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Fake News 23. April 2018

Offen kommunizieren

Fake News – dieser Begriff hat es inzwischen sogar in den Duden geschafft. Falschnachrichten werden bewusst in die Welt gesetzt, um anderen zu schaden. Wie die Unternehmenssicherheit von Fake News betroffen sein kann, erfuhr PROTECTOR & WIK von Dr. Elke Neujahr, Lehrbeauftragte im Studiengang Risiko- und Sicherheitsmanagement an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen.

Mit dem sozialen Netz und mit der ungeheuren Welle an Fake News greift eine ganz neue Form krisenhafter Themen um sich.
Mit dem sozialen Netz und mit der ungeheuren Welle an Fake News greift eine ganz neue Form krisenhafter Themen um sich.

PROTECTOR & WIK: Wenn ich als Unternehmen von Fake News betroffen bin: Ist das eine „normale“ Krise?

Dr. Elke Neujahr: Nein, das geht viel viel weiter – man sieht das schon daran, dass sich ganz verschiedene Disziplinen mit dem Thema auseinandersetzen. Um hier Abhilfe zu schaffen, müssen ganz andere Abwehrmaßnahmen und auch eine neue Sensibilität für Nachrichten sowie deren Verbreitung greifen. Zum Beispiel sind Risiko- und Sicherheitsmanagement in Verbindung mit Kommunikationsmanagement gefragt. Aufgabe ist zunächst, mögliche Themen zu identifizieren und zu beobachten, die das Potential zur Falschmeldung haben können. Im Ernstfall geht es dann darum, früh zu erkennen, ob die Inhalte einer Nachricht stimmen. Das ist gar nicht so einfach, denn Fake News haben oft einen wahren Kern. Einmal verbreitet, findet die Nachricht darum auch viele Menschen, die diese als Wahrheit annehmen – gerade in unserer komplexen Welt. Viele Menschen lechzen nach einfachen Wahrheiten und sind bereit, schnell zu glauben. Gleichzeitig sinkt ihr Vertrauen in die klassischen Medien.

Und dadurch verfestigen sich Falschnachrichten?

Mit dem sozialen Netz und mit der ungeheuren Welle an Fake News greift eine ganz neue Form krisenhafter Themen um sich. Statt mehr Transparenz zu erreichen, verbreitet sich eine falsche Nachricht über das Internet wie ein Lauffeuer, wird geteilt und sorgt statt für Meinungsvielfalt für die Manipulation von Meinungen: Nicht Tatsachen, sondern Meinungen über Tatsachen bestimmen das Zusammenleben, sagte schon der griechische Philosoph Epiktet vor 2000 Jahren.

Und so geschieht es, dass Menschen auf Autoren von Blogposts & Co reinfallen, statt zu prüfen, ob die Quelle richtig oder überhaupt vorhanden ist, auf die man sich bezieht.

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Warum ist das Interesse daran, Fake-News zu verbreiten, denn so groß?

Die Motive sind vielfältig, wir sprechen keinesfalls von Lausbubenstreichen. Es geht um klare politische und/oder wirtschaftliche Interessen – oft in Verbindung mit krimineller Energie. Und somit um finanzielle Schäden, die jährlich mit Milliardenbeträgen zu Buche schlagen können.

Das Konstrukt selbst ist nicht neu. Lügen waren schon immer ein Teil menschlicher Kommunikation. Neu ist, dass es nun moderne Kommunikationsplattformen wie Facebook, Twitter oder Reddit gibt, um sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und wo sie weiter geteilt werden können. Und mit Fake News lässt sich Geld verdienen. Es gibt inzwischen professionelle Fake-Autoren, die schreiben und kopieren unwahre Artikel und verdienen Geld mit der Werbung auf Webseiten. Diese Seiten vermitteln eine hohe Authentizität. Sie sehen aus wie seriöse Nachrichtenseiten und heißen auch so. Diese Kombination aus scheinbar seriöser Quelle und Teilen der Inhalte wirkt doppelt. „Geteilt“ ist heute die neue Glaubwürdigkeitswährung – vor allem wenn die Nachricht über den Twitter-Account des US-Präsidenten läuft.

Kommen wir von der Politik zu Unternehmen: Wie können sie sich vor Fake News schützen?

