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Sicherheitskonzepte 5. August 2015

Keine Sorge vor bö(h)sen Onkelz

Großveranstaltungen stellen die Verantwortlichen immer wieder vor neue Herausforderungen, egal ob in einer Halle oder Open-Air. Das größte Problem besteht darin, viele Tausend Menschen im Ernstfall sicher aus einem Gefahrenbereich herauszuführen. Für die Konzerte der Band „Böhse Onkelz“ am Hockenheimring hat das Polizeipräsidium Mannheim ein abgestimmtes Konzept entwickelt.

305.000 Zuschauer besuchten an zwei Wochenenden das Open-Air-Konzert.
305.000 Zuschauer besuchten an zwei Wochenenden das Open-Air-Konzert.

Die Band spielte an zwei Wochenenden im Juni jeweils freitags und samstags am Hockenheimring. Erwartet wurden bis zu 400.000 Zuschauer, von denen letztlich etwa 305.000 kamen. Bei der Planung einer Großveranstaltung spielt natürlich immer die Art des Events eine zentrale Rolle. In diesem Fall galt es, die Vergangenheit der Band einzubeziehen, da sie zumindest früher im Verdacht stand, rechtem Gedankengut nahe zu stehen. Insofern musste für einen ersten Auftritt in Hockeheim 2014 zumindest das Risiko von Aktionen linker Gruppierungen und allgemein der Rockerszene in Betracht gezogen werden.

Großeinsatz

Entsprechend wurde der damalige Einsatz vom Innenministerium Baden-Württemberg auch mit der Priorität eins bewertet, was bedeutet, dass alle angeforderten Kräfte auch bereitgestellt werden. Nach den positiven Erfahrungen aus dem letzten Jahr erhielt der diesjährige Einsatz dann die Priorität zwei, was einen Austausch von Kräften zuließ.

Eine solche Großveranstaltung ist nicht vergleichbar mit einem Sportevent. „Bei einem Fußballspiel, etwa in Sinsheim (TSG 1899 Hoffenheim), kommen etwa 30.000 Personen zum Spiel, wobei die ersten gegen 13.00 Uhr eintreffen und spätestens gegen 19.00 niemand mehr im Stadion ist. Bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung und einem Konzertbeginn am Freitagabend treffen die ersten Personen bereits am Mittwoch ein, um bis zum Wochenende auf den zugewiesenen Flächen zu zelten“, erklärt Gerhard Regele, Einsatzleiter und Leitender Kriminaldirektor vom Polizeipräsidium Mannheim.

Während die Camper in der Regel größtenteils bis Donnerstag anreisen, treffen am Konzerttag selbst vor allem die Tagesgäste ein. Um für den gesamten Zeitraum die erforderlichen Kräfte vorhalten zu können, werden diese im Mehrschichtsystem eingesetzt, was einen höheren organisatorischen Aufwand bedeutet. Alles in allem waren an den Wochenenden jeweils rund 800 Beamte und etwa 1500 Ordner im Einsatz. Die Polizei verzeichnete etwa 125 Straften für die vier Konzerttage, meistens Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz, Körperverletzungen und Diebstähle sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit insgesamt acht verletzten Polizeibeamten.

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Enge Zusammenarbeit

Neben der Polizei kommen zwei vom Veranstalter beauftragte Ordnerdienste zum Einsatz, die das Innengelände und den Außenbereich sichern. Dort gibt es an bestimmten Punkten wie der Ticket- oder Taschenkontrolle Schnittstellen mit der Polizei. Beide Kontrollen sind räumlich voneinander getrennt, damit es trotz der hohen Zahl an Schleusen und Kontrolleuren nicht zu längeren Wartezeiten oder Staus kommt.

Sollte der Ordnerdienst bei der Taschenkontrolle etwa einen verbotenen Gegenstand (insbesondere bengalische Feuer, „Bengalos“) finden, informiert er die Leitstelle. Beamte vor Ort nehmen die Person dann mit zur auf dem Gelände eingerichteten Wache und beschlagnahmen die verbotenen Gegenstände. Der Besitz solcher Gegenstände stellt neben einer Ordnungswidrigkeit oder gar Straftat auch einen Verstoß gegen die Hausordnung des Veranstalters dar, was den Entzug des Tickets nach sich zieht.

Generell können die Ordnerkräfte bei Problemen die in kleinen Einheiten auf dem Gelände verteilten Polizeitrupps über die eingerichtete Leitstelle herbeirufen. Ordner, Polizei und Rettungskräfte nutzen Digitalfunkgeräte und orientieren sich an einem Lageplan mit Koordinatensystem, der eine rasche Lokalisierung eines Ereignisses ermöglicht. Bei den Ordnerdiensten ist es wichtig, zumindest an den zentralen Stellen der Einlass- und Taschenkontrolle, geschultes und gut ausgebildetes Personal zu haben, auf das sich die Polizei bei der Durchführung der zugewiesenen Aufgaben auch verlassen kann. So sollten die Ordner gegenüber den Besuchern korrekt, höflich, aber bestimmt und nicht konfrontativ auftreten. Die Polizei hat sich im Vorfeld ausdrücklich gegen den Einsatz von Ordnern aus dem Rockermilieu verwahrt.

Neben dem auf dem Gelände verteilten Polizeitrupps gibt es auch eine besondere Einsatzgruppe gegen Taschendiebe. Mehrere Zivilbeamte halten mit geübtem Blick Ausschau nach Langfingern in der Menge. Ferner stehen für kritische Situationen mit Gewaltpotenzial speziell ausgebildete Beamte bereit, die deeskalierend auf die Zuschauer einwirken sollen.

