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Konzentration auf das Wesentliche

Das Thema Videoüberwachung steht seit Monaten im Fokus gesellschaftlicher Debatten. Datenschutzrechtliche Bedenken sowie Fragen nach Nutzen und Leistungsfähigkeit stehen im Raum. Dennoch wird intelligente Videotechnik inzwischen vielfach evaluiert und eingesetzt, um die Polizei zu unterstützen. Der Test von Software zur automatischen Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz ist ein Beispiel hierfür.

Ein Teil des Projekts „Sicherheitsbahnhof Berlin Südkreuz“ wird sich um ein Videoanalysesystem für das Erkennen von möglichen Gefahrensituationen, etwa stehen gelassener Gegenstände, drehen.
Ein Teil des Projekts „Sicherheitsbahnhof Berlin Südkreuz“ wird sich um ein Videoanalysesystem für das Erkennen von möglichen Gefahrensituationen, etwa stehen gelassener Gegenstände, drehen.

Die Deutsche Bahn (DB) hat bereits seit Jahren auf den Bahnhöfen umfangreiche Videoüberwachungs- lösungen im Einsatz und baut den Bestand kontinuierlich aus. An rund 900 Bahnhöfen betreibt die DB Videoüberwachungs- anlagen mit etwa 6.000 Kameras. Im Rahmen eines „Zehn-Jahre-Programms“ sollen möglichst viele Kameras auf HD-Qualität und IP- Funktionalität umgerüstet werden. In rund 50 Groß-Bahnhöfen hat die Bundespolizei live Zugriff auf die Bilder und kann diese auswerten (siehe Kasten). In Berlin gibt es derzeit etwa 560 Videokameras an neun Großstadtbahnhöfen. Bei den derzeit eingesetzten Systemen muss ein Verantwortlicher die Bilder auf den Monitoren im Blick haben, um auf ein Ereignis „live“ reagieren zu können, was je nach Anzahl der Kamerabilder eine nicht einfache Aufgabe ist, die eine hohe Konzentrationsfähigkeit erfordert. Daher stellt sich die Frage, inwieweit „intelligente“ Videoüberwachungssysteme durch einen gewissen Automationsgrad in der Ereignismeldung den Anwender in seiner Aufgabe unterstützen können.

Ein erster Testlauf

Das Bundesinnenministerium, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Deutsche Bahn AG hatten letztes Jahr im Rahmen des gemeinsamen Pilotprojekts „Sicherheitsbahnhof Berlin Südkreuz“ die Durchführung von zwei separat zu erprobenden Teilprojekten beschlossen. Der erste Teil des Projekts, die „Biometrische Gesichtserkennung“, ist bereits verlängert worden und hat verschiedene Systeme zur automatisierten Gesichtserkennung zum Inhalt. Ein zweites, später angesetztes Teilprojekt, wird sich um ein Videoanalysesystem für das Erkennen von möglichen Gefahrensituationen wie liegende Personen oder stehen gelassene Gegenstände drehen. Ziel der automatisierten Gesichtserkennung ist letztlich das Erkennen gesuchter Personen und eine damit verbundene Meldung an die Polizeikräfte. Hierzu hat die Bundespolizei am Bahnhof Berlin Südkreuz seit August 2017 einen sechsmonatigen umfangreichen Testversuch gestartet, der Ende letzten Jahres um sechs Monate verlängert worden ist. Ziel ist, die technische Funktionalität und Zuverlässigkeit verschiedener Systeme in Verbindung mit bereits vorhandener Kameratechnik zu erheben. Die Ausgangslage am Bahnhof Südkreuz ist insofern dafür prädestiniert, als dass es dort 77 Kameras in HD-Auflösung gibt. Drei dieser Kameras nutzt die Bundespolizei für das erste Teilprojekt.

Realitätsnahe Bedingungen schaffen

Um für die getesteten Systeme alltagsnahe Bedingungen zu schaffen, sind 300 Freiwillige gesucht worden, zumeist Berufspendler, deren Gesichter in eine Referenzdatenbank gespeichert sind. Ebenso haben alle Testpersonen einen Transponder bekommen, mit dem festgestellt wird, wann genau die jeweilige Testperson welchen Testbereich durchlaufen hat. Die Erfassung der Transponderdaten dient dabei lediglich dem Zweck, die Validierung der Leistung der Gesichtserkennungssysteme zu erleichtern. Eine Nachverfolgung von Daten über den Transponder außerhalb des Empfängerbereiches des Referenzsystems findet dabei nicht statt. Die Testbereiche selbst sind großflächig gekennzeichnet. Die mit Transpondern ausgestatteten Freiwilligen sollen sich ansonsten natürlich verhalten, sprich etwa in der kalten Jahreszeit auch mit Schals, Kopfbedeckungen und dergleichen die Bereiche passieren, ohne explizit in die Kameras zu sehen. Zum Einsatz kommen Softwarelösungen dreier Anbieter, die Idemia Identity & Security Germany AG, Dell EMC und Elbex, Alleinvertriebspartner des Produkts Anyvision Face Recognition. Idemia war bereits 2006 an dem Pilotprojekt am Mainzer Hauptbahnhof beteiligt, das mit der damaligen Technologie nur eine ungenügende Trefferquote wiedergeben konnte. „Es geht bei den Testläufen nicht darum festzustellen, ob eine Software besser ist als die andere. Unser Ziel ist herauszufinden, ob es bereits heute eine Technik am Markt gibt, die einen unmittelbaren Sicherheitsgewinn bringt“, erläutert Polizeioberrat Oliver Schulz, Sachbereichsleiter Gefahrenabwehr bei der Bundespolizeidirektion Berlin. Da die erste Testphase des ersten Teilprojekts noch mit optimierten Bedingungen gearbeitet hat – hochwertige Bilder der Testpersonen – sind diese in der zweiten Testphase nun realitätsnaher durch Bilder schlechterer Qualität ersetzt worden, so wie sie auch eher echten Fahndungsfotos entsprechen würden.

