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Intelligente Städte 7. Mai 2018

Im Zeichen der Resilienz

Städte ziehen Menschen magisch an. Nach Aussagen der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) werden im Jahr 2030 voraussichtlich zwei Drittel aller Menschen in Städten leben. Smart Citys scheinen die Lösung zu sein – doch wie stark greift die digitale und vernetzte Infrastruktur in unser Leben ein und mit welchen Maßnahmen lassen sich lebensnotwendige Bereiche für den Menschen in den Städten schützen?

Der Begriff „Smart Citys“ steht für die Entwicklung und Nutzung digitaler Technologien in fast allen städtischen Bereichen.
Der Begriff „Smart Citys“ steht für die Entwicklung und Nutzung digitaler Technologien in fast allen städtischen Bereichen.

Mit der zunehmenden Urbanisie- rung geraten Städte unter massiven Druck – sozial, strukturell und wirtschaftlich. Im Umkehrschluss gilt es für die Politik sowie Wissenschaft und Wirtschaft, neue Formen eines nachhaltigen Zusammenlebens für die Zukunft zu finden. Keine leichte Aufgabe bei einem Blick auf die drohenden Überlastungen der Megastädte von Tokio über Delhi bis Mexiko-Stadt. Ein Versprechen, vieles besser zu machen und die urbanen Probleme in den Griff zu bekommen, heißt: Smart City.

Das innovative Muss

Die intelligente Stadt soll es richten. Damit gemeint sind nach dem Verständnis vieler Akteure im großen Stadtgefüge vor allem digitalisierte Prozesse. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) schreibt: „Der Begriff „Smart Citys“ steht für die Entwicklung und Nutzung digitaler Technologien in fast allen städtischen Bereichen. Die Technologien entwickeln sich rasant weiter, Unternehmen und Menschen setzen sie weltweit immer häufiger und vielfältiger ein, und die Menschen erwarten auch, dass Städte und Gemeinden sich diese neuen Möglichkeiten zunutze machen.“ Im Klartext bedeutet das: Digitalisierung und Vernetzung im großen Stil ermöglichen es, die Herausforderungen unserer Megastädte zu meistern. Gleichzeitig warnt das BMUB mit Bezug auf die Smart City Charta, „die Digitalisierung nicht einfach geschehen zu lassen, sondern sie aktiv im Sinne der nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung zu gestalten“. Die Digitalisierung würde nicht automatisch zu besserem Verwaltungshandeln, zu einer besseren Infrastruktur – zum Beispiel einem nachhaltigeren, zugänglicheren und preisgünstigeren Stadtverkehroder höherer Energieeffizienz führen. Somit gilt es hinzusehen, wer was fordert und ob das „innovative Muss“ digitalisierter Prozesse im Stadtleben tragfähig und nachhaltig ist. Nicht umsonst kritisierte „Zeit Online“ jüngst in einem Beitrag Technologiekonzerne. Die interessierten sich zwar brennend für Stadtentwicklung, weil sie ihnen neue Monopole versprechen. „Das menschliche, urbane Leben ignorieren sie meistens“, so der Beitrag.

Von Insellösungen und digitalen Prozessketten

Im Grunde haben wir es bei vielen Smart- City-Projekten mit einer Technologiezentriertheit zu tun, die zwar große Digitalkonzerne gerne unterstützten. Für viele Stadtmenschen bringen sie per se keinen Mehrwert. Ein Grund liegt darin, dass die intelligente Stadtwelt von heute noch zu stark von Insellösungen, Einzel- und Prestigeprojekten geprägt ist. Vernetzung und Interaktion? Teils Fehlanzeige. Ein Versprechen lautet: Digitalisierung bringt Fortschritt, bringt bessere Lebensbedingungen in den Städten. Diese Gleichung geht allerdings nicht in allen Fällen auf. Beispielsweise kämpfen moderne Städte und Ballungsräume mit immensen Umweltbelastungen, Wasserknappheit und Infrastrukturausfällen. Letztere nehmen zu – ein Blick auf die digitalen Prozessketten und -strukturen moderner Organisationen wie die von Energieversorgern sowie Telekommunikations-, Transport- und Verkehrsunternehmen genügt. Über Jahre sind Abhängigkeiten entstanden, die heute im Zuge vermehrter Hackerangriffe und Sabotagemöglichkeiten auf die Kritischen Infrastrukturen in einem anderen Licht betrachtet werden müssen. Im Mittelpunkt sollte für Stadtverantwortliche die Frage stehen: Wie stark greift die digitale und vernetzte Infrastruktur in unser Leben ein und mit welchen Maßnahmen lassen sich lebensnotwendige Bereiche für dem Menschen in den Städten schützen? Eine Antwort lautet eine sorgfältige Notfallplanung und die Resilienz der Gemeinschaft erhöhen.

