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Verbände 31. März 2022

15. Sicherheitstagung: Sicherheit in einer komplexen Welt

Auf der 15. Sicherheitstagung des BfV und ASW Bundesverbands diskutierten Experten vor aktuellem Hintergrund über Sicherheit in einer komplexen Welt.

Sinan Selen (l.) und Volker Wagner auf der Pressekonferenz der 15. gemeinsamen Sicherheitstagung, die unter dem Thema „Sicherheit in einer komplexen Welt“ stand.
Sinan Selen (l.) und Volker Wagner auf der Pressekonferenz der 15. gemeinsamen Sicherheitstagung, die unter dem Thema „Sicherheit in einer komplexen Welt“ stand.

Die 15. Sicherheitstagung, die gemeinsam vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem ASW Bundesverband veranstaltet wurde und unter dem Motto „Sicherheit in einer komplexen Welt“ stand – eigentlich ein Anlass zur Freude. Der aktuelle Krieg in der Ukraine überschattete jedoch auch diese Veranstaltung. Betroffen eröffneten Volker Wagner, Vorstandsvorsitzender des ASW Bundesverbands, und BfV-Vizepräsident Sinan Selen die hybride Tagung, an der 180 Experten aus Wirtschaft, Sicherheitsbehörden und Wissenschaft vor Ort und online teilnahmen. Wagner unterstrich die Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, deren Unversehrtheit an erster Stelle stehe. Darauf leitete er zum Thema der diesjährigen Veranstaltung über, „Sicherheit in einer komplexen Welt“. Die mögliche Gas- und Ölknappheit, die durch einen Boykott russischer Energieträger drohe, mache die Verletzlichkeit der deutschen Industrie, aber auch weltweit, deutlich. Durch den Schulterschluss der westlichen Nationen sieht Wagner allerdings auch eine Chance, diese Herausforderungen zu meistern und die Resilienz der Lieferketten zu stärken.

Sicherheit in einer komplexen Welt

Auch BfV-Vizepräsident Selen hob den Paradigmenwechsel hervor, den die vergangenen beiden Jahre eingeleitet hätten. Sechs Millionen Tote weltweit durch eine Pandemie seien noch vor drei Jahren unvorstellbar gewesen. Ebenso ein Angriffskrieg mitten in Europa. Als Folgen würden Lieferketten fragil, die Versorgungslage allgemein verschlechtere sich. Gleichzeitig zeige sich aber auch die Abhängigkeit von Staaten, die unserem demokratischen Verständnis nicht entsprächen. Gezielte Cyberangriffe, sei es im Zusammenhang mit Covid oder jetzt dem Ukraine-Krieg, seien ebenfalls so nicht vorstellbar gewesen. Daher werde ein aktives Monitoring, auch durch den Verfassungsschutz, immer wichtiger. Systeme müssten gehärtet werden. Daher unterstütze der BfV Unternehmen, indem er 24/7 für ihre Problemen Ansprechpartner sei, so Selen abschließend.

Im Kompetenz-Center Krisenmanagement des ASW Bundesverbandes ist ein weiteres Leitblatt aus der Reihe Krisenmanagement in der Praxis entstanden.
Leitblatt Krisenmanagement des ASW Bundesverbandes
Der ASW Bundesverband gibt ein weiteres Leitblatt aus der Reihe Krisenmanagement heraus.

Bodo Becker vom BfV, der die Veranstaltung moderierte, leitete nun zum ersten Referat über, indem er die Frage stellte, wie denn in den USA die Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft aussehe. Die Antwort darauf gab Ryan T. Young vom Federal Bureau of Investigation (FBI). Wirtschaftsschutz gehört nach seiner Aussage mit zur nationalen Sicherheit der USA. Im Domestic Security Alliance Council (DSAC) haben sich 600 Unternehmen zusammengeschlossen, die sich intensiv mit dem FBI austauschen – auf vertrauensvoller Basis. So konnte Young zwei Beispiele vorstellen, in denen amerikanische Unternehmen von eigenen Mitarbeitern ausspioniert wurden, angeworben vom chinesischen Geheimdienst. Am aktuellen 5-Jahres-Plan Chinas könne man ablesen, welche Industriesektoren für China besonders im Fokus stünden. Unternehmen, die in denselben Bereichen aktiv seien, könnten also von einer latenten Spionagegefahr gegen sich ausgehen. Vernetzung ist auch hier für Young ein Schlüsselbegriff. Sein Appell an die Anwesenden lautete, sich bereits vor Eintreten einer Krise auszutauschen. Das FBI kooperiere deshalb auch mit befreundeten Nationen und gebe Expertenwissen weiter.