Personenströme im Fokus

Das Unglück bei der Loveparade 2010 in Duisburg, habe gezeigt, wie wichtig es ist, ausreichend Raum für die zu erwartenden Menschenmassen vorzuhalten, insbesondere auf den Wegen zum und vom Gelände weg. Ein neuralgischer Punkt beim Hockenheimring ist eine Autobahnunterführung, die insbesondere bei der Abwanderung der Besucher stark frequentiert wird. Um hier keine Staus aufkommen zu lassen, setzt die Polizei „Diamanten“ ein. Dies sind aus Gittern zusammengesetzte Dreiecke, die den Besucherstrom verlangsamen, damit den Durchfluss verengen und den zur Verfügung stehenden Weg somit dem Querschnitt der Unterführung anpassen. Zusätzlich sind an dieser Stelle auch berittene Beamte vor Ort, die von ihrer erhöhten Position einen guten Überblick haben. Damit die Personen sich im Dunkeln leicht orientieren können, sind alle relevanten Wege mit Scheinwerfern und teilweise mit LED-Leitelementen ausgeleuchtet und beschildert.

Generell ist es wichtig, bei so vielen Menschen auf verhältnismäßig begrenzten Raum gefährliche Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. So steht der Veranstalter etwa im Kontakt mit dem Deutschen Wetterdienst, da nicht selten eine Unwetterlage eine Open-Air-Veranstaltung zum vorzeitigen Abbruch zwingen kann. Bei einem anzunehmenden Unwetter ist daher auch ein Meteorologe vor Ort, der die aktuelle Wetterlage stündlich oder häufiger der Polizei mitteilt, die dann letztlich über eine Fortsetzung oder den Abbruch entscheiden muss.

Sollten die Menschen im Ereignisfall in Panik geraten, müssen die Notausgänge rechtzeitig geöffnet werden. Im schlimmsten Falle müssen die Einsatzkräfte auch präventiv Barrieren entfernen, bevor Besucher diese umreißen und die damit zu gefährlichen Stolperfallen werden könnten. Sollte es zu einem Ernstfall kommen, bleiben der Einsatzleitung in der Regel nur wenige Minuten, um über einen Abbruch zu entscheiden. „Die dann auftretenden dynamischen Lagen erfordern sofortige Maßnahmen, die passen müssen. Viel Zeit zum Überlegen bleibt nicht, und man erhält auch keine zweite Chance“, erläutert Regele.

Rundumblick

Der Hockenheimring verfügt wie andere Rennstrecken über ein Start-/Ziel-Haus –, in dem bei Motorsport-Veranstaltungen alle Fäden zusammenlaufen. Von hier aus haben die Verantwortlichen mittels der rund 40 installierten Kameras einen vollständigen Blick auf die Rennstrecke und den Innenbereich. Bei Großveranstaltungen nutzt die Polizei die vorhandene Videoüberwachung und stellt Kollegen ab, die von dort aus das Geschehen weiläufig überwachen können. Zusätzlich setzt die Polizei aber auch auf eigene Bildübertragungen. Dazu sind auf dem Gelände selbst an verschiedenen Stellen Kameras vorübergehend installiert, deren Bilder direkt auf einem Bildschirm im Lagezentrum angezeigt werden.

Überwacht werden vor allem die aus polizeilicher Sicht kritischen Punkte, wie die Straßen zum und vom Motodrom. Zusätzlich zu den auf dem Gelände aufgestellten Kameras werden bei Bedarf auch Bilder der Hubschrauberüberwachung angezeigt. Der Polizeihubschrauber ist an den Konzerttagen drei bis viermal für jeweils etwa 45 Minuten in der Luft und liefert wichtige Bilder der Verkehrssituation rund um den Hockenheimring, aber auch vom Gelände selbst. Um einen Überblick über die Anzahl der auf dem Gelände befindlichen Personen zu erhalten, sind die Eintrittskarten mit einem Chip versehen, der beim Einlass erfasst wird.

Standortvorteile

Ein Gelände wie der Hockenheimring bietet für Großveranstaltungen gegenüber vergleichbaren Events „auf der grünen Wiese“ zahlreiche Vorteile. Die vorhandene Infrastruktur und die baulichen Gegebenheiten definieren eine Höchstzahl an Personen, die zugelassen sind. Befestigte Zu- und Abfahrtswege stellen einen klaren Vorteil gegenüber künstlichen Barrieren dar. Auch andere Einrichtungen wie sanitäre Anlagen oder ein Medical Center sind bereits vorhanden und müssen nicht erst aufwendig bereit gestellt werden.

Für den reibungslosen Ablauf einer Veranstaltung dieser Größenordnung spielt darüber hinaus die Seriosität und das Vertrauen der Verantwortlichen untereinander eine wichtige Rolle. Eine mehrjährige erfolgreiche Zusammenarbeit zahlt sich in einer eingespielten Organisation und Kommunikation aus. Dabei müssen sich alle Beteiligten frühzeitig an einen Tisch setzten und gemeinsam die Voraussetzungen und Anforderungen an die Veranstaltung klären. Der Veranstalter muss im Vorfeld prüfen, ob und inwieweit sein Event von der zuständigen Gemeinde und der Polizei genehmigt wird. Letztendlich gibt die Sicherheit der Besucher immer den Ausschlag, und die Polizei wird hierin immer die höchste Priorität setzen.

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