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Smarte Strategien

Elektronische Zutritts- und Schließlösungen finden dank des Smart-Home-Gedankens immer häufiger Anwendung in privaten Haushalten. Interessanterweise bleiben die traditionellen Anbieter von Zutrittstechnik dabei meist außen vor. Liegt das an der Unzugänglichkeit des Marktes, unpassenden Produktportfolios oder an mangelndem Interesse der Hersteller? Dieser Frage nahm sich das PROTECTOR & WIK Forum Zutrittskontrolle 2018 am zweiten Tag an.

Volker Kraiss, Sicherheitsberater und Moderator des Forums, fragte gleich zu Beginn der Diskussion nach den Gründen der Zurückhaltung in einem offensichtlich doch wachsenden Markt: „Kann man sagen, dass der private Sektor trotz Smart Home generell ein schweres Pflaster für Anbieter der klassischen Zutrittskontroll- und Sicherheitstechnik ist? Wie ist zu erklären, dass die Hersteller und Anbieter der Zutrittskon trolle diesen Markt der kleinen und privaten Anwender nur so begrenzt bedienen? Hat man das Marktpotenzial des Privatanwenders womöglich noch nicht erkannt?”

Motorschloss und Co

Für Tammo Berner von Glutz ist klar: „Man muss den Privatmarkt anders betrachten als das Segment der komplexen Großanlagen. Wenn man den Maßstab nimmt, was wir unter Zutrittskontrolle verstehen, dann ist das, was ein Privatanwender benötigt, meilenweit entfernt. Da geht es meist nur um eine einzelne Tür mit einem Motorschloss – vielleicht noch kombiniert mit einer Sprechanlage. Es reicht, einen Zutrittsleser zu installieren, der ein Relais schaltet, mehr braucht es eigentlich nicht. Für solche kleinen Anlagen ist der Vertrieb der meisten Anbieter nicht aufgestellt. Hier tritt eher die Elektroindustrie auf den Plan, die die sen Bereich der Zutrittskontrolle übernehmen wird. Wir beraten nicht den privaten Endkunden. Und außerdem muss man auch sagen, solche Systeme haben auch noch nichts mit Smart Home zu tun, wenn sie über Kontakte geschaltet werden. Die Anfragen für Smart-Home-Schnittstellen steigen zwar, dann reicht aber ein Kontakt und ein Relais eben nicht mehr aus. Die Frage ist nur, ob auch die Zahlungsbereitschaft mit den steigenden Anforderungen wachsen wird.“ Auch für Friedhelm Ulm ist die aktuelle Lage eine logische Konsequenz der Historie: „Ich denke schon, dass der Markt als potenziell interessant erkannt ist, aber wir als Hersteller bedienen seit langem ein anderes Marktsegment. Unser Unternehmen ist seit Jahrzehnten dafür bekannt, dass wir recht komplexe Zutrittsorganisationslösungen, auch mit Schließanlagen, schaffen. Diese komplexen Lösungen sind immer dann gefragt, wenn es in den Objekten eine große Anzahl von Türen und Nutzern gibt. Für derartige Anlagen arbeiteten wir immer mit Partnern zusammen. Diese Partner sind vor Ort und haben den eigentlichen Kontakt zum Nutzer oder Endanwender. Unsere Vertriebsorganisation ist daher zwangsläufig nicht auf den Endanwender oder den Häuslebauer ausgerichtet.“