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Veränderte Sichtweise

Aus Aktualitätsgründen beantwortete als nächster Redner Prof. Dr. Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London, die Frage: Sind wir auf dem Weg zu einer veränderten Weltordnung? Zwei Kernthesen stellte er seinen Ausführungen voran. Zum einen vertritt Neumann die Meinung, dass sich die Welt aktuell nicht so sehr verändere, vielmehr verändere sich unsere Sichtweise. Als Beispiel nannte er hier den Nationalismus, der schon seit Jahren auf dem Vormarsch sei, allerdings jetzt erst von uns intensiv wahrgenommen würde. Seine zweite These besagt, dass sich der Westen nicht in einem Systemwettbewerb mit Russland befinde, da Russland wirtschaftlich schwach sei, über eine stagnierende Volkswirtschaft verfüge und von Korruption geprägt sei. Er skizzierte die möglichen Szenarien im Ukraine-Krieg. Egal ob der Konflikt schnell endet oder lange anhält – Russland wird in jedem Fall geschwächt aus dem Krieg hervorgehen.

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ASW Bundesverband: Wirtschaftsschutz vernetzen
Der ASW Bundesverband fordert die Vernetzung des Wirtschaftsschutzes in Deutschland. PROTECTOR unterstützt dieses Vorhaben mit einem exklusiven E-Magazin.

Denn eigentlichen Systemwettbewerb sieht Neumann viel mehr zwischen dem Westen und China. China habe in den letzten 20 Jahren die absolute Armut im Lande eliminiert und schnell Wohlstand für sehr viele geschaffen. Allerdings habe kein „Wandel durch Handel“ stattgefunden. Das kommunistische Land, das eigentlich einen Turbo-Kapitalismus praktiziere, sei nicht liberaler und demokratischer geworden, sondern autoritärer. Mit großem Nationalstolz wolle man diese „Erfolgsgeschichte“ in andere Länder exportieren. Der Westen müsse aufpassen, dass es diese Entwicklung nicht verschlafe.

Abschließend rückte Neumann noch die Folgen des Klimawandels in den Fokus. Die Herausforderungen, die damit verbunden seien, seien auf jeden Fall gigantisch. Entweder müsse die Welt mit mehr Konflikten und Migrationsbewegungen rechnen; oder die Weltwirtschaft müsse wegen des Verzichts auf fossile Brennstoffe komplett umgebaut werden.

Vorausschauendes Krisenmanagement

Paul Barnes vom australischen Institute of Global Development der University of New South Wales in Sydney betonte, dass auch in Australien die Wirtschaft häufig schlagkräftiger sei als der Staat. Allerdings hätten auch Lieferketten in Australien Probleme. Er skizzierte, wie ein vorausschauendes Krisenmanagement aufgebaut sein muss. Immer unter der Fragestellung, was wie passieren könnte – und mit welchem Effekt.

Podiumsdiskussion auf der 15. Sicherheitstagung

Zum Ende des öffentlichen Teils der Sicherheitstagung diskutierten Dr. Sebastian Müller, Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, Dr. Konstantin von Notz, MdB, Neumann und Barnes verschiedene Fragen zum Komplex „Wirtschaft im Systemwettbewerb“. Müller hob hier das Deliktfeld Internetkriminalität hervor. Natürlich habe es auch vor dem Ukraine-Krieg Cyberangriffe gegeben, aber es zeige sich sehr deutlich, dass Täter schnell reagieren und aktuelle Geschehnisse aufgreifen würden. Von Notz betonte, dass es in Krisen keine Denk-Barrieren geben dürfte, Parteipolitik müsse nachgeordnet sein. Nur gemeinsam könnte man die Herausforderungen für die Demokratie meistern. Neumann mahnte eine nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands an. Es müsse eine strategische Vorausschau geben, langfristige Trends müssten erkannt werden.

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