Foto: Kalscheuer
Rund 130 Teilnehmer kamen - auch dank der Unterstützung durch BMW - zum Sicherheitsgipfel der deutschen Wirtschaft an den Spitzingsee.

BVSW-Wintertagung 2018

Sicherheit für Bits und die Welt

Anfang März hatte der Bayerische Verband für Sicherheit in der Wirtschaft e.V. (BVSW) zum nunmehr 7. Sicherheitsgipfel der deutschen Wirtschaft an den Spitzingsee geladen. Auf der Agenda der Wintertagung 2018 standen Themen wie die Gefährdung der Wirtschaft durch Nachrichtendienste, die Chancen und Risiken der Digitalisierung sowie Cyber-Abwehr im Internet der Dinge.

Zur Eröffnung des Kongresses am Mittwochabend gab Dr. Gunther Schmid, ehemaliger Professor für internationale Sicherheit beim Bundesnachrichten-dienst, unter dem Titel „Demokratie auf dem Rückzug, autoritär-populistische Staaten und Parteien auf dem Vormarsch“ einen Überblick über die poltisch-gesellschaftlichen Ursachen und deren sicherheitspolitischen Folgewirkungen. Welche lokalen Auswirkungen diese globalen Trends haben können, erfuhren die rund 130 Teilnehmer gleich am nächsten Tag, als Bayerns Landespolizeipräsident Prof. Dr. Wilhelm Schmidbauer die aktuellen Entwicklungen im Bereich der inneren Sicherheit vorstellte.

Fingerabdruck ersetzt den Ausweis

Dabei konnte Prof. Dr. Schmidbauer nicht nur die geringste Kriminalitätsbelastung in Bayern der vergangenen 25 Jahre präsentieren, sondern er legte zudem herrschende Missstände offen. So kritisierte er, die Rechtsordnung sei nicht auf moderne Probleme ausgelegt, wenn die Polizei beispielsweise keine Informationen über die psychische Auffälligkeit von Personen erhalten dürfe, die Videoüberwachung für Orte nicht ausgebaut werden könne, an denen sich oft große Menschenmassen treffen, und in den Streifenwagen der Polizei keine aktuellen Fahndungsfotos abgerufen werden könnten. Auch die Identitätsfeststellung vor Ort werde bald neue Wege gehen müssen, so Prof. Dr. Schmidbauer: „Der Ausweis hat an Bedeutung verloren, seit originale Blanko-Dokumente beim IS gefunden wurden. Die Identitätsfeststellung im Streifenwagen wird in Zukunft über den Fingerabdruck erfolgen, im ersten Schritt auf freiwilliger Basis.“

Alliiert ausspioniert

Prof. Dr. Gert Polli (Direktor des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung in Österreich a.D.) resümierte die Snowden-Affäre in Hinblick auf ihre Bedeutung für Politik, die Arbeit der Nachrichtendienste, die Wirtschaft und die Privatsphäre des Einzelnen. Er fasste nicht nur zusammen, dass der Datendiebstahl von 1,7 Millionen klassifizierten Dokumenten beim Nachrichtendienst NSA mit beschämenden Informationen über ein globales Überwachungssystem ein Sicherheitsproblem bei Nachrichtendiensten aufdecke. Sondern er stellte auch die Frage, warum die angestrengten Ermittlungen im Sande verliefen, warum das angeblich hochsichere Handy der Kanzlerin angezapft werden konnte, warum 122 Regierungschefs weltweit sowie über 300 deutsche Entscheidungsträger aus DAX-Unternehmen von der NSA abgehört werden – ohne Reaktion der deutschen Justiz. „Das liegt daran, dass diese Aktivitäten von den Alliierten auf deutschem Boden rechtlich abgesichert und legal sind“, erklärte Prof. Dr. Polli.

