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Arbeitsschutz 27. Mai 2021

Arbeitssicherheit: Industriekletterer in großer Höhe

Industriekletterer praktizieren höchste Arbeitssicherheit in luftiger Höhe oder dunklen Industrietanks. Ein spannender Beruf oft am Limit.

Industriekletterer im Einsatz: Die Arbeitssicherheit steht dabei an erster Stelle.
Industriekletterer im Einsatz: Die Arbeitssicherheit steht dabei an erster Stelle.

An Gebäudewänden erinnern Industriekletterer, im Volksmund auch Akrobaten genannt, an „Spiderman“, dabei geht es um Arbeitssicherheit. Eine Reportage aus dem Kompetenzzentrum für Höhensicherheit in Hamburg-Wilhelmsburg.

Über die Höhenretter der Feuerwehr oder neuerdings den Höheninterventionsteams der Polizei wird häufiger berichtet. Die Industriekletterer als „Handwerker der Lüfte“ stehen jedoch nicht so sehr im Fokus. Sie hängen am Amrumer Leuchtturm in voller Montur und Werkzeugen in über 40 Metern Höhe an einem dünnen Seil in ihren Gurten. Die Blicke von ihnen gleiten unerschrocken in die Tiefe. An ihrem Klettergurt mit Sicherungsgerät hängen unzählige Karabiner, Bandschlingen und ein Sicherungsseil, das mit einem Sicherungsgerät am Klettergurt befestigt ist. An diesem Seil hängt ihr Leben.

Seit vielen Jahren ist Thore Eichler zum Kletterspezialisten mit Level 3 ausgebildet. Das heißt, er und seine Kollege Jan-Philipp Urban können in die Höhe und Tiefe klettern: Auf Dächern, Brücken, Schächten, Sendemasten, Windkraftanlagen und sogar Leuchttürmen ist ihr Arbeitsplatz. Überall dort, wo es knifflig wird, ist der Industriekletterer gefragt. „Ein besonders hohes Maß an physischer und psychischer Belastbarkeit sowie ein ausgeprägtes Engagement sind Grundvoraussetzung, um den speziellen Job eines Industriekletterers ausführen zu können“, erklärt Felix Leuschner, Geschäftsführer der Firma Hanseclimbing GmbH. „Die Jungs und Mädels sind besonders teamfähig, sportlich und leistungsbereit.“

Empfangen werde ich von Paula Zoe Barner, einer jungen Frau, die vom Hobbyklettern zum Industrieklettern kam. Noch dieses Jahr will sie Sicherheitsmanagement an der Hochschule NBS studieren und danach in die Veranstaltungsbranche wechseln.

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Industriekletterer ist ein noch junger Beruf

Den Beruf des Industriekletterers, immer verbunden mit handwerklichem Können, gibt es noch nicht so lange, erklärt Leuschner. In der ehemaligen DDR war der „Techno-Kletterer“ bekannt. Nach der Wende wurde mit der Reichstagsverhüllung in Berlin der Industriekletterer auch im Westen populär.

Sein Unternehmen Hanseclimbing gründete Leuscher 2007 mit einem Startkapital von nur fünf Tausend EUR. Heute führt er ein kleines Unternehmen mit 15 festangestellten Mitarbeiter und diversen Freelancern, die bei größeren Aufträgen zum Einsatz kommen. Industriekletterer arbeiten als Handwerker mit einer speziellen Ausbildung unter anderem im Baugewerbe, der chemischen Industrie, zusammen mit Feuerwehren, Gebäudetechnik, Telekommunikationsfirmen und der Windenergiebranche. „Im Facility Management engagieren wir uns nicht, das machen nur wenige Mitbewerber“, so Leuschner. Neben der Reparatur von Blitzableitern auf Kirchtürmen klopfen neuerdings Industriekletterer die Felswände von Berghängen und Schluchten ab, um die Gefahr von Steinschlag zu reduzieren.

Klettern ist der Weg zum Arbeitsplatz

Wie wird man eigentlich Industriekletterer? „Viele Mitarbeiter, die auch eine handwerkliche Vorbildung haben, kommen über Hobby- und Sportklettern zu uns. Sie müssen über keine (!) Höhen- oder Platzangst verfügen, sportlich fit sein und eine Leidenschaft zur Seiltechnik haben“, sagt Leuschner. „ Arbeitsplätze in luftigen Höhen und die Vielfalt der Aufträge machen den abwechslungsreichen Beruf aus. Klettern ist unser Weg zum Arbeitsplatz. Und dann die Aussicht von oben – immer wieder ein Erlebnis. Dort wo andere Angst bekommen, beginnen wir mit Freude unsere Arbeit“, so Leuschner weiter.

