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Inventurdifferenzen 6. Februar 2012

Lohnende Gegenmaßnahmen

Ladendiebstahl ist nach wie vor ein alltägliches Phänomen im Einzelhandel. Gestohlen wird praktisch alles, egal ob hoch- oder niedrigpreisig. Auch wenn die Statistiken generell eher rückläufig sind, ist der wirtschaftliche Schaden nach wie vor enorm.

Barcode-Scanner erleichtern die Inventur.
Barcode-Scanner erleichtern die Inventur.

Warensicherungs-systeme und Überwachungs-lösungen sind weit verbreitet im Einsatz, können aber keinen völligen Schutz garantieren. Der entstandene Schaden wird dabei nicht nur durch externe Täter verursacht, sondern auch die Mitarbeiter selbst sind nicht selten für Diebstähle verantwortlich.

Die Inventurdifferenzen im deutschen Einzelhandel haben sich einer Studie des EHI Retail Institutes zufolge im Vergleich 2010 zu 2009 insgesamt über alle Branchen durchschnittlich verringert. Bewertet zu Einkaufspreisen vom Nettoumsatz beträgt der Schaden allerdings immer noch 0,60 Prozent und belastet damit den Gewinn der Unternehmen. Auf Verkaufspreise gerechnet, ergibt sich für den gesamten Einzelhandel eine Differenz von 3,7 Milliarden Euro für 2010. Hiervon entfallen auf Kunden etwa 1,9 Milliarden Euro, auf die eigenen Mitarbeiter rund 800 Millionen. Insgesamt haben sich die Verlustraten verbessert und liegen knapp fünf Prozent unter denen aus 2009. Dieser Rückgang konnte insbesondere bei Supermärkten bis zu einer Verkaufsfläche von 2.500 Quadratmetern sowie Textilkaufhäusern und Warenhausunternehmen beobachtet werden. Nur bei Baumärkten und Bekleidungsfachgeschäften ist eine Verschlechterung zu verzeichnen.

Verursacher

Im Durchschnitt aller Branchen entstehen etwas mehr als die Hälfte der Verluste im Verkaufsraum und knapp 18 Prozent an der Kasse. Es gibt grundlegend vier Verursachergruppen, die sich wie folgt verteilen: Auf Kunden entfallen etwa 52 Prozent, auf eigene Mitarbeiter 22 Prozent, auf Lieferanten- und Servicekräfte zusammen rund neun Prozent und auf organisatorische Mängel an die 17 Prozent. Der letzte Punkt umfasst Erfassungs-, Buchungs- und Bewertungsfehler, die sowohl positive als auch negative Wirkungen auf den Inventurdifferenzausweis haben können.

Bezüglich der Zahlen herrscht aufgrund der als groß geschätzten Dunkelziffer eine gewisse Subjektivität bei der Vermutung, wer Hauptversucher des Schadens ist. Im Textilhandel und in Kauf- und Warenhäusern wird der Kundendiebstahl beispielsweise in der Regel deutlich auf über 50 Prozent eingeschätzt, im Lebensmittelhandel und in Drogeriemärkten dagegen ist er am geringsten.

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Die Formen von Diebstahlsdelikten sind dabei vielfältig und reichen von Gelegenheitsdiebstählen und Diebstahl auf Bestellung über Bandendiebstähle bis hin zur Beschaffungskriminalität. Diese Art der Diebstähle stellt für den Einzelhandel auch das größte Problem dar. Gerade Fälle von professionell organisiertem Ladendiebstahl im Sinne von Bandendiebstählen und auf Bestellung, die von professionell agierenden Tätergruppen durchgeführt werden, verursachen hohe Schäden an Warenwerten. Aber auch der gewöhnliche Gelegenheitsdiebstahl durch Kunden bereitet den Einzelhändlern nach wie vor Sorgen, was auch an einer zunehmenden Gewaltbereitschaft seitens der Täter liegt.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Die offiziellen Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistiken lassen darauf schließen, der Kundendiebstahl sei in den letzten Jahren stetig zurückgegangen. Allerdings geht der Handel selbst von anderen Zahlen aus, da die Dunkelziffer auf über 95 Prozent geschätzt wird. Das liegt etwa an den verlängerten Öffnungszeiten bei gleichzeitiger geringerer Personalbesetzung, was einen unentdeckten Ladendiebstahl begünstigt. Die Anzeigen selbst erfolgen zudem oftmals durch Kaufhausdetektive und Sicherheitskräfte, die nicht bei allen Einzelhändlern im Einsatz sind. Obwohl die Ladenöffnungszeiten stark erweitert wurden, sind die Arbeitsstunden der Detektive nicht entsprechend erhöht worden.

Weniger Personal bedeutet eine höhere Wahrscheinlichkeit, einen Dieb nicht zu ertappen. Der Fehler taucht dann erst in der Inventurdifferenz auf und lässt sich nicht mehr eindeutig zuordnen. Wenn keine Detektive oder Sicherheitskräfte vor Ort sind, muss das Personal bei einem festgesetzten Täter die notwendigen rechtlichen Schritte einleiten, was Zeit und damit Geld kostet.

