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Anpassungspflichten und Haftungsfragen

Folgendes Szenario dürfte vielen Gebäudeeigentümern nicht unbekannt sein: Man ändert die Art der bisherigen Nutzung und kassiert von der Baubehörde eine Reihe von brandschutztechnischen Auflagen, von denen bisher keine Rede gewesen war.

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Dieckert
Rechtsanwalt Dr. Ulrich Dieckert

Gleiches kann geschehen, wenn das Gebäude modernisiert oder ausgebaut wird (zum Beispiel Einbau neuer Klimaanlage) und die Behörde sodann erhebliche Anpassungen der bestehenden Elektrotechnik verlangt. Aber auch ohne Änderungen der Bausubstanz oder der Nutzung geschieht es immer häufiger, dass Eigentümer von Bestandsgebäuden von den Behörden auf Anpassung ihrer Häuser an aktuelle brandschutzrechtliche Vorschriften des Bauordnungsrechtes in Anspruch genommen werden. In den meisten Fällen geht es hier um die Errichtung eines zweiten Rettungsweges, der seit Mitte der 90er Jahre in den Landesbauordnungen aus brandschutztechnischen Gründen vorgeschrieben ist.

In diesen Fällen ist guter Rat teuer. Kann sich der Eigentümer in Anbetracht der hohen Kosten auf Bestandsschutz berufen oder muss er derartigen Anordnungen Folge leisten? Mit welchen Sanktionen seitens der Behörden hat der Eigentümer zu rechnen, wenn er sich einem Anpassungsverlangen verweigert? Und schließlich: Setzt sich der Eigentümer möglicherweise einer persönlichen Haftung aus, wenn er sein Bestandsgebäude nicht den aktuell geltenden brandschutztechnischen Regeln entsprechend anpasst?

Diese Fragen sollen in dem nachfolgenden Beitrag erörtert werden. Zunächst werden Umfang und Grenzen des Bestandsschutzes erläutert. Sodann geht es um behördliche Eingriffsbefugnisse nach dem Bauordnungsrecht und die Konsequenzen bei der Nichtbefolgung entsprechender Anordnungen. Anpassungserfordernisse können sich aber auch aus Verkehrssicherungspflichten der Eigentümer ergeben. Schließlich wird ein Blick auf die strafrechtlichen Konsequenzen geworfen, die aus einem pflichtwidrigen Verhalten des Eigentümers beziehungsweise weiteren Beteiligten resultieren können.

1. Umfang und Grenzen des Bestandsschutzes

Nach allgemeiner Auffassung ist eine bauliche Anlage bestandsgeschützt, wenn sie genehmigt und genehmigungskonform errichtet worden ist (sogenannter formeller Bestandsschutz) oder wenn sie zum Zeitpunkt der Errichtung dem geltenden Recht entsprochen hat (sogenannter materieller Bestandsschutz) und danach jeweils nicht rechtswidrig geändert worden ist. Will der Eigentümer einen solchen Bestandsschutz in Anspruch nehmen, hat er die rechtmäßig errichtete Anlage in dem Zustand zu erhalten, der den bei ihrer Errichtung geltenden Vorschriften entspricht, selbst wenn sich diese im Laufe der Zeit geändert haben (sogenannter passiver Bestandsschutz). Allerdings sind Renovierungs- beziehungsweise Modernisierungsmaßnahmen zulässig, soweit sie einer funktionsgerechten Erhaltung des Objektes dienen und solange sich an der seinerzeit genehmigten Nutzungsart nichts geändert hat (sogenannter aktiver Bestandsschutz).

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Rechtsdogmatisch wird der Bestandsschutz aus der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes (dort Artikel 14) abgeleitet. Die vom Staat unbeeinträchtigte Erhaltung und Nutzung des Eigentums hat jedoch ihre Grenzen dort, wo Grundrechte Dritter betroffen sind. Außerdem bleibt dem Gesetzgeber nach Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz vorbehalten, Inhalte und Grenzen des Eigentums zu bestimmen.

Von diesem Recht haben vor allen Dingen die Landesgesetzgeber in ihren Landesbauordnungen Gebrauch gemacht und für bestimmte Sachverhalte Anpassungspflichten bei entsprechender Anordnung durch die Baubehörden definiert (siehe unter 2.). Darüber hinaus können schadensersatz- beziehungsweise strafbewehrte Verkehrssicherungspflichten zu einer Einschränkung des Bestandsschutzes beziehungsweise zu Anpassungsmaßnahmen zwingen (siehe unter 3.). Schließlich können sich aus Sondergesetzen (zum Beispiel Arbeitsschutzvorschriften) und aus Vertrag (zum Beispiel Mietvertrag, Versicherungsvertrag) Anpassungspflichten ergeben, die aber nicht Gegenstand dieses Beitrages sind.