Arbeitssicherheit steht an erster Stelle

„Weil man an einem Seit hängt, hat die Arbeitssicherheit den allerersten Stellenwert und ist der wichtigste Teil der Tätigkeit!“ erklärt Leuschner. Jeder Kletterer hat seine eigene Schutz- und Sicherungsausrüstung, für die er verantwortlich ist. Sie muss jedes Jahr einer sachkundigen Prüfung unterzogen werden. Bewusste Nachlässigkeit kann ein Kündigungsgrund sein. Niemals arbeitet ein Kletterer allein, sondern immer im Team. Jeder Mitarbeiter wird auch arbeitsmedizinisch untersucht, die ärztliche Untersuchung muss regelmäßig wiederholt werden. Die Grundausbildung für Auf- und Abstieg von einer Woche endet mit einer Prüfung, man nennt sie in der Branche Level 1. Seil- und Knotenkunde, Seilkommandos, Standplatz bauen und Abseiltechniken gehören zu den Grundlagen. Die meisten Kletterer verfügen über die Ausbildungsstufe Level 2 für Höhenarbeiter. Und in der Stufe Level 3 sind Seiltechniker mit Führungsaufgaben, wie Teamleitung oder Leitung für den gesamten Auftrag, ausgebildet.

Die Berufsgenossenschaft hält die Branche für sicher. Andere Branchen wie Dachdecker oder Gerüstbauer weisen viel höhere Unfallzahlen auf. Jeder Komplettgurt hat auch ein Auffangsystem mit einem Falldämpfer. Dieser verhindert, dass Fangstöße beim Stoppen höchstens 6 kN Spannkraft betragen. Über 10 kN Fangstoßkraft hinausgehende Fangstöße sind meist tödlich. Neben der guten Aussicht bringt der Job leider auch gesundheitliche Belastungen mit sich - so sei etwa das Sitzen im Gurt eine Zwangshaltung für den Körper. Zwar gebe es auch Kollegen, die älter als 50 Jahre sind. Doch für viele Kletterer sei mit Mitte vierzig, Anfang fünfzig Schluss am Seil.

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Zum zweiten Mal hat die BASF in Münster den Preis für Arbeitsschutz und Unternehmenssicherheit (BASF Security Award) verliehen.

Industriekletterer sparen den Unternehmen Kosten

Was ist das Erfolgsgeheimnis von Hanseclimbing bezogen auf das Wachstum und die Position des Unternehmens? Dazu sagt Leuschner: „Unsere Spezialität ist Windkraftanlagen nach einem Feuer zurückzubauen beziehungsweise Reparaturarbeiten durchzuführen. Wir arbeiten kunden- und lösungsorientiert. Unter anderem dokumentieren wir alle Arbeiten und Bauwerksschäden fotografisch. Ich habe immer die beste und innovative Lösung für unsere Kunden im Auge und sorge für ein kollegiales Arbeitsklima, was sich im hohen Engagement der Mitarbeiter zeigt. Müssen Arbeiten an schwerzugänglichen, in extremen Höhen oder Tiefen gelegenen Objekten ausgeführt werden, ist die Beauftragung eines professionellen Industriekletterers meist die beste Option. So kann auf den Gebrauch schwerer Maschinen und aufwendiger Gerüstkonstruktionen oder Hebebühnen gänzlich verzichtet werden. Dies erspart dem Auftraggeber neben Kosten vor allem auch Zeit.“ Durch die Vorgaben der Bauwerke unterliegen die Arbeitshöhen keiner Beschränkung. Auf einem 300 Meter hohen NDR-Sendemast wurden Arbeiten in 140 Meter Höhe durchgeführt. Der Aktionsradius der Firma beträgt ganz Norddeutschland, gelegentlich auch in europäischen Nachbarländern.

Weitere Standbeine der Firma sind ein großer Schulungs- und Ausbildungsbereich sowie der Materialverkauf. Sogar die Feuerwehr und Polizei Hamburg kaufen ihr Material bei ihnen ein, sagt Leuschner mit Stolz. Demnächst könnte auch eine Drohne zur Dokumentation der Aufträge eingesetzt werden.

Was ärgert den Unternehmer Leuschner: Bei öffentlichen und unternehmerischen Ausschreibungen wird das Preisangebot zu 80 Prozent und die Qualifikation nur zu 20 % berechnet. In anderen europäischen sowie den skandinavischen Ländern liegen die Quoten bei 50 zu 50 %.

Roland Hasenjürgen, Sicherheitsberater vom Unternehmen Security Assist GmbH und Spezialist für Ausschreibungen , sagt: „Die Ausschreibungsbewertung 80:20 ist noch im Rahmen, jedoch werden bei der angewandten Rechenmethode die Punkte des Preises berechnet, indem der niedrigste Preis die 80 Punkte bekommt, die anderen prozentual weniger. Bei der Leistung werden die Punkte einfach addiert. OLG Düsseldorf hat dies für nicht zulässig erklärt, da hier unterschiedliche Wertungsmethoden eingesetzt werden. Das Bestbieterprinzip wird dadurch ausgehebelt. Es hat sich das System der erweiterten Richtwertmethode durchgesetzt, die höchstrichterlich bestätigt wurde, da nur hier kein „Flipping-Effekt“ entstehen kann. Das heißt, eine mittelmäßige Leistungspunktzahl kann durch einen sehr niedrigen Preis ausgeglichen werden und zum Zuschlag führen. Das würde ich auch der Branche der Industriekletterer wünschen."

Beim Abschied sagt die Kletterin Barner: „Kletterer sind coole Kollegen und Typen. Das Arbeiten in Höhe gibt immer wieder tolle und spektakuläre Ausblicke.“

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