„Nachrichtendienste leben vom Geben und Nehmen“, ergänzte er mit Blick darauf, dass terroristische Anschlagspläne in Deutschland oft nur durch Informationen fremder Nachrichtendienste aufgedeckt werden. Dabei sei die Terrorbekämpfung manches Mal nur der Deckmantel für Wirtschaftsspionage. Dass Informationen zu Geldflüssen aus dem Swift-System direkt an die amerikanische Wirtschaft weitergegeben werden, und die Autoindustrie im Rahmen des Abgasskandals ganz neue Formen der Wirtschaftsspionage erlebt, ergänzte das von Prof. Dr. Polli gezeichnete Gesamtbild.

Moderne Medien der Konservativen

Eine Vertreterin vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz zeigte, welche modernen Wege die ultra-konservativ orientierte islamistische Radikalisierung im Internet geht. Moderne Online-Magazine, Gruppen in sozialen Medien und Telegram Messenger dienen hier zur Propaganda und Anwerbung. Explizit Kinder, die mit kostenlosen Spielen gelockt werden, und Frauen werden von den Radikalisierungsstrategen der Salafisten auf Augenhöhe angesprochen.

Ein Resümee zur Münchner Sicherheitskonferenz zog Dr. Benedikt Franke, Chief Operating Officer des Veranstalters MSC. Auf dieser zwischenstaatlichen Gesprächsplattform sei in diesem Jahr „Konfliktpotential wahrnehmbar“ gewesen, so Dr. Franke. Darüber hinaus prägte fehlendes Vertrauen innerhalb der EU die Münchner Sicherheitskonferenz 2018. „Konstruktive Vorschläge und Handausstrecken waren auf dem Rückzug“, fasste er zusammen. Deshalb möchte der Veranstalter im kommenden Jahr mit genauem Blick auf die eingeladenen Redner dafür sorgen, dass konkrete Lösungsansätze wieder in den Mittelpunkt rücken.

50 Prozent Können, 50 Prozent Glück

Von den Anzug tragenden, weltpolitischen Wegbereitern der Sicherheit schwenkte Dieter J. Fox, Einsatzgruppenführer GSG 9 a.D., zur eher hemdsärmeligen Umsetzung von Sicherheit, die bei der Befreiungsaktion des 1977 entführten Flugzeuges „Landshut“ in Mogadischu notwendig war. „50 Prozent Können, 50 Prozent Glück“ – so lautet heute Fox‘ Einsatzbilanz. Vorbei an allen Unwegsamkeiten von maroden Leitern und fehlendem Werkzeug vor Ort, steht dieser Einsatz auch symbolisch für eine Zeit, in der Sicherheit in der deutschen Wirtschaft plötzlich zum Thema wurde.

Unsichere Software steuert die Welt

Neu im Programm der Wintertagung war eine von BVSW-Geschäftsführer Heinrich Weiss moderierte Podiumsdiskussion zu Chancen und Risiken der Cyber-Abwehr und des Industrial Internet of Things (IIoT). Eine Dreiviertelstunde war für eine tiefgreifende Debatte allerdings zu kurz angesetzt.

Dennoch konnten die Teilnehmer der Wintertagung wichtige Denkanstöße zum Thema mitnehmen. Marius von Spreti (Accenture Security) zeigte auf, dass Cyber-Angriffswerkzeuge für jeden verfügbar sind, und beispielsweise Drohnen (hierzu stellte die Securiton GmbH übrigens vor Ort ihre Lösungen vor) und 3D-Drucker problemlos bei Amazon bestellt werden können. „Eine vernetzte Welt und smart Services erhöhen über ihre Sensoren, Netzwerke und Apps die Angriffsfläche“, erläuterte von Spreti. „Software steuert die Welt, und die Schwachstellen der digitalen Welt sind angreifbar. Hier sind dringend neue regulatorische Rahmenbedingungen notwendig“, sagte er mit Blick auf das unzureichende Patch-Management bei 20 Jahre alten Industrieanlagen.

