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Resilienz in Transportinfrastrukturen

Die Krise frühzeitig erkennen

Die Sicherheitsvorkehrungen an Bahnhöfen oder Flughäfen werden kritisch diskutiert und hinterfragt. Dies gilt bei Bahnhöfen umso mehr, als sie ein offenes System darstellen und keinen strengen Zugangskontrollen unterliegen.

Bahnhöfe können leicht zum Ziel terroristischer Anschläge werden.
Bahnhöfe können leicht zum Ziel terroristischer Anschläge werden.

Zwischen den Kosten für Sicherheitsmaßnahmen und -technologien und der dadurch entstehenden Risikoreduzierung abzuwägen, das ist die Aufgabe vom Verbundprojekt „RE(H)STRAIN“. In diesem Kontext ist das Verhältnis zwischen persönlicher Freiheit und Systemsicherheit sehr komplex und wird von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen intensiv untersucht und diskutiert.

Persönliche Freiheit und Systemsicherheit

Der Fragestellung der Möglichkeit von mehr Sicherheit ohne die Einschränkung der persönlichen Freiheit widmeten sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren Forscherteams aus Deutschland und Frankreich als Verbundpartner im Projekt „RE(H)STRAIN“ (REsilience of the Franco-German High Speed TRAIn Network). Unter Einbindung praktischer Endnutzer wie der Deutschen Bahn, der deutschen Bundespolizei, der französischen Gendarmerie nationale, der Offiziersschule der französischen Gendarmerie nationale, dem französischen Umweltministerium, der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF und der Université de Technologie de Troyes (UTT) wurde möglichst nahe an der Praxis an technischen und systemischen Lösungen gearbeitet. Dazu sagt Hans-Hilmar Rischke, Chief Security Officer der DB: „Wir tragen eine große Verantwortung für viele Menschen im Verkehrssystem Eisenbahn. Wir benötigen intelligente Technologien, die unsere offenen Systeme aufrechterhalten und zu einem virtuell geschlossenen Verkehrssystem führen.“ Eben diese Notwendigkeit wurde im Projekt adressiert, das vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der französischen Agence nationale de la recherche (ANR) gefördert wurde.

Resilienzuntersuchungen

Resilienz ist die Kunst, relative Sicherheit zu bieten, ohne absolute Kontrolle zu implementieren. Dies ist eine duale Herausforderung und ein neues Feld für komplexe spieltheoretische Analysen. Als Grundlage wurde im Projekt eine holistische Betrachtung des Hochgeschwindigkeitszugnetzwerks angestellt, um initial die Komplexität des Netzes zu erfassen und aus Sicht der Betreiber, aber auch aus Sicht möglicher Angreifer „Heat- Spots“ im Netzwerk zu identifizieren. So sollte unter anderem geklärt werden, ob unter dem Gesichtspunkt der Angreifbarkeit, aber auch der Resilienz, einzelne Bahnhöfe mehr oder weniger schutzbedürftig sind als andere beziehungsweise ob es Bahnhöfe gibt, die besonders attraktive Ziele für Terroristen darstellen. Für das Netz wurden darüber hinaus komplexe Anschlagsszenarien entwickelt, um eine messbare Auswirkung auf Sicherheitskonzepte liefern zu können. Dabei wurde gezeigt, dass die Komplexität in der Planung und Durchführung unter anderem auch auf den örtlichen Gegebenheiten beruht. Sobald man sich gegenüber einer spezifischen Anschlagsart schützt und entsprechende Maßnahmen trifft, wird eine andere oder gar völlig neue Anschlagsart attraktiver für die jeweiligen Terroristen. Daher wurden die entsprechenden Angriffsstrategien den Verteidigungsstrategien samt technologischer Konzepte gegenübergestellt. Besonders die spieltheoretischen Analysen konnten hier weitere Einblicke liefern und das Zusammenspiel von Angreifer und Verteidiger simulieren.