2. Anpassungspflichten bei konkreten Gefahren

Zahlreiche Landesbauordnungen sehen Anpassungspflichten bei konkreten Gefahren vor. So kann die Bauaufsicht gemäß § 85 Abs. 2 der Berliner Bauordnung verlangen, dass rechtmäßig bestehende bauliche Anlagen angepasst werden, wenn dies zur Vermeidung einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, insbesondere von Leben oder Gesundheit, erforderlich ist. Voraussetzung hierfür ist, dass in der Bauordnung oder in aufgrund der Bauordnung erlassenen Vorschriften nunmehr andere Anforderungen als nach dem bisherigen Recht gestellt werden. Andere Landesbauordnungen stellen lediglich auf die Gefahrenabwehr ab, so etwa Artikel 54 Abs. 4 der Bayerischen Bauordnung, wonach bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen nachträgliche Anforderungen gestellt werden können, wenn dies zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist.

Schließlich berufen sich die Bauämter der Bundesländer, die in ihrem Bauordnungsrecht nicht über derartige Spezialvorschriften verfügen, beim Erlass entsprechender Anpassungsanordnungen auf die Generalklausel, wonach Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten sind, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden (vergleiche zum Beispiel § 3 Abs. 1 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern).

Bei dem Anpassungsverlangen handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die Behörde kann also bei erkannten Gefahren eingreifen, sie muss es aber nicht. In jedem Fall hat die Behörde die potentielle Gefahrenlage zunächst durch eine sorgfältige Bestandsaufnahme zu prüfen, bevor sie eingreift. Eine bloße abstrakte Gefahr reicht in der Regel nicht aus, vielmehr muss mit einem Schadenseintritt im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu rechnen sein. Dabei muss es sich um Gefahr handeln, die der Normgeber durch die Verschärfung der bauordnungsrechtlichen Normen in den Griff bekommen wollte.

Geht es um die nachträgliche Forderung von Maßnahmen des Brandschutzes, so kann diese nach einer Entscheidung des Hessischen OVG (Beschluss vom 18.10.1999) nicht davon abhängig gemacht werden, dass eine konkrete Gefahr im Sinne der polizeirechtlichen Definition vorhanden ist. Denn im Hinblick darauf, dass es nach Ausbruch eines Brandes für die Anordnung von Schutzmaßnahmen zu spät ist, muss die fachkundige Feststellung genügen, dass nach den örtlichen Gegebenheiten der Eintritt eines erheblichen Schadens nicht ganz unwahrscheinlich ist.

Auch die standardmäßigen Einwendungen der Hauseigentümer, es sei doch bisher nichts passiert, lassen in Fragen des Brandschutzes die Gerichte kalt. So hat das OVG Lüneburg in einer Entscheidung vom 23.09.1976 die Eignung einer Treppe als Fluchtweg im Brandfall verneint, weil diese viel zu steil war. Nach Auffassung des Gerichtes hätte die Klägerin bisher lediglich Glück gehabt, dass nichts passiert sei. Da die Entstehung eines Brandes nicht außerhalb der allgemeinen Erfahrung liege (bei großem Schaden ist der vorauszusetzende Wahrscheinlichkeitsgrad geringer), bestünde eine konkrete Gefahr.

Hat die Behörde eine entsprechende Gefahr festgestellt, so muss das Anpassungsverlangen selbst nicht in vollem Umfang zur Einhaltung des aktuellen Rechts führen, soweit die angeordneten Maßnahmen zu einer Entschärfung der Gefahr führen (vergleiche OVG Hamburg, Beschluss vom 04.01.1996, OVG Bremen, Beschluss vom 28.06.2004). Auch sind alternativtaugliche Sicherheitskonzepte zu erwägen, wie dies beispielsweise bei der Umsetzung der Schulbaurichtlinie in Nordrhein-Westfalen geschehen ist. Das Anpassungsverlangen wird in der Regel mit dem Bauherrn beziehungsweise Gebäudeeigentümer im Wege der Anhörung (§ 28 Verwaltungsverfahrensgesetz) abgestimmt und dann per Ordnungsverfügung ausgesprochen.

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