Die Krux mit der Komplexität

Neben den etablierten Vertriebsstrukturen, die offenbar kaum für eine Ansprache des Privatanwenders geeignet sind, entpuppen sich auch die Produkte oft als zu komplex. Darauf weist Johann Notbauer von Evva hin: „Die etablierten Anbieter von Smart-Building und Zutrittslösungen tun sich noch schwer im Smart-Home-Markt. Neue Marktteilnehmer, auch sehr stark aus dem IT-Bereich, prägen die Smart-Home- Innovationen. Ein Grund dafür ist, dass die Produkte aus dem professionellen Bereich schlichtweg zu viel können für die Heimanwendung. Wir haben das auch bei Airkey gesehen. Airkey wurde für das Business- Segment entwickelt, hat aber aufgrund toller Smartphone-Funktionen auch sehr viel Interesse im Heimanwenderbereich erzeugt. Den Verkaufserfolg in diesem Segment konnten wir erst voll erreichen, als wir zum Beispiel über ein Installationswizard die Verwendung maximal vereinfacht haben. Weglassen von Funktionen ist nicht unsere Strategie.“ Volker Brink von Winkhaus bestätigt: „Wir haben, wie viele andere auch, unsere professionellen Lösungen in den Funktionalitäten bereinigt und sie soweit abgespeckt, dass sie dem Endkunden zugänglich gemacht werden können. Dabei muss man es auf das Wesentliche reduzieren, auf das, was der Endkunde wirklich braucht. Das Produkt Bluecompact haben wir fertiggestellt und auch marketingseitig gut aufbereitet. Das ist die Voraussetzung für den Markterfolg. Jetzt mangelt es aus unserer Sicht noch an der Bekanntheit von elektronischen Zutrittslösungen im Endkundensegment. Daran arbeiten wir aktuell und setzen dabei stark auf Social Media.“

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Neuanlage oder Nachrüstung?

Die Reduktion von Funktionsumfang und Komplexität hat bereits angedeutet, dass der Markt der Häuslebauer eher mit überschaubaren Produkten angesprochen werden kann. Häufig werden elektronische Komponenten in bestehenden Anlagen ergänzt, wie Florian Du Bois von Gretsch- Unitas weiß: „Wenn wir über den Heimanwender sprechen, dann ist die Frage: Hat er ein umfassendes Smart-Home-System, das alle möglichen Gewerke – und eben auch die Zutrittskontrolle – einbindet? Oder reden wir von einer recht simplen Nachrüstlösung, die wenig kosten darf und deren Funktionalität stark begrenzt ist? Es gibt viele Privatkunden, die eine neue Haustür in Kombination mit Motorschloss und Fingerabdruck-Lösung bestellen, weil sie darin einen Mehrwert und Komfort sehen. Es ist auch preislich nicht so ausschlaggebend.

Wenn jemand 4.000 Euro in eine Haustür investiert, dann gibt er auch noch 500 Euro für eine elektronische Zutrittslösung aus, die ihm den Zutritt ohne Schlüssel ermöglicht. Am ganz entgegengesetzten Ende des Spektrums gibt es dann auch die günstigen Nachrüstsysteme, die eher zum Ausprobieren taugen.“ Vor allem bei letztgenannten ist auch Oliver Brandmeier von Dormakaba skeptisch: „Wir haben als seriöser Hersteller kein Interesse daran, billige Nachrüstkomponenten zu verkaufen. Wir pflegen langjährige Geschäftsbeziehungen und wollen keinen schnellen Umsatz mit Produkten zum Ausprobierpreis machen. Natürlich gibt es im Elektronikfachversand auch Digitalzylinder für 100 Euro, die sich mit Apps bedienen lassen. Jedoch sind diese Produkte aus meiner Sicht kurzlebig und machen den Nutzer auf Dauer nicht glücklich.“ Volker Brink findet derartige Ansätze ebenfalls nicht attraktiv: „Den Markt der Nachrüstlösungen haben wir bewusst nicht mit einem Me-too Keyturner-Produkt besetzt, denn diese Systeme sind aus unserer Sicht nur bedingt für Mehrfachverriegelungen in Hauseingangstüren geeignet. Denn akzeptable Akkustandzeiten lassen sich bei den hohen Drehmomenten, die zum Verriegeln von Mehrfachverriegelungen erforderlich ist, nicht erreichen. Teils reicht das Drehmoment auch gar nicht erst aus.“ Tammo Berner rät auch im Bereich des Smart Homes zu mehr Differenzierung: „Es gibt natürlich die ganz rudimentären Lösungen, aber daneben auch professionelle Smart-Home-Produkte, die auf KNX-Level agieren. Im Bereich des hochwertigen privaten Wohnens ist das derzeit noch ein Standard. Und wenn man sich einschlägige Messen wie die Light + Building ansieht, dann gibt es für Smart- Home-Lösungen einen wachsenden Markt. Spannend zu beobachten sind die Trends. Diese gehen zu Systemen, welche weniger Installationsaufwand benötigen, kostengünstiger sind und mehr als KNX abdecken können, wie zum Beispiel Powerline, Wifi oder BLE.“