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Komplexe Sicherheitskonzepte

Die Kombination aus graphentheoretischer Netzwerkanalyse und komplexer Szenare war die Ausgangslage für die entwickelnden Sicherheitskonzepte. Die Konzepte beruhen auf deren zeitlicher Realisierbarkeit und wurden für eine unmittelbare Umsetzung, in fünf Jahren und in zehn bis fünfzehn Jahren definiert. Technologischer Kernpunkt der Konzepte ist abstandsfähige Sensorik, welche Passagiere auf definierte Stoffe überprüfen kann, ohne aber natürliche Passagierpfade und Gehwege zu beeinflussen. Die Frage war also, ob es denkbar ist, Passagiere ähnlich effektiv wie an Flughäfen zu überprüfen, ohne aber Sicherheitsgrenzen zu errichten oder private Daten zu verwenden.

Internationaler Forschungsverbund

Kernstück dieser Überlegung war eine technische Anlage in Form eines Demonstrators, der mittels entsprechender Sensorik distanzbasierte Detektionen vornehmen kann. Diese Entwicklung der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und Frauenhofer FKIE könnte also eine Frühform der entsprechenden Antwort sein, ob solche Detektionen auch ohne direkte Sicherheitsüberprüfung möglich wären. Zentraler Bestandteil dieser Arbeiten war die Kopplung verschiedener Technologien und Sensoren mit intelligenten Videosystemen, um nicht nur Detektionen zu erfassen, sondern zeitgleich auch entsprechende Informationen zum Träger des Gefahrgutes zu bekommen. Eine weitere Entwicklung der Universität der Bundeswehr war es, diese Logik in ein Sensornetzwerk zu integrieren und mithilfe von künstlichen neuralen Netzen den Wirkungsgrad zu erhöhen. Daraus ergab sich gar die Frage, ob der Ansatz nicht sogar genutzt werden kann, um die Laufwege eines Gefahrgutträgers in einer Sicherheitszentrale zu analysieren und das weitere Laufverhalten vorherzusagen. Eine solche Analyse würde enorme Vorteile bieten. Erste Ergebnisse auf dem Gebiet sind sehr vielversprechend und wurden von der internationalen Forschungsgemeinschaft bei Fachtagungen interessiert aufgenommen.

Krisenfrüherkennung

Technologisch gesehen konnte das Projekt somit vielversprechende Zukunftsvisionen ein wenig näher in die Gegenwart rücken und Anreize für weitere Arbeiten auf dem Gebiet schaffen. So werden die angewandten Sensoren in Industrieprojekten kontinuierlich weiterentwickelt, um eine Anwendungsreife im Vollbetrieb eines Bahnhofes näherzukommen. Aber auch strategische und mathematische Lösungsansätze stoßen auch außerhalb der Grenzen des Projektes wie zum Beispiel im Bereich der Krisenfrüherkennung auf reges Interesse. So gibt es bereits mehrere Anfragen, um solche Systeme in weniger komplexen, aber stark gefährdeten Bereichen einzusetzen. Die Bandbreite reicht von militärischen bis hin zu industriellen Anlagen. Für eine solche Umsetzung in reale Entscheidungsprozesse wurden die theoretischen Methoden und Ansätze in „Management-Cockpits“ oder „Control-Towers“ eingebettet. So können umfangreiche und komplexe Analysen über mehrere Ebenen (Multilayered Approach) benutzerfreundlich und nachvollziehbar visualisiert und alltagstauglich in bestehende Systeme integriert werden.

Reachback – IRIS

Verbundpartner auf deutscher Seite waren die TH Köln, die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) sowie die HBI Haerter GmbH. Auf französischer Seite wurde der Forschungsverbund durch Mines Ales, LCPP, IFSTAR und Efectis komplettiert. Die Universität der Bundeswehr München bedankt sich bei ihrem langjährigen Partnern der NPS Monterey (Centix), der UCF in Orlando sowie der Deakin University. Sie sind Teil eines innovativen Reachbackkonzeptes IRIS (Integrated Reachback Information System), das als Prototyp wissenschaftlich entwickelt und evaluiert wird.

Prof. Dr. Stefan Pickl, Leiter des Projekts „RE(H)STRAIN“ an der Universität der Bundeswehr München, und Dr. Martin Zsifkovits, Institut für Theoretische Informatik, Mathematik und Operations Research, Universität der Bundeswehr München

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