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Rückgrat für Videoanlagen

Die technischen Herausforderungen bei Videoüberwachungs-Projekten sind immens. Neben dem Fokus auf Endgeräten und Technologien sollte eine Komponente jedoch nicht vernachlässigt werden, die essentiell wichtig für die Funktionalität des gesamten Überwachungssystems ist: die Netzwerktechnik.

Die ROI-Funktion ermöglicht es, nur wichtige Bereiche hochauflösend zu überwachen. So lässt sich die genutzte Bandbreite deutlich reduzieren.
Die ROI-Funktion ermöglicht es, nur wichtige Bereiche hochauflösend zu überwachen. So lässt sich die genutzte Bandbreite deutlich reduzieren.

Gerade bei größeren Projekten gleichen die modernen Sicherheitszentren immer mehr komplexen Rechenzentren und stellen somit ähnlich hohe Anforderungen an die Vernetzung. Nicht selten sorgen jedoch Nachlässigkeiten bei der Installation für schwerwiegende Probleme mit der Überwachungsanlage. Die Fehler reichen von hohen Latenzzeiten bis hin zu kompletten Kameraausfällen. Die verwendeten Kabel sind dabei selten die ausschlaggebende Fehlerquelle. Denn in aktuellen Gebäudeinstallationen werden heutzutage für gewöhnlich nur noch Cat. 6/6A oder Cat. 7/7A Kabel eingesetzt. Mit diesen lässt sich selbst ultrahochauflösendes Bildmaterial problemlos übertragen. Anwenderfehler bei aufwendigen Installationen, der Kaskadierung von Switchen oder der Belegung von PoE-Anschlüssen sind deutlich häufiger für Probleme verantwortlich.

Bandbreite reduzieren

Generell gilt: Um die benötigte Rechenleistung und die daraus resultierenden Latenzzeiten so gering wie möglich zu halten, sollten Auflösung, Bitrate und I-Frame-Intervalle individuell parametriert werden. Zudem empfiehlt es sich, die sogenannte ROI-Funktion (Region Of Interest) zu nutzen. Diese ermöglicht es, nur den konkret zu überwachenden Bereich hochauflösend darzustellen und nicht zwangsläufig das gesamte Bild. Alternativ lässt sich das Bild durch Cropping-Funktionen so beschneiden, dass unwichtige Stellen ausgeblendet werden. Beide Methoden sorgen für eine maßgebliche Reduktion der erforderlichen Übertragungsbandbreite sowie des benötigten Speicherplatzes. Um eine stabile Übertragung sicherzustellen, ist darüber hinaus darauf zu achten, dass die maximale Kabelverlegelänge nicht überschritten wird. Diese beträgt 100 Meter bei RJ45-Kupferkabeln ab Cat. 5E UTP beziehungsweise 1,5 Kilometer bei LWL-Multimode-Fasern.

Der richtige Switch

Einer der wichtigsten Faktoren in IP-Netzwerken ist die Auswahl der richtigen Switche. Denn der Switch ist das zentrale Element einer jeden digitalen Videoanlage und stellt gleichsam einen Single Point of Failure dar. Aus diesem Grund sollte beim Kauf der Switche auf Qualität geachtet und je nach Einsatzszenario entsprechende Redundanzen geschaffen werden. Da die angegebenen Leistungswerte bei herkömmlichen Consumer-Produkten oft nur unter Laborbedingungen erreicht werden, ist für den Geschäftseinsatz die Verwendung von hochwertigen Business-Geräten unumgänglich. Ist dies nicht der Fall, kann es im normalen Betrieb schnell zu Problemen wie Verbindungsabrissen, Aufzeichnungs lücken, Rucklern, Bildartefakten oder sogar kompletten Encoder/Decoder-Ausfällen kommen. Gerade bei größeren Firmennetzwerken ist zudem der Betrieb eines autarken Videonetzwerks ratsam. So ist sichergestellt, dass es in Zeiten mit hoher Netzwerklast nicht zur gegenseitigen Störung der Geräte kommt. Kann aufgrund der bestehenden Gegebenheiten oder aus rein finanziellen Gründen keine unabhängige physikalische Infrastruktur aufgebaut werden, empfiehlt sich der Aufbau von getrennten VLANs (Virtual Local Area Network).

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Single Point of Failure umgehen

Eine der großen Fehlerquellen ist das In- Reihe-Schalten von Switchen – auch bei größeren Überwachungsprojekten. Eine Kaskadierung über drei Switche hinaus sollte dabei unbedingt vermieden werden. Immerhin hängen bei solch einem Aufbau die komplette Last sowie das Routing am ersten Switch. Fällt dieser aus, bricht in der Folge die gesamte Verbindung zusammen. Um dies zu vermeiden und eine redundante, ausfallstarke Verbindung zu realisieren, bieten sich Stern- oder Ring-Verkabelungen an. Bei einer Stern-Verkabelung etwa werden alle PoE-Videoswitche im Tertiär- Bereich durch einen Gigabitswitch im Primär-Bereich versorgt. Dabei empfiehlt sich der Einsatz von Gigabit-Switchen mit einer leistungsstarken Backplane, um eine optimale Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Sonst kann es bei maximaler Auslastung schnell geschehen, dass einzelne Datenpakete blockiert werden und deutlich länger benötigen, um dem Empfänger zugestellt zu werden. Dadurch steigt die Latenz deutlich an.

