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Eine Differenz bleibt

Ladendiebstähle machen dem Handel in nahezu allen Branchen weiter zu schaffen. Die Schäden gehen jährlich in die Milliarden. Präventive Maßnahmen sowohl technischer als auch organisatorischer Art bleiben wichtige Mittel im Kampf gegen Diebstahl und Inventurdifferenzen.

Videoüberwachung sollte möglichst keine toten Winkel enthalten.
Videoüberwachung sollte möglichst keine toten Winkel enthalten.

Das Thema Inventurdifferenz be- schäftigt den Einzelhandel solange es ihn gibt. Hauptgrund für solche Differenzen ist nach wie vor der Diebstahl von Waren, sei es durch Kunden oder eigene Mitarbeiter. 2016 lag das durchschnittliche Niveau der Inventurdifferenzen laut der aktuellen Studie des EHI bei 0,57 Prozent vom Nettoumsatz gegenüber 0,59 Prozent in 2015. In Euro bedeutet dies einen Verlust durch Diebstähle im Wert von etwa 3,4 Milliarden Euro, der volkswirtschaftliche Schaden durch Mehrwertsteuerausfälle beläuft sich auf rund 460 Millionen Euro im Jahr. Davon werden Waren im Wert von rund 2,26 Milliarden Euro von Kunden gestohlen, der Rest verteilt sich auf Mitarbeiter (etwa 820 Millionen Euro) und Lieferanten (rund 300 Millionen Euro). Nach wie vor gibt es ein hohes Dunkelfeld bei Ladendiebstählen, da die überwiegende Mehrheit der Fälle nicht zur Anzeige gelangt. Geschätzt werden an die 98 Prozent der Fälle gar nicht erkannt, so Frank Horst, Leiter Forschungsbereich Inventurdifferenzen und Sicherheit beim EHI Retail Institute. Durchschnittlich wird ein Schaden von 83 Euro bei den angezeigten Taten ermittelt, was bezogen auf den Anteil am Gesamtschaden verursacht durch Kunden eine Fallzahl von 26 Millionen ergäbe.

Verlagerung der Diebstähle

Während der Warenwertverlust durch Ladendiebstahl in etwa die letzten Jahre konstant geblieben ist, haben sich bei der Art der Diebstähle auffällige Veränderungen ergeben. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) unterscheidet zwischen einfachen und schweren Diebstählen (siehe Kasten). Letztere liegen dann vor, wenn die Ware besonders gesichert gewesen ist, etwa durch eine Vitrine oder andere Warensicherungsmaßnahmen, die die Täter häufig dann gewaltsam öffnen oder entfernen. Hier gibt es seit 2007 nahezu eine Verdreifachung der Fallzahlen, von 8.194 auf 22.476 Fälle, gleichzeitig sind die Fallzahlen bei einfachem Ladendiebstahl rückläufig. Die Entwicklung muss auch vor dem Hintergrund des organisierten bandenmäßigen Diebstahls gesehen werden, der ebenfalls zugenommen hat. Diese Banden gehen gezielt nach Plan vor und verteilen einzelne Aufgaben auf die Gruppe. Das Verkaufspersonal wird gezielt beobachtet oder abgelenkt, andere machen sich an die Beutebeschaffung, häufig höherwertige Artikel. Teilweise versuchen die Täter, die Warensicherungen zu manipulieren, indem sie mit Folie ausgestatteten Taschen nutzen, um Artikel durch die Kontrolle am Eingang nach draußen zu bringen. Auf diese gewerbsmäßigen Tätergruppen entfällt mittlerweile etwa ein Viertel des Gesamtschadens der Diebstähle. Der Einsatz von Videoüberwachung, Detektiven, Sicherheitspersonal oder Warensicherungsmaßnahmen lässt dabei einen Verdrängungseffekt beobachten, und zwar nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Geschäfte selbst. Täter sind risikoavers und wählen in der Regel den Weg des geringsten Widerstands. Sie wandern dann von den besser gesicherten Märkten und Läden hin zu den weniger gut gesicherten ab. Innerhalb eines Geschäfts lässt sich der Effekt ebenfalls beobachten, wenn der Diebstahl sich etwa bei Textilien von den mit Warensicherungsetiketten ausgestatteten Artikeln hin zu den ungesicherten verlagert.

