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Rettungswege im Wandel 6. August 2012

„Aufzüge im Brandfall benutzen“

Auflagenfreie Baugenehmigungen, Evakuierungsaufzüge, Brandschutzkonzepte, Rettungswege und feuerwehrtechnische Herausforderungen - ganz unterschiedliche Probleme zu den Veränderungen in Baurecht und Brandschutz standen im Mittelpunkt des ersten Tages auf dem zweitägigen „Baurecht & Brandschutz Symposium“ von Bureau Veritas im März dieses Jahres.

Die fast überall an Aufzügen angebrachte Warnung "Aufzug im Brandfall nicht benutzen" muss nach den aktuellen Entwicklungen infrage gestellt werden.
Die fast überall an Aufzügen angebrachte Warnung "Aufzug im Brandfall nicht benutzen" muss nach den aktuellen Entwicklungen infrage gestellt werden.

Mit scharfem Juristenverstand kritisierte Dr. Till Fischer, Rechtsanwalt für Brandschutzrecht in Mannheim, was von Vereinfachungen in Baugenehmigungs-verfahren zu halten ist. Durch die Reduzierung von Verwaltungsaufwand soll zum einen die Zahl der Widerspruchs-verfahren und Anfechtungsklagen verringert werden. Zum anderen lassen die neuen „auflagenfreien Baugenehmigungen“ befürchten, dass Bauanträge zurückgewiesen werden, ohne dass die Behörde von der Möglichkeit der „Baugenehmigung unter Auflage(n)“ Gebrauch macht.

„Bedenklich“ nannte Fischer die Tatsache, dass „hier offenbar behördeninterne Entscheidungskriterien über die Ablehnung eines Bauantrages herangezogen werden sollen“. Die Entwurfsverfasser müssten Unterlagen liefern, die „vollständig, klar und verständlich“ sind. Jurist Fischer konterte diese Auffassung mit dem Bemerken: „Die Behörde hat einen Bauantrag ausschließlich auf die Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.“ Sollte das nicht der Fall sein, bestehe „Rechtsanspruch auf Genehmigung“.

Bei kleinsten Abweichungen von baurechtlichen Vorschriften (eine Balkonbrüstung um 20 Zentimeter zu hoch) könnten in Zukunft keine Auflagen erteilt, sondern der Bauantrag insgesamt abgelehnt werden. Damit sei in seinen Augen „ganz, ganz große Rechtsunsicherheit“ zu erwarten. Es sei zu befürchten, dass in Zukunft der zuständige Sachbearbeiter „keine Prüfung mehr anstellt, ob es in einem zu entscheidenden Fall angemessen wäre, eine Baugenehmigung anstelle einer Ablehnung mit einer entsprechenden Auflage zu versehen“. Das Thema der „auflagenfreien Baugenehmigung“ dürfte also für die nahe und fernere Zukunft eine Menge Konfliktstoff enthalten.

„Evakuierungsaufzüge“

Mit einem sehr praxisnahen Problem der Flucht- und Rettungswege befasste sich Thomas Lipphardt, Manager für technische Regelwerke bei der deutschen Tochterfirma des finnischen Unternehmens Kone in Kassel. Die fast überall an Aufzügen angebrachte Warnung „Aufzug im Brandfall nicht benutzen“ muss nach den aktuellen Entwicklungen infrage gestellt werden. Denn nach heutigem Verständnis können Aufzüge so konstruiert oder nachgerüstet werden, dass sie „mit Betriebsverlängerung im Brandfall“ eingestuft werden können oder sogar als „Evakuierungsaufzug“ genutzt und letztlich als Feuerwehraufzug dienen können. Allerdings, so der Sprecher, sei zu bedauern, dass die Brandschutzvorschriften Aufzüge betreffend unterschiedlich seien „von Land zu Land, von Stadt zu Stadt und sogar in Abhängigkeit von der Art des Gebäudes“.

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Zur Illustration seines Vortrages zeigte Lipphardt ein Foto, das demonstrierte, wie nach einem Großfeuer mit Totalschaden des Gebäudes der gesamte Aufzug-Schacht (fast) unbeschädigt stehen geblieben war. Eine „Betriebsverlängerung im Brandfall“ setzt eine „intensive Abstimmung zwischen Bauherrn/Betreiber des Gebäudes, dem Aufzug-Montagebetrieb und den zuständigen Genehmigungsbehörden“ voraus. Auch bei den weiteren Nutzungsmöglichkeiten müssen die Aufzugsschächte „möglichst mit Überdruck beaufschlagt“ werden, damit das Feuer nicht eindringen kann. Alle Bedienungsknöpfe müssen auch für Kinder erreichbar sein, die „Evakuierungsaufzüge“ müssen so steuerbar sein, dass sie „eine Brandfläche durchfahren“ können und müssen so konstruiert sein, dass sie auch Rollstuhlfahrer sowie Menschen mit eingeschränkter Bewegung aufnehmen können.

Zudem müssen alle elektrischen Einrichtungen im Schacht, in und auf dem Fahrkorb gegen (Lösch-)Wasser geschützt sein. Im Keller muss der Wasserspiegel und damit eine Art Auffangbecken so dimensioniert sein, dass keine Schäden von hier aus passieren können. Alle Aufzug-Nutzungen im Brandfall gehen allerdings in dem Moment an die Feuerwehr über, in dem sie über die Fahrstuhlschlüssel verfügt. „Dann ist die Feuerwehr der Betreiber.“

Dass sich im Idealfall in jedem Aufzugkorb auch eine Leiter befinden sollte, über die sich die Passagiere retten können (auch im Nicht-Brandfall), war beinahe eine Nebenbemerkung des Referenten. Ebenso sein Hinweis darauf, dass in allen noch bestehenden Paternoster-Aufzügen die Warnung zu finden ist „Nicht mit etwas in der Hand benutzen“, aber resignierend seine Bemerkung: „Das liest ja keiner...“ Schließlich bemängelte der Referent, dass bei Infrastruktur-Veränderungen an und in Gebäuden „in 70 Prozent der Fälle“ die Betreiber den Anforderungen nach einer Modernisierung ihrer Aufzüge nicht nachkommen.

Wohin laufen sie denn?

Unter der Überschrift „Wohin laufen die Flucht- und Rettungswege?“ betrachtete der Referent Georg Spangardt, Branddirektor bei der Berufsfeuerwehr in Köln, Ausgestaltung und Bemessung von Rettungswegen aus der Sicht der Feuerwehr. Denn er stellte zunächst einmal klar, dass das Bauordnungsrecht nicht über die Aufgaben oder Lösungen für die Feuerwehr entscheidet. Und er stellte zugleich die (provokante) Frage, wer denn eigentlich die Brandschutzkonzepte prüfe.

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