Vor 200 Jahren bemerkte schon Goethe: Aufmerksamkeit ist das Leben! Nie war diese Aussage so aktuell wie heute. Die Liste möglicher Angreifer ist groß: Konkurrenten, ehemalige oder frustrierte Mitarbeiter oder Kriminelle, die beispielsweise auf fallende Aktienkurse setzen. Einen generellen Schutz vor Falschmeldungen gibt es nicht. Wohl aber die Notwendigkeit, einer extrem hohen Sensibilität für diese Thematik. Noch immer sind viele Unternehmen nicht wirklich vorbereitet oder nehmen sich dem Thema nur zögerlich an. Sie glauben, dass es sie schon nicht treffen werde. Cyber Security gehört auf die Agenda eines Unternehmens im Rahmen des Krisenmanagements. Ebenso hilft ein konsequentes Reputationsmanagement – Fake News haben es umso schwerer, je gefestigter der gute Ruf eines Unternehmens ist. Diesen kann man sich nur durch harte Arbeit und konkrete Leistungen über einen längeren Zeitraum „verdienen“. Eine gute Reputation bietet Schutz, denn sie geht tiefer und besteht aus den verfestigten Erlebnissen, Gefühlen, Erfahrungen, Eindrücken und Wissen der Menschen im Umgang mit dem Unternehmen.

Aber wenn es nun doch zum Ernstfall kommt?

Jetzt ist eine schnelle Reaktion und Transparenz gefragt. Nehmen wir ein Beispiel: Seit einigen Jahren schalten internationale Betrügerbanden gefälschte Stellenanzeigen in Internet-Jobbörsen oder versenden diese per E-Mail. Sie spähen Bewerber aus, stehlen deren Identität oder betrügen sie um viel Geld für angebliche Vermittlungsgebühren oder Spezialsoftware. Die Zahl solcher Fake-Anzeigen nimmt in Deutschland zu. Das Einzige, was hilft, ist, sehr offensiv zu kommunizieren, damit mögliche Bewerber gewarnt sind – auch wenn das eigene Unternehmen dadurch unangenehm in die Schlagzeilen geraten kann. Monsanto hat nach einer Fake News seine Mitarbeiter ermuntert, persönlich in den sozialen Netzwerken als ausgewiesene Monsanto-Angestellte eine Klarstellung zu kommunizieren. Einen ganz neuen Weg geht Unilever. Das Unternehmen droht Google und Facebook mit Werbeboykott, wenn sie die Hass und Fake-News nicht in den Griff bekommen. Dies könnte ein wirksamer Hebel sein, denn letztendlich geht es Google und Co. vor allem ums Geld und weniger um demokratischen Meinungsaustausch.

Die Beispiele zeigen, dass im Internet viele Betrüger auf ihre Chancen lauern. Auf welche Gefahren können Unternehmen ihre Mitarbeiter denn noch hinweisen?

Da sind die sozialen „Bots“, also Computerprogramme, die menschliches Kommunikationsverhalten imitieren und zum Beispiel bei Twitter mit scheinbar echten Accounts inklusive Profilbild, Posts und Followern erscheinen. Sie reagieren auf bestimmte Hashtags und setzen dann zuvor programmierte Inhalte ab. Ihre Wirkung entfalten sie durch ihre schiere Masse. So sind sie in der Lage, Meinungsmehrheiten vorzutäuschen und Stimmung – auch gegen ein Unternehmen – zu machen. Ein Thema erscheint dann plötzlich größer als es eigentlich ist. Auch sind sie in der Lage, Diskussionen zwischen echten Usern mit vielen gefakten Gegenaussagen zu behindern. Oftmals ist nicht direkt zu erkennen, dass auf der anderen Seite ein Roboter aktiv ist. Und man muss noch nicht einmal Experte sein, um einen solchen Bot zu programmieren. Im Netz gibt es kostenlose Software dafür. Die gute Nachricht: Es greifen endlich Abwehrmaßnahmen. Twitter hat gerade mehrere Tausend Accounts gesperrt, um sie auf Echtheit zu prüfen. Ebenso tummeln sich im Netz leider sehr viele Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Diskussionen mit destruktiven, aggressiven und provokativen Beiträgen zu zersetzen. „Trolle“ gibt es fast in jedem Diskussionsforum – und zwar als echte Personen oder auch in Form von Bots – den „Auto-Trollen“. Als Online-Mobber haben sie nur ein Ziel: stören, sabotieren und kaputt machen. Dagegen hilft, sich mit seinen Social-Media-Aktivitäten zu beschäftigen, klare Regeln für Foren zu formulieren und sie zu monitoren, um Trolle frühzeitig zu entdecken. Compliance und Cyber Security können in der Belegschaft durch Aufklärung dazu beitragen, dass derart verbreitete falsche Behauptungen mit ausreichend kritischer Distanz betrachtet werden. Dazu braucht es hervorragende interne Kommunikation.

Was kann denn die interne Kommunikation leisten?

Die Bedeutung von interner Kommunikation ist größer denn je. Die Mitarbeiter sind die wichtigsten Markenbotschafter und zugleich Unternehmensschützer einer Organisation. Die Rolle der internen Kommunikation liegt darin, insbesondere die Führungskräfte für den Dialog mit ihren Teams mit Kernaussagen, Informationen und Beispielen zu versorgen. Ich glaube da vor allem an den Dialog und an Schulungen, wo die Führungskraft auch Coach und glaubwürdiger Vertreter des Unternehmens ist.

Haben Sie ein Beispiel, wo Mitarbeiter einer Falschnachricht aufgesessen sind?