Auch die beiden weiteren Diskussionsteilnehmer Hans-Christian Witthauer (Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich Zitis) und Johann Berger (Stellvertretender Direktor am George C. Marshall European Center for Security Studies in Garmisch-Partenkirchen) standen den Besuchern der Wintertagung über das Panel hinaus Rede und Antwort, sowohl während der Veranstaltungspausen als auch bei der Abendveranstaltung, die traditionell vor verschneiter Kulisse und begleitet von Alphorn-Klängen zur Alten Wurzhütte führte.

Die IT in der Kaffeemaschine

Genauso schnell getaktet, wie Angriffe im Internet of Things erfolgen, war auch das Live-Hacking von Diplom-Informatiker Sebastian Schreiber von der Syss GmbH. Er griff vom Handy über die Funktastatur bis hin zum Autoschlüssel Daten ab und zeigte, wie wichtig es ist, bestehende Sicherheitslücken von Unternehmen durch Penetrationstests aufzudecken, damit diese schnell geschlossen werden können. „IT ist heute in Rasenmähern genauso zu finden, wie in Staubsaugern, Fahrrädern und Kaffeemaschinen“, zählte Schreiber auf, und gab ein Beispiel vom Angriff auf das zentrale Management von 2.500 Kaffeemaschinen in der Gastronomie.

„Systeme im Internet können immer lahmgelegt werden“, so sein nüchternes Fazit. Zudem werde die Erpressung mit Datenverschlüsselung durch die Möglichkeit der Bitcoin-Zahlungen attraktiver. „Und in den Cyberraum können Polizeiautos schlecht hineinfahren, um jemanden zu verhaften“, versinnbildlichte er die Grenzen der Strafverfolgung. Nach dem Abtauchen in die Welt von manipulierten Smartphone-Apps, falschen Absendern von Nachrichten, abgehörten Konferenzsystemen, gehackten Bestellseiten und Funk-Alarmanlagen, blieb bei den Teilnehmern des Sicherheitsgipfels neben einem unguten Gefühl gleichzeitig eine höhere Sensibilität für die unsichere Seite einer digitalen Welt zurück.

Automatisierung gefährdet Arbeitsplätze

Dass die digitale Welt den Menschen entgegen landläufiger Befürchtungen nicht wegrationalisiert und ersetzt, wurde im Beitrag von Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl, Leiterin des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI, deutlich. „Nur zwölf Prozent der Arbeitsplätze mit sehr geringen Qualifizierungsanforderungen sind in Deutschland tatsächlich automatisierungsgefährdet“, sagte sie. „Die Arbeit geht uns nicht aus, sie gestaltet sich nur anders. Deshalb werden in der Ausbildung zukünftig digitale Fertigkeiten und psychosoziale Kompetenzen eine wesentlich größere Rolle spielen.“

Valerie Holsboer, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, unterstrich diese Einschätzung: „Soziale Kompetenzen und Weiterbildung werden immer wichtiger – jedoch nicht mehr, um im Job weiter aufzusteigen, sondern um in der Position bleiben zu können, in der man bereits arbeitet.“

„Die Kunst der kontinuierlichen Selbsterneuerung“ mit den acht Prinzipien eines modernen Change Managements von Dr. Hans-Joachim Gergs (Organizational Development, Audi AG) bildete den Abschluss der 7. Wintertagung. Demnach sollten sich Unternehmen zum Beispiel in guten Zeiten verändern und an neue Anforderungen der digitalen Welt anpassen, bevor die nächste Krise eintritt.

Auch im kommenden Jahr werden Sicherheitsexperten wieder die Gelegenheit haben, bei der nächsten vom Bayerischen Verband für Sicherheit in der Wirtschaft ausgerichteten Wintertagung mit dabei zu sein, die Vorträge zu verfolgen, zu diskutieren und ausführlich zu netzwerken: Der kommende BVSW-Sicherheitsgipfel der deutschen Wirtschaft im Arabella Alpenhotel am Spitzingsee ist für den 13. bis 15. März 2019 angekündigt.

Britta Kalscheuer

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Foto: BVSW

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