PoE richtig nutzen

Dank Power over Ethernet (PoE) lassen sich Kameras mittlerweile ebenso an entlegenen Orten installieren – beispielsweise auf Hallendächern oder auf Parkplätzen. Insgesamt werden vier PoE-Klassen unterschieden. Die zwei gängigsten sind PoE und PoE+. Beim klassischen Power over Ethernet ist die maximale Abgabeleistung des Power Supply Equipments (PSE) auf 15,4 Watt (802.3af) begrenzt. PoE+ hingegen bietet bis zu 34,2 Watt (802.at) Abgabeleistung. Darüber hinaus gibt es die bislang nicht offiziell spezifizierte Klasse PoE++, die bis zu 60 Watt umfasst, sowie die für das Jahr 2018/2019 angekündigte IEE802.3BT Klasse, die bis zu 100 Watt leisten soll. Einer der wichtigsten Faktoren im Umgang mit PoE ist die Betrachtung der Gesamtleistung. Um diese zu ermitteln, sollten vor der Installation die Leistungsklassen aller verwendeten PoE-Geräte sowie ihr exakter Stromverbrauch detailliert erfasst und dokumentiert werden. Dabei gilt es, selbst Kleinigkeiten zu berücksichtigen, etwa Kameras mit Heizung, Lüftung und integriertem IR-Strahler.

Gesamtleistungsbudget beachten

In den seltensten Fällen können alle Ports eines Switchs mit maximaler PoE-Leistung versorgt werden, selbst wenn die Datenblätter dies suggerieren. Ein PoE+-Switch mit 24 Ports ist jedoch nicht in der Lage pro Port 30 Watt – also insgesamt 720 Watt zu liefern – beispielsweise für den gleichzeitigen Betrieb von 24 PTZ-High-Speed-Domekameras mit IR-Strahler und Heizung. Vielmehr ist das PoE-Verhalten der Switche individuell zu konfigurieren. Je nach Modell gibt es dabei unterschiedliche Möglichkeiten. Manche Modelle weisen standardmäßig nur eine gewisse Anzahl an PoE-Ausgängen auf oder limitieren die Leistung über ein PoE-Budget. Andere Geräte ermöglichen eine hochgenaue Konfiguration über ein spezielles Switch- Management – inklusive Abschaltpriorität. Dadurch lassen sich Leistungsbudgets flexibel planen und einrichten. Bei großen Projekten empfiehlt sich der Einsatz zusätzlicher PoE-Injektoren im Midspan- Bereich. Hier sollte jedoch darauf geachtet werden, dass in diesem Fall das PoE am Primärswitch-Port deaktiviert wurde oder ein Primärswitch ohne PoE-Funktion genutzt wird.

Spezielle Videoswitche

Um die PoE-Leistung in Echtzeit überwachen zu können, sollten Videoswitche auf Layer2/3-Basis eingesetzt werden. Kommt es zu einem Kameraausfall, sind diese Switche in der Lage, die Kamera selbstständig neu zu starten, beziehungsweise eine Alarmmeldung abzusetzen, falls der Neustart fehlschlägt. Eine Alarmmeldung über das Simple Network Management Protocol (SNMP) ist ebenfalls möglich. Fortschrittliche Videoswitche bieten zudem die Funk tion, PoE-Ports zeitversetzt zu aktivieren. So werden Lastspitzen beim Einschalten verhindert und einer eventuellen Überlastung der Netzteile vorgebeugt. Ungewollte Datenschleifen können in einem Netzwerk zu erheblichen Fehlfunktionen führen – beispielsweise zu Broadcast-Stürmen. Um dies zu vermeiden, sollten die eingesetzten Switche über das sogenannte Spanning Tree Protocol (STP) verfügen. Damit lassen sich doppelte Pakettransporte verhindern.

Fazit

Insgesamt lässt sich festhalten: Die Anforderungen an die Netzwerktechnik sind zahlreich. Mit einer detaillierten Planung, der Wahl des richtigen Switchs und einer sachgemäßen PoE-Nutzung lassen sich die meisten Fehlerquellen verhindern und zuverlässige Übertragungsstrecken für Bild- und Datenmaterial sicherstellen. Der Aufbau eines physikalisch autarken Videonetzwerks ist ratsam, um bestmögliche Verbindungsqualität zu erzielen. Lässt sich dies nicht umsetzen, ist die Nutzung eines VLANs die erste Wahl. Durch das Feature QoS (Quality of Service) empfiehlt sich zudem eine Priorisierung des Datenverkehrs, die Umsetzung optimaler Flow-Control- Einstellungen sowie die Implementierung von non-blocking Switchen.

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