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Die Quadratur des Kraiss 11. Februar 2016

Blauäugig

Es ist ziemlich blauäugig zu glauben, dass eine Aussage wie „Wir schaffen das“ für nachhaltige Tiefenentspannung sorgt. Es ist auch blauäugig zu glauben, dass Übergriffen randalierender und krimineller Banden mit bizarren Vorschlägen wie „Frauen sollen zu Fremden eine Armlänge Distanz halten“ wirkungsvoll zu begegnen ist.

Volker Kraiss.
Volker Kraiss.

Ausgesprochen blauäugig ist es auch zu glauben, dass eine Vertuschungspolitik wie in Köln auf Dauer funktionieren kann. Genauso blauäugig ist es zu glauben, dass mit einer politisch gesteuerten Ausdünnung der Polizeikräfte wirkungsvolle Prävention und Aufklärung zu leisten ist oder dass rechtskräftig verurteilte Asylanten durch das juristische Minenfeld des deutschen Rechts problemlos abgeschoben werden könnten.

Noch blauäugiger und völlig absurd ist die Meinung von Hans-Christian Ströbele. In der n-tv-Sendung „Das Duell“ löste er das Flüchtlingsdrama auf seine Art. Er sagte sinngemäß: Um den Flüchtlingen den beschwerlichen Weg nach Deutschland zu ersparen, hätte man zur Erfassung und Bearbeitung von Flüchtlingen vor Ort 200, 300 oder auch 500 deutsche Beamte hinsetzen können. Erfasste und berechtigte Flüchtlinge hätten dann die Reise geordnet per Flugzeug oder Schiff und ohne Gefahr antreten können. Damit wären wir auch von den vielen anderen Flüchtlingen entlastet worden.

Blauäugigkeit contra Verantwortung

Hierzulande sind die Augen Neugeborener mangels körpereigenem Melanin in der Regel immer blau. Kommt dann später ein klein wenig Melanin hinzu, werden die Augen grün, bei noch mehr Melanin werden sie braun. Blauäugigkeit steht deshalb für kindlich naives und unschuldiges Handeln. Es sind keine Kinder, die Verantwortung übernehmen, egal ob in der Politik oder in der Wirtschaft. Wer also Probleme blauäugig angeht, handelt unprofessionell oder gar fahrlässig.

Dennoch leisten sich hochdotierte Manager immer wieder Blauäugigkeit. Zum Beispiel äußerte VW-Vorstand Müller vor seiner USA-Reise im Fernsehen: „VW ist im Grunde ein sehr ehrliches Unternehmen. Ich gebe zu, unsere Techniker haben an einer Stelle einen Fehler gemacht. Das war denen zum Zeitpunkt nicht bewusst, sie wollten auf ihre Art und Weise die Ziele erreichen, die man verabredet hatte. Das ist so nicht gelungen. Das ist nicht in Ordnung. Das muss man sagen.“ Dem Fernsehzuschauer blieb bei so viel Naivität die Luft weg. Die Amerikaner schäumten natürlich vor Wut, und den VW-Mitarbeitern wurde schmerzlich bewusst, dass die Haftungskaskade auch bei VW immer nach unten zeigt. Wahrlich eine beispielhafte Art der Krisenbewältigung und der Mitarbeitermotivation.

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Wer blauäugig an Sicherheitsprobleme herangeht, handelt ebenso verantwortungslos. Aussagen wie: „Es ist ja noch nie etwas passiert“, „Es wird schon nicht so schlimm werden“, „Das ist doch alles völlig übertrieben“, „Doch nicht bei uns“ oder „Der Kelch wird an uns schon vorbeigehen“, sind Teil eines Verdrängungsmechanismus, der oft verhängnisvoll endet. Und das meist dann, wenn die Verantwortlichen schon nicht mehr am Führungsruder stehen.

Mir nach, ich bin der Letzte?

Wer sagt: „Wir wollen höchste Sicherheit“, aber notwendige finanzielle Mittel und erforderlichen Zeitbedarf versagt, dem ist Blauäugigkeit zu unterstellen. Ziele markig zu formulieren, ist zeitgemäß. Allerdings orientiert sich harte Realität, sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft, allzu oft an dem Satz: „Wir sind hier, das Ziel ist dort, immer mir nach, ich bin der Letzte.“

Dennoch gibt es positive Beispiele: Vor einigen Jahren hat ein großes Mittelstandsunternehmen auf Veranlassung des Seniorchefs ein umfassendes Sicherheitskonzept erstellen lassen. Die Sicherheitsmängel waren immens, die umzusetzenden Maßnahmen entsprechend. Die verantwortlichen Führungskräfte waren – ob der Konsequenzen und der notwendigen finanziellen Mittel – entsetzt und wollten das Projekt erst einmal auf Eis legen.

Das war ziemlich blauäugig, denn der Senior ließ nicht locker, er hatte sein Ziel fest im Blick. Sein Denken war nicht von kurzfristigen Erfolgen, sondern von nachhaltigem Wirtschaften bestimmt. Er wollte, dass Sicherheitskultur zu einem Teil der Unternehmenskultur wird. Heute verfügt das Unternehmen über einen eigenen Sicherheitschef, und der wiederum verfügt über ein Jahresbudget von rund zwei Millionen Euro. Mir gefällt der Gedanke, dass in diesem Fall vorsorgliches, verantwortliches und auf nachhaltigen Erfolg ausgerichtetes Handeln gesiegt hat. Allen Lesern ein erfolgreiches Jahr!

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