Einsatz von Detektiven

Allgemein lässt sich sagen, dass Ladendetektive sich nicht durch zurückgeführte Warenwerte rechnen, denn diese decken gerade mal etwa 20 Prozent der Kosten für die Detektive, sondern ihr Einsatz hat vor allem einen präventiven Charakter. Andreas Simon, Geschäftsinhaber der Detektei Simon: „Bislang kann die Technik noch nicht das menschliche Gespür und Intuition ersetzen. Für die Arbeit eines Kaufhausdetektives ist es wichtig, dass dieser auch das Verhalten von Menschen richtig interpretieren kann."

Der Preisdruck, der in vielen Sparten bei den Einzelhandelshäusern herrscht, wirkt sich dabei mitunter auch auf die Beschäftigung von Ladendetektiven aus, die nicht selten schlecht bezahlt werden oder auch „Fangprämien" erfüllen müssen. Dies führt einerseits dazu, dass die Qualifikation der Detektive unter Umständen nicht ausreichend ist, zum anderen ist eine unterdurchschnittliche Bezahlung nicht gerade motivationsfördernd, gerade wenn es um hohe Sachwerte geht, die es zu schützen gilt. Wie der Bund Deutscher Detektive vorschlägt, sollte nicht zuletzt deswegen das beauftragende Unternehmen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gewerbetreibenden überprüfen. Das gleiche gilt für den Nachweis für die Bewachungshaftpflichtversicherung.

Handel investiert in Sicherheit

Der Handel hat seine Sicherheitsmaßnahmen in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut und gesteigert. Frank Horst, Leiter FB Sicherheit + Inventurdifferenzen beim EHI Retail Institute: „Neben den Verlusten aus Inventurdifferenzen, hat der Einzelhandel auch die Kosten für Präventions- und Sicherheitsmaßnahmen zu tragen, die zusammen etwa 1,3 Prozent des Umsatzes ausmachen."

Auf die Sicherheit selbst entfallen dabei rund 0,33 Prozent beziehungsweise 1,3 Milliarden Euro, womit die Gesamtaufwendungen für Inventurdifferenzen und deren Vermeidung jährlich fast fünf Milliarden Euro betragen. „Die Unternehmen haben in den letzten Jahren immer mehr in Sicherheit investiert, insbesondere in Warensicherungssysteme und Videoüberwachung. Damit einher gehen auch verstärkt Mitarbeiterschulungen, in denen das Personal für das Thema Ladendiebstahl sensibilisiert wird", so Horst. Denn gerade den Mitarbeitern kommt eine verstärkte Bedeutung in der Prävention von Ladendiebstählen zu. Personalschulungen sind primär in den Bereichen Kasse, Verkauf und Wareneingang von großer Bedeutung, wobei die Häufigkeit und Qualität solcher Schulungsmaßnahmen durchaus unterschiedlich ausfällt. Die Unternehmen sind sich zwar häufig der Wichtigkeit von Trainingsmaßnahmen bewusst, doch der Mangel an finanziellen und zeitlichen Ressourcen begrenzt häufig die Effektivität der Maßnahmen. Sie werden zwar durchgeführt, aber um dauerhafte Wirkung zu erzielen, müsste wesentlich häufiger und intensiver geschult werden.

Rund 80 Prozent der in der Studie befragten Unternehmen setzen bereits Kamera- und Videotechnik unterschiedlicher Art ein, wobei diese Systeme überwiegend für den Kunden sichtbar sind. Ebenso nutzt die Mehrzahl Warenwirtschaftssysteme zur Datenauswertung sowie Kassendatenauswertungen. Ein weitere Maßnahme umfasst Testkäufe, die von zwei Dritteln der befragten Unternehmen durchgeführt werden und auf die Aufmerksamkeit des Personals abzielen, beispielsweise beim Versuch, Ware umzuetikettieren. Elektronische Artikelsicherungsanlagen und diebstahlhemmende Einrichtungsgegenstände gehören ebenfalls zu den Standardsicherungsmaßnahmen und sind in vielen Einzelhandelsunternehmen an der Tagesordnung.

Keine Trendwende erkennbar

Trotz leicht sinkender Fallzahlen ist aufgrund der hohen anzunehmenden Dunkelziffer keine dauerhafte Trendwende beim Ladendiebstahl abzusehen. Das Bedrohungspotenzial durch Kundendiebstahl und Mitarbeiterdelikte ist unverändert hoch und sollte daher weitere Investitio-nen vor allem im Bereich der Mitarbeiterschulung nach sich ziehen. Bei allen Kontrollmaßnahmen dürfen aber nicht die Persönlichkeitsrechte von Kunden und Mitarbeitern verletzt werden, sondern alle Maßnahmen müssen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, insbesondere was den Datenschutz anbelangt. Um den verhältnismäßig hohen Anteil an Prozessfehlern und organisatorischen Mängeln zu verringern, müssen auch bei den Inventuraufnahmen entsprechende Verbesserungen eingesetzt werden. Die Warenhauskette Globus erfasst beispielsweise sowohl Vollpreis- als auch Teilpreisabschriften separat. Für Peter Müller, Globus-Geschäftsleiter in Losheim am See, eine zentrale Angelegenheit im Kampf gegen Inventurdifferenzen: „Wir legen großen Wert darauf, dass unsere Mitarbeiter ständig auf die Abschriften achten."

Der Handel wird auch künftig daran arbeiten müssen, sowohl überwachungs- und kontrolltechnische als auch prozessuale und betriebliche Abläufe zu optimieren und wann immer wirtschaftlich sinnvoll, neue Technologien oder Methoden zur Prävention von Ladendiebstahl einzusetzen.

Hendrick Lehmann

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