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Positive Ergebnisse ermutigen

Der Verlauf der ersten Testphase des ersten Teilprojekts wird von der Bundespolizei durchaus positiv bewertet. Die im Test eingesetzten Systeme zur Gesichtserkennung haben nach einer ersten Zwischenbilanz gute Ergebnisse geliefert. Alle drei Systeme waren in der Lage, Testpersonen in allen drei festgelegten Erkennungsbereichen innerhalb der Teststrecke zu detektieren und zu erkennen, wobei die Erkennungsqualität bei Dunkelheit nicht wesentlich schlechter ist als bei Tageslicht. Die Auswertungen der Trefferquoten, also dem erfolgreichen Abgleich einer der Freiwilligen mit der hinterlegten Datenbankwird derzeit noch in einem Abschlussbericht analysiert. Bislang lässt sich eine Erkennungsquote von circa 70 Prozent feststellen, bei einer Fehlerquote von unter einem Prozent. Letzteres bedeutet, dass ein System eine Person als Treffer Person A erkannt hat, es sich aber um Person B handelt. Gerade im Vergleich zum Testlauf in Mainz vor über zehn Jahren zeigt sich die Leistungssteigerung der Systeme. Damals lag die Trefferquote bei 200 Freiwilligen nur bei maximal 60 Prozent am Tag, bei schlechten Lichtverhältnissen lag der Wert bei nur noch zehn bis 20 Prozent.

Entlastung ohne Kontrollverlust

„Intelligente Videosysteme wie eines zur automatischen Gesichtserkennung können der Polizei bei Bewertung und Filterung von Videodaten und Konzentration auf das Wesentliche helfen“, so Schulz. Videosysteme an Bahnhöfen zeichnen in der Regel 24 Stunden sieben Tage die Woche auf, und die Daten werden nach spätestens 30 Tagen wieder gelöscht. Parallel steigt die Datenmenge mit jeder weiteren Kamera an, und es wird für menschliche Anwender immer schwieriger, polizeirelevante Ereignisse oder Personen auf Live-Bildern im richtigen Augenblick zu erkennen und Maßnahmen einzuleiten. In Frankfurt beispielsweise überwachen etwa 100 Kameras den Hauptbahnhof, den rund 450.000 Menschen täglich nutzen. Ohne intelligente Videotechnik durchstreift die Polizei bei Fahndungen mit Bildern der gesuchten Person den Bahnhof und spricht diese bei positiver Identifizierung an. Ein automatisiertes System würde die Polizei bei solchen Aktionen unterstützen und entlasten, ohne dass die menschliche Kontrolle zurückbleiben würde. Meldet das System einen vermeintlichen Treffer in der Datenbank prüft ein Polizeibeamter, ob es sich wirklich um einen positiven Treffer handelt und leitet dann erst die Maßnahme ein.

Vorurteile entkräften

Letztendlich wird intelligente Videotechnik immer stärker zum Einsatz kommen, da die zunehmende Datenmenge eine alleinige Analyse durch den Menschen so gut wie unmöglich macht. Das Beispiel Großbritannien zeigt, dass dort trotz der weit größeren Anzahl an Videokameras die Auswertung der Bilder immer noch eher „Handarbeit“ist. Statt in neue Technologien zu investieren, werden Polizeibeamte zusätzlich ausgebildet, um die Flut an Videobildern im Auge zu behalten. Und in Bezug auf datenschutzrechtliche Bedenken hierzulande ist festzuhalten, dass intelligente Videosysteme sogar helfen können, die Datenflut an Aufzeichnungen einzudämmen, wenn nämlich bei entsprechender Zuverlässigkeit der Systeme nur noch relevante Daten aufgezeichnet und ausgewertet würden. Um die Bedenken und Vorbehalte gegenüber solchen Systemen und Technologien auszuräumen, ist vor allem Transparenz in der Anwendung und im Umgang mit den Daten gefragt. Die Berliner Bundespolizei hat sich etwa im Vorfeld und während des Testlaufs mit Vereinen und Datenschutzaktivisten ausgetauscht, die teilweise das Projekt auch begleiten, damit sich kritische Fragen auch konkret adressieren lassen. Der Abschlussbericht zur zweiten Testphase des Teilprojektes 1 und die endgültige Bewertung über den gesamten Zeitraum seit letztem Jahr hinweg werden zeigen, inwieweit die derzeit verfügbaren Technologien die Polizei effektiv in ihrer Arbeit für die Sicherheit der Bürger transparent unter stützen kann.

Hendrick Lehmann

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