Eine Frage der Rechnung

Ein Problem des Einzelhandels sind die verlängerten Öffnungszeiten bei gleichem Personaleinsatz, zu dem auch die Kaufhausdetektive zählen. Denn die meisten Diebstähle werden nach wie vor von Detektiven zur Anzeige gebracht. Rund 15.000 Ladendetektive sind in Deutschland im Einsatz, deren Einsatzstunden aber nicht an die erweiterten Öffnungszeiten angepasst worden sind, sodass faktisch weniger Personal für die Überwachung zur Verfügung steht. Die technische Aufrüstung mit Videoüberwachung kann nur präventiv wirken, während zur eigentlichen Überführung von Tätern Personal vonnöten ist. Für viele Geschäftsinhaber sind Sicherungsmaßnahmen, egal ob elektronisch oder durch Personal, eine Abwägung von Kosten und Nutzen. Im Schnitt gibt jeder Händler etwa 0,32 Prozent seines Umsatzes für Diebstahl reduzierende Maßnahmen aus. Je nach Branche kann das Budget auch mal bis zu 0,97 Prozent des Umsatzes erreichen, etwa bei Unterhaltungselektronik. In der Regel geben Bau- und Warenhäuser wesentlich mehr für die Diebstahlprävention aus als der Lebensmittelhandel. Die Frage, ob sich etwa der Einsatz eines Detektives lohnt, ist eher eine Frage der Abschreckung als eine der tatsächlich sichergestellten Beute. Bei einer Einsatzzeit von zwölf bis 14 Stunden wird im Schnitt ein Täter durch einen Detektiv festgehalten und die Ware letztlich zurückgeführt. Bei einem statistischen Wert von etwa 67 Euro der Ware und dem entgegen zu rechnenden Stundensatz des Detektivs steht hier eher der präventive und potenziell abschreckende Gedanke im Vordergrund, so Horst. Mitarbeiterschulungen sind dagegen sicherlich die kostengünstige Möglichkeit, Inventurdifferenzen zu reduzieren und werden in den einzelnen Branchen als eine der wichtigsten Maßnahmen angesehen. Die Schulungen sollen die Mitarbeiter nicht nur für potenzielles Täterverhalten sensibilisieren, sondern auch das richtige Verhalten lehren, wenn Täter gestellt werden.

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Ganzheitliche Videoüberwachung als Lösung?

Videoüberwachung ist neben der Artikelsicherung eine der häufigsten Maßnahmen zur Diebstahlprävention durch alle Branchen. Mehr als drei Viertel der befragten Unternehmen für die aktuelle EHI-Studie setzen Kamera- und Videotechnik unterschiedlicher Art als für den Kunden sichtbare Überwachungsmaßnahme ein. Ein Beispiel hierfür ist die Filiale eines Edeka Marktes in Nienburg. Aufgrund hoher Inventurdifferenzen am alten Standort sollte hier im Zuge des Neubaus der Filiale eine umfassende flächendeckende Videoüberwachung mit IP-Kameras von Axis umgesetzt werden. Für die insgesamt 2.600 Quadratmeter Ladenfläche und den Parkbereich um die Filiale kommen 49 Kameras zum Einsatz. Die Kameras im Innenbereich verfügen über erweiterte Sichtwinkel und HD-Auflösung, womit sich gleichzeitig je zwei Gänge überwachen lassen.

Damit ist nur die Hälfte an Kameras für eine vollflächige Überwachung ohne tote Winkel notwendig, als dies bei analogen Kameras der Fall wäre. Die Aufnahmen werden eine Zeit lang gespeichert, damit im Nachgang eine Strafverfolgung mit Videobildern als Beweismittel möglich ist. Diebstahlprävention war sicherlich der eine Grund für den Einsatz von Videoüberwachung, ein anderer wichtiger Grund war aber auch die Sicherheit der Mitarbeiter, erklärt André Hanekamp. Prokurist bei Edeka. Denn Supermärkte sind immer wieder Opfer von Überfällen mit Bargeld als Ziel. Insofern hilft die Überwachung auch, Täter entweder von vornherein abzuschrecken, oder dann im Ernstfall den Täter anhand hochauflösender Bilder ermitteln zu können.

Hilfreich bei der Aufklärung

Auch die Außenkameras dienen der Sicherheit der Mitarbeiter, etwa die Überwachung des Mitarbeiterausgangs sowie die der Parkplätze des Marktes. Die Vorteile der HD-Auflösung machen sich sowohl in der Arbeit des eingesetzten Ladendetektivs als auch in der nachträglichen Aufklärung positiv bemerkbar. Täter lassen sich im Vergleich zu analogen Kameras deutlich identifizieren, ebenso die entwendeten Artikel. Die Maßnahmen haben zu einem deutlichen Abnehmen der Inventurdifferenz geführt, die auf 0,01 Prozent gesunken ist. Damit ließen sich sogar weitere Warensicherungsmaßnahmen einsparen. Ganz verhindern lassen wird sich Diebstahl nicht, aber auf ein erträgliches Niveau reduzieren. Hierzu muss im Einzelfall abgewogen werden, welches Bündel an Maßnahmen sinnvoll ist. Generell werden Maßnahmen nun eher offensiv zur Schau gestellt, etwa die Videoüberwachung oder Warensicherungen, um Täter zu verunsichern und damit von Straftaten abzuhalten. Systeme müssen dabei immer sinnvoll aufeinander abgestimmt sein und sich ergänzen, um für potenzielle Täter das Risiko so hoch wie möglich zu hängen.

Auch die Abstimmung innerhalb des Einzelhandels zwischen Ketten und Filialen ist sinnvoll, etwa um eine Verdrängung in weniger gesicherte Branchen oder Märkte zu vermeiden. Videoüberwachung, Warensicherung oder Mitarbeiterschulungen und Sensibilisierung des Personals sind Möglichkeiten, präventiv und gezielt Ladendiebstähle einzudämmen. Daraus folgt gleichzeitig aber auch eine notwendige „Hartnäckigkeit“ bei der Strafverfolgung. Anzeigen müssen erstattet und aufgenommen werden, auch wenn es häufig den Anschein hat, dem Täter drohten keine Konsequenzen. Hier sind Politik und Justiz gefordert, entsprechende Bemühungen seitens des Einzelhandels und der Polizei nicht ins Leere laufen zu lassen.

HL

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