Apple, Google, Amazon

Dass noch weitere Aspekte und vor allem auch neue Mitspieler zu bedenken sind, zeigt ein Beispiel, welches Friedhelm Ulm schildert: „Wir sind gerade dabei, ein neues Produkt für das private Einfamilienhaus in den Markt zu bringen: einen batteriebetriebenen Schließzylinder, der motorisch angetrieben ist. Dieser wurde aus dem Objektgeschäft heraus entwickelt und wird nun in Testinstallationen auf die praktische Eignung bei Privatnutzern getestet. Das Feedback bisher war immer positiv: Der Zylinder arbeitet einwandfrei, ließ sich leicht installieren und bedienen. Aber, ich zitiere einen Kunden: Wenn der Zylinder jetzt noch kompatibel zum Apple HomeKit wäre, dann wäre das Produkt wirklich perfekt zu vernetzen.“ Damit ist bereits einer der neuen Mitspieler genannt worden, der über das Mittel der Smart-Home-Technik auch Sicherheitsgewerke wie die Zutrittskontrolle einbindet. Bernhard Sommer nennt weite relevante Firmen: „Wenn wir uns fragen, wie der Smart-Home-Markt funktioniert, dann kommt man an der Überlegung nicht vorbei, ob nicht längst Unternehmen wie Apple, Googles und Amazon die relevanten Plattformen beherrschen. Auch die Telekom ist da ein mächtiger Player. Wenn wir in irgendeiner Weise den Markt der Smart Homes bedienen wollen, müssen wir uns mit diesen Plattformen ausei nandersetzen und definieren, welche Rolle wir spielen wollen. Denn die Hardware in den vernetzten Systemen ist zweitrangig, solange sie eingebunden werden kann und die nötigen Funktionen bietet. Die Software ist der Schlüssel.“

Errichter außen vor?

Ebenso wie man sich fragen muss, welchen Einfluss große Technologie- und Internetfirmen haben, so muss man auch überlegen, inwiefern andere Glieder der traditionellen Wertschöpfungskette betroffen sind. Jens Heil vom Errichterunternehmen Gleich GmbH ist überzeugt: „Für mich bedeutet Smart Home, wenn sich die einzelnen Systeme schnell und intuitiv miteinander vernetzen lassen und die Bedienung ebenso intuitiv erfolgen kann. Techniker, die sich hier gut auskennen, sind meist selbst Digital Natives. Wenn diese zum Kunden gehen, denken diese Techniker nicht mehr über den einzelnen Schließzylinder nach, sondern über eine vernünftige Vernetzung und wie der Kunde seine Systeme auf eine Plattform integrieren kann, die alles vernetzt.