Fatal sind Fake E-Mails, die sehr glaubwürdig formuliert und gestaltet sind. Ich habe einen Fall betreut, bei dem augenscheinlich vom Account einer Top-Führungskraft die Anweisung an einen Mitarbeiter in der Finanzabteilung kam, schnellstens eine sechsstellige Summe auf ein ausländisches Konto zu überweisen. Anderenfalls drohe ein sehr lukratives Geschäft für das Unternehmen zu platzen. Zum Glück war der Mitarbeiter misstrauisch und hat noch einmal persönlich Kontakt zu seinem Vorgesetzten aufgenommen.

Da gibt es leider einige Beispiele, wo das schief ging und hohe Summen transferiert wurden. Hier kann ich nur den Tipp geben, dass sich ein Unternehmen mit einer entsprechend positiven und wertebasierten Compliance-Kultur gut auf solche Fälle vorbereitet. Dann traut man sich auch, beim Chef nachzufragen!

Wann ist die Reputation eines Unternehmens wirklich gefährdet?

Warren Buffet sagte einmal, dass es 20 Jahre brauche, um einen guten Ruf aufzubauen, und nur fünf Minuten, ihn zu zerstören. Ganz so dramatisch sehe ich es nicht, denn es bedarf schon mehrerer Faktoren, um die Reputation eines Unternehmens wirklich zu gefährden. So ist es doch erstaunlich, wie gut sich VW trotzt der Skandale nach wie vor wirtschaftlich hält. Das Unternehmen profitiert einerseits natürlich von seinem hervorragenden Netzwerk in die Politik hinein, aber eben auch von dem über Jahrzehnte aufgebauten Reputationskapital. Problematisch wird es immer dann, wenn sich mehrere Risikothemen überlagern und potenzieren. Ich spreche hier gerne von einer multifaktoriellen Krise. Nehmen wir zum Beispiel H&M. Das Unternehmen befindet sich nach erfolgreichen Jahren in der Krise: Die Umsätze schwächeln, der Börsenkurs ist um mehr als 50 Prozent gefallen, Finanzexperten warnen. Und dann veröffentlicht das Unternehmen das Werbefoto mit einem dunkelhäutigen Jungen im grünen Pulli, auf dem „Coolest Monkey in the Jungle“ steht. Rassismusvorwürfe werden laut, ein Shitstorm bricht auf das Unternehmen herein. In Südafrika kommt es sogar zu gewaltsamen Protesten in Filialen. Ein gigantischer Image-Schaden droht. Kommunikativ geht das Unternehmen eher schmallippig auf die Vorwürfe ein und schon tauchen Fragen nach dem Ende des Familienimperiums auf. Wenn jetzt noch Fake News hinzukommen, kann das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt und die Reputation des Unternehmens nachhaltig gefährdet – mit möglicherweise existenzbedrohenden Folgen.

Was raten Sie Führungskräften in der Wirtschaft?

Bilden Sie ein eigenes Expertenteam im Unternehmen, das sich aus den verschiedenen Spezialisten zusammensetzt. Hier ist bereichsübergreifende Zusammenarbeit gefragt: Compliance, Sicherheit, Personalabteilung, Social Media und Unternehmenskommunikation, speziell interne Kommunikation. Machen Sie Cyber Security zum integralen Bestandteil ihres Vorfall- und Krisenmanagements.

Es wird immer von Qualitätsjournalismus gesprochen, der Fake-News entgegenwirken kann. Wie stehen Sie dazu?

Fake News sind heute eine ernsthafte Bedrohung mit einer großen zerstörerischen Kraft – für Unternehmen, aber auch für die freie Gesellschaft insgesamt. Die Schlacht um die Wahrheit ist jedoch noch nicht entschieden. Aktuelle Studien zeigen, dass die Menschen den Meldungen in sozialen Netzwerken immer stärker misstrauen. Gerade in Deutschland genießen die klassischen Medien nach wie vor eine hohe Glaubwürdigkeit, wenn auch mit Tendenz nach unten. Die Werte liegen dabei auch noch einmal deutlich höher als zum Beispiel in den USA. Google, Facebook und Co. geraten unter Druck – von politscher Seite wie von werbetreibenden Unternehmen.

Der Qualitätsjournalismus besitzt nach wie vor eine zentrale Rolle für eine möglichst wahrheitsgemäße Meinungsbildung. Doch allein wird er den Kampf gegen Falschnachrichten nicht gewinnen. Dazu braucht es weiterer gesellschaftlicher Akteure, deren Beitrag erforderlich ist. Und auch Journalisten sollten einen besonderen Wert auf den Wort-Teil „Qualität“ legen. Leider stelle ich in der Medienarbeit immer wieder fest, dass falsche Informationen über eine lange Lebensdauer verfügen – selbst bei Qualitätsmedien.

Annabelle Schott-Lung

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