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Notfälle simulieren, Resilienz ausbauen

Wohin uns Infrastrukturausfälle führen können, zeigen vergangene Beispiele eindrucksvoll. Ein großangelegter Hackerangriff brachte die Stromversorgung in der Ukraine im Jahr 2015 zum Erliegen. Über 200.000 Menschen waren betroffen. Die Angreifer richteten sich gezielt auf die automatisierten Prozesse der Verteilnetze. Die Folge war ein Blackout. Nicht zu vergessen der Cyberangriff auf das iranische Atomprogramm mittels Stuxnet, einem Computerwurm, der 2010 zu massiven Störungen führte. Solche und ähnliche Angriffe sind aufgrund der digitalisierten Prozesse im Infrastrukturbereich erst denkbar. Aktuelles Beispiel: Hackern ist es gelungen, in das Datennetzwerk des Bundes und der Sicherheitsbehörden einzudringen.

Übertragen auf die moderne Stadt mit ihren smarten Lösungen und einer allumfassenden Vernetzung lassen erahnen, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Ein weitgehender Zusammenbruch ganzer Infrastrukturbereiche. Dies lässt sich nicht 100-prozentig verhindern. Dennoch können Ausfälle und Notfallmaßnahmen simuliert werden. Nicht umsonst schreibt der Verfassungsschutz: „Nicht warten, bis der Spionagefall eingetreten ist.“ Im Grunde geht es um eine ausreichende Notfallplanung, um für den Tag X gerüstet zu sein. Und mehr noch, geht es um eine rechtzeitige und vorausschauende Planung sowie Strategie. Damit ist gemeint, mehrere Bezugsquellen von Strom und Wasser aufbauen, den Verbrauch nachhaltig senken und die Rückgewinnung zu forcieren.

Das gilt gleichfalls für Unternehmen und deren Planungen, beispielsweise zur Beschaffung von Ressourcen und Rohstoffen. Eine Bündelung von Bezugsquellen, nur um einen noch besseren Einkaufspreis zu erzielen, kann sich hier nachteilig auswirken. Darüber hinaus muss es auch den Städten darum gehen, die Widerstandsfähigkeit der Stadtgemeinschaft und ihrer Menschen auszubauen. Unter dem Stichwort Resilienz geht das Konzept weit über die einer reinen Notfallplanung hinaus. Wichtig ist es vielmehr, die Lern- und Anpassungsfähigkeit zu erhöhen. Es geht darum, langfristige Strategien zu finden, sich anzupassen. Mithilfe eines konsequenten Resilienzausbaus können Menschen und ganze Organisationen ein praxistaugliches Stressmanagement auf- und ausbauen.

Die Akteure lernen, flexibel mit Schwierigkeiten umzugehen und lösungsorientiert vorzugehen. Das wird nicht ohne Veränderung funktionieren, ohne vielleicht den einen oder anderen schmerzhaften Einschnitt – die Bevölkerung eingeschlossen. Im Umkehrschluss bedeutet das, ein „Weiter so“ darf es nicht geben. Wenn man nach Resilienz strebt, muss eine Lernfähigkeit erzeugt werden. Und in der sollten sich Städte, Wirtschaft und Wissenschaft gleichermaßen üben. Wie wenig resilient eine Großstadt sein kann, zeigt sich aktuell an der Wasserknappheit in Kapstadt. Seit Jahren herrscht in der Region eine der schlimmsten Dürreperioden. Die Verantwortlichen schauten dem Treiben zu lange tatenlos zu. Schuldzuweisungen zwischen den unterschiedlichen Akteuren sind an der Tagesordnung. Eine ausreichende Planung war lange nicht in Sicht. Die Folge ist eine rationierte Wasserversorgung der Millionenmetropole. Bürger, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen müssen Wasser sparen. Wenn das nicht hilft, droht der „Day Zero“ Ende August 2018 (Stand, 12. März 2018). Ab diesem Zeitpunkt müssen die Kapstädter ihr Wasser an öffentlichen Verteilzentren beziehen. Statt aktuell 50 Liter pro Tag, sind es ab besagtem Tag nur noch 25. In diesem Chaos um die knappe Ressource Wasser wird deutlich, wie analog die Stadtwelt werden kann. Keine App und keine digitalisierten Prozesse zaubern mehr Wasser pro Person in die Kanister. Nein, vorherrschend ist ein analoges Denken und Handeln im Zeichen des Überlebens in einer scheinbar modernen Stadtgesellschaft. Viele Megacitys in den armen Regionen dieser Erde sollten den Verantwortlichen in den reichen Nationen Warnung genug sein.

Uwe Rühl, Gründer der RUCON Gruppe

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