntheitsgrad kontinuierlich zu steigern. Die Zahl der Registrierungen auf der Internetplattform wirtschaftsschutz.info steigt ebenfalls. Wirtschaftsschutz muss langfristig gedacht werden. Wenn wir jeden Tag ein bis zwei Unternehmen, Politiker, Journalisten oder auch Privatpersonen erreichen und für das Thema sensibilisieren können, sind wir auf einem guten Weg.

Kommen wir auf die bereits erwähnten KMU zurück. Was ist inzwischen hier passiert?

Der Mittelstand wird oft als das Herz der deutschen Wirtschaft bezeichnet. Es gibt wohl keine Branche, in der Mittelständler nicht vertreten sind. Daher sind die technologieorientierten und innovativen Mittelständler auch die Hauptzielgruppe der Initiative. Ihnen fehlen häufig finanzielle und auch personelle Ressourcen, um effektive Sicherheitskonzepte zu implementieren. Viele Unternehmen sind sich der Risiken eines ungewollten Know-how-Verlustes gar nicht bewusst. Hier setzt die Initiative an und bietet Informationen, Ansprechpartner und Unterstützung.

Auf der Internetplattform der Initiative Wirtschaftsschutz werden Informationen und praxisnahe Handlungsempfehlungen für deutsche Unternehmen zur Verfügung gestellt. Flankiert wird das Angebot von Informationskampagnen, einem Leitfaden für Unternehmen sowie Seminaren und Veranstaltungen. Allen in allem also ein umfangreiches Angebot für die Unternehmen – für KMU, aber auch größere Unternehmen.

Und wie sieht es beim Thema IT-Sicherheit aus, einem der zentralen Bausteine im Sicherheitskonzept von Behörden und Unternehmen?

In der Industrie müssen Unternehmen viele neue Kompetenzen aufbauen, um Sicherheit in Prozessen und Produkten zu gewährleisten. Sicherheit und Vertrauen sind zentrale Voraussetzungen für den Erfolg der digitalen Transformation. Unerlässlich sind eine stärkere Fokussierung unserer Sicherheitsbehörden auf und ein höherer Ressourceneinsatz für den Schutz der deutschen Wirtschaft. Entsprechende Cyberfähigkeiten sind dafür natürlich von zentraler Bedeutung. Die jüngsten Vorfälle der Cyberangriffe gehen nicht spurlos an Unternehmen und Behörden vorbei, auch wenn keine direkte Betroffenheit besteht. Insgesamt ist vor dem Hintergrund der Digitalisierung und zunehmenden Vernetzung bei den Unternehmen auch das Thema IT- Sicherheit stärker in den Vordergrund gerückt.

Bei so vielen Themen und Protagonisten: Wie kann der Austausch von Unternehmen und staatlichen Stellen noch optimiert werden?

Das Schlüsselwort ist Vertrauen. Wirtschaftsschutz umfasst viele Sicherheitsthemen, die Unternehmen und Behörden beschäftigen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit von staatlichen und nicht-staatlichen Stellen ist unerlässlich, um den Wirtschaftsschutz wirksam zu stärken. Es ist von zentraler Bedeutung, dass betroffene Unternehmen sich an die staatlichen Stellen wenden. Die Angreifer werden immer professioneller und Angriffe immer komplexer. Der Wissensaustausch darüber ist essenziell, um Lagebilder erstellen zu können, um Unternehmen konkreter informieren zu können und um entsprechende Abwehrmöglichkeiten zu entwickeln. Unternehmen fürchten negative Konsequenzen, insbesondere Imageschäden, und wenden sich vor diesem Hintergrund nicht an die staatlichen Stellen. Von dem gegenseitigen Wissenstransfer profitieren Staat und Wirtschaft aber gleichermaßen. Genau hieran müssen wir weiter arbeiten und das gegenseitige Vertrauen ausbauen.

Wagen Sie einen kleinen Ausblick: Wo steht der Wirtschaftsschutz heute und wo wird er in zehn Jahren stehen?

Wirtschaftsschutz ist kein Selbstläufer. Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen Staat, Behörden und Wirtschaft intensivieren, die „Initiative Wirtschaftsschutz“ kontinuierlich weiterentwickeln und stärken. Dafür ist eine enge Abstimmung zwischen den einzelnen Akteuren von zentraler Bedeutung. Wir haben den Grundstein gelegt und müssen nun weiter daran arbeiten, dass das Thema die Beachtung erhält, die notwendig ist. Völlig richtig lautet die Forderung des Bundesministers des Innern, Thomas de Maizière, dass Wirtschaftsschutz Chefsache im Unternehmen sein muss. Gleichzeitig müssen sich auch die relevanten Bundesressorts auf entsprechender Ebene des Themas annehmen. Politisch muss der wachsenden Bedeutung des Wirtschaftsschutzes Rechnung getragen werden. So sollte auch die 19. Legislaturperiode dazu genutzt werden, den Wirtschaftsschutz in Deutschland zu stärken. ASL

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