In vielen Fällen, hat ein Errichter bei Smart Home keine große Beratung beziehungsweise Installation zu leisten, weil viele Kunden schnell selbst herausfinden, wie die smarten Systeme funktionieren und auch Spaß daran haben, es selbst zu installieren. Wenn wir jedoch an Systeme denken, die eher in Richtung kompletter Gebäudeautomation gehen (zum Beispiel über KNX), dann können oder wollen Kunden die Installation nicht selbst übernehmen, sondern suchen kompetente Errichter auf. Der Begriff des Smart Home definiert aktuell die komplette Bandbreite von fernbedient bis automatisiert – nur letzteres verdient meiner Meinung nach die Bezeichnung smart“. Johann Notbauer schildert seine Eindrücke: „Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass über 75 Prozent des Smart-Home-Marktes über Do-it-yourself abgewickelt werden. Dementsprechend werden die Produkte über den Onlinehandel oder den Baumarkt vertrieben und selbst montiert. Der Kunde geht nicht zum Sicherheitsfachgeschäft oder beauftragt erst einen Errichter. Er besorgt sich die entsprechende Hard- und Software und legt selbst los.“ Stefan Winhausen vom Errichterbetrieb Röwer kann das bestätigen: „Häufig findet das Geschäft in diesem Markt nicht in der Errichterschaft statt. Entweder, weil der Kunde es selbst erledigt, weil die Firmen zu spät ins Geschäft eingestiegen sind oder womöglich im falschen Gewerk unterwegs sind. Auch läuft vieles über andere Vertriebswege, sei es über den Beschlaghandel, online oder auch Baumarkt. Die Errichter sind in allen drei Fällen nicht daran beteiligt. Der private Häuslebauer mag eine interessante Zielgruppe sein, aber es ist definitiv ein Massenmarkt, in dem andere Spielregeln gelten als im Objektgeschäft der professionellen Sicherheitsbranche.“

Abflachen des Hypes

Die Diskussion zeigte deutlich, dass Smart Home immer noch ein großes Schlagwort ist, von dem sich einige viel versprechen, das aber bislang aus Sicht der Sicherheitsanbieter noch nicht richtig durchgestartet ist. Oliver Brandmeier erklärt, warum: „Wir sprechen hier klassisch von einem Hype-Cycle-Thema. Und wir sind immer noch ganz oben auf der Welle der Erwartungen. Viele wollen einfach alles integrieren: Heizung, Einbruchmeldeanlage, Zutrittssystem, Entertainment, Brandmelder, Jalousien, Videoüberwachung. Das ist für mich immer noch eine Blase. Es gibt zwei bis drei große globale Player, die Plattformen anbieten, aber noch ist nicht alles sauber in diese Richtung verbunden. Ich denke, wir sind gerade kurz davor, ein Niveau zu erreichen, auf dem wir alle produktiv arbeiten können.

In drei oder vier Jahren werden wir vernünftige Plattformen geschaffen haben, auf denen wir uns integrieren können. Wir müssen das aufmerksam beobachten und unsere Strategie entsprechend ausrichten, wenn wir in diesem Segment aktiv mitwirken wollen.“ Dass sich smarte Technik durchsetzt und man sich auch als Sicherheitsanbieter anpassen muss, findet auch Florian Du Bois: „Wenn man sieht, wie Kinder und Jugendliche heute mit Technik umgehen, wie selbstverständlich sie bedient wird, ist klar, wo die Reise hingeht. Es wird die Notwendigkeit der Vernetzung und Digitalisierung in allen Bereichen geben. Was man auch bedenken muss: Den Sicherheitsaspekt, den wir völlig zu recht hoch halten, sehen viele jüngere weniger kritisch. Es geht vordergründig um Komfort und Nutzererlebnis. Und der Komfort kann im Bereich des Smart Homes künftig auch die Sicherheitsaspekte überholen. Das ist in den professionellen Projekten heute kaum denkbar, aber die nächsten Jahre werden zeigen, ob und wie die Entwicklung aus dem Privatbereich ins Business- Segment ausstrahlt.“ Hersteller und Errichter, die heute nur im Business-Umfeld agieren, sollten sich gründlich überlegen, wie sie sich künftig positionieren wollen und ob es überhaupt aussichtsreich erscheint, abseits des professionellen Marktes in Smart-Home-Gefilde vorzustoßen. Wenn man aber diesen Weg beschreiten will, müssen Produkte und Vetriebswege entsprechend organisiert und optimiert werden.

Michael Gückel

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