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Verbände 23. November 2021

BDSW: Entwicklung der Sicherheitswirtschaft

Dr. Harald Olschok beendet nach 29 Jahren seine Tätigkeit für den BDSW und beleuchtet die Entwicklung der Sicherheitswirtschaft und künftige Aufgaben.

Nach 29 Jahren im Dienste der Sicherheitswirtschaft beleuchtet Dr. Harald Olschok die Entwicklung der Branche.
Nach 29 Jahren im Dienste der Sicherheitswirtschaft beleuchtet Dr. Harald Olschok die Entwicklung der Branche.

Seit nunmehr 29 Jahren leitet Dr. Harald Olschok als Hauptgeschäftsführer die beiden Verbände BDSW (ehemals BDWS) und BDGW und prägte damit die Sicherheitswirtschaft und ihre Entwicklung. Im nächsten Frühjahr wird er in den Ruhestand verabschiedet. Zeit, um mit PROTECTOR auf das Erreichte zurückzublicken und auf die aktuellen Herausforderungen für die Branche zu schauen.

Die Sicherheitsarchitektur Deutschlands hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Geben Sie uns doch bitte einige Stichworte zur Situation 1992, als Sie Ihre Tätigkeit bei den beiden Verbänden begannen.

Die Verbandsaufgabe Nummer 1 beim BDWS war der Abschluss von Tarifverträgen. In Berlin gab es Anfang 1992 das erste Schlichtungsverfahren in der Geschichte des Verbandes, weil wir uns mit der Gewerkschaft auf keinen Tarifabschluss einigen konnten. Mein Vorgänger scheitert daran und musste nach wenigen Monaten den Verband wieder verlassen. Wirtschaftspolitische Lobbyarbeit fand so gut wie nicht statt. Die finanzielle Situation war hingegen gut, weil kurz nach dem Fall der Mauer rund 100 Unternehmen aus den neuen Ländern in den Verband eingetreten waren. Innerhalb von wenigen Jahren verdoppelten sich die Umsätze der Branche. Viele neue Unternehmen drängten auf den Markt. Nicht alle waren seriös.

Der Hauptzweck der BDGW, die vor wenigen Tagen ihr 50-jähriges Jubiläum feierte, waren die Erarbeitung und Einhaltung der Sicherheitsvorschriften im Geldtransport. Die Tarifarbeit kam erst später dazu, dies wurde vom BDSW mit erledigt. Das innerdeutsche Lohngefälle war historisch bedingt sehr groß, was auch von manchen Unternehmen ausgenutzt wurde. Dies führte bei meiner ersten Mitgliederversammlung in der BDGW im November 1992 gleich zu einem Ausschlussverfahren, das mehrjährige Prozesse nach sich zog. Auf meiner ersten Mitgliederversammlung des BDSW im Oktober 1992 in Dresden brachen die Gegensätze zwischen dem damaligen Marktführer Raab Karcher Sicherheit und den mittelständischen Unternehmen offen zu Tage. Das erste Jahr war also recht „stürmisch“.  

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Marke von 1.000 BDSW-Mitgliedern geknackt
Mit der Aufnahme von sieben neuen Mitgliedsunternehmen zum 1. Oktober hat der BDSW erstmals die Marke von 1.000 Mitgliedsunternehmen geknackt.
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Rasante Entwicklung der Sicherheitswirtschaft

Sie erwähnten bereits die wachsenden Umsätze der Branche - gerade an der Zahl der Beschäftigten und der Mitgliedsunternehmen sowie dem Umsatz kann man ja ablesen, welche rasante Entwicklung die Sicherheitswirtschaft gemacht hat …

In der Tat hat sich die Sicherheitswirtschaft in den letzten 30 Jahren qualitativ und quantitativ dramatisch verändert. Die Zahl der Beschäftigten stieg von 80.000 auf 260.000, die Umsätze von 1,2 Mrd. EUR auf über 9 Mrd. EUR. Die neu hinzugekommenen Tätigkeiten reichen von A wie Altennotruf bis hin zu W wie Werkfeuerwehr. Wachstumstreiber waren die Luftsicherheit, der Schutz von Veranstaltungen und natürlich auch von Flüchtlingsunterkünften. In den Jahren 2015/2016 sind die Umsatzzahlen binnen zwei Jahren um 40 % angestiegen – eine beispiellose Entwicklung. Gerade in Phasen von schnellem wirtschaftlichem Wachstum kommen aber leider häufig „Glücksritter“ auf den Markt, die dem Image nicht förderlich sind. Unsere Branche gerät dann immer wieder medial und politisch unter Druck. Wir haben aber unsere Hausaufgaben gemacht und eine beispiellose Qualitätsoffensive eingeleitet. Diese muss allerdings permanent auf dem Markt verkauft werden.

Was unterscheidet einen Mitarbeiter von 1992 zu einem heutigen? 

Die Herausforderung unserer Mitglieder besteht immer wieder darin, geeignete und zuverlässige Mitarbeiter zu finden, die bereit sind, auch in der Nacht- oder an Sonn- und Feiertagen zu arbeiten. Seit der Gründung des ersten Unternehmens im Jahr 1901 besteht die primäre Aufgabe darin, die Werte der Kunden zu schützen. Die Ansprüche der Kunden, aber auch die Sicherheitsanforderungen sind stark gewachsen. Das Wissen um die rechtlichen Grundlagen wird dabei immer wichtiger. Das gilt auch für den Servicegedanken. Der Einsatz von moderner Sicherheitstechnik ist ebenfalls enorm angestiegen. Videoüberwachung, Einbruch- und Gefahrenmeldeanlagen, aber auch die Wächterkontrollsysteme und viele mehr haben das Berufsfeld stark verändert.  

Flexibel auf neue Aufgaben reagieren

Wie haben sich die Aufgabenbereiche verändert?

Ausgangslage unserer Branche war 1901 zunächst der Revierdienst. Später kam die Separatbewachung dazu. In den 60er-Jahren wurde der Werkschutz als Folge der RAF-Bedrohung deutlich professioneller, der Rentner im Werkschutz hatte somit ausgedient. Es sind Bereiche hinzugekommen, die zu Beginn nicht absehbar waren. An erster Stelle, und quantitativ heute mit rund 10 % aller Beschäftigten sehr bedeutsam, sind die verschiedenen Aufgabenbereiche der Luftsicherheit. Der Schutz von Veranstaltungen ist ebenfalls ein Gebiet, das sich deutlich verändert hat. Aus den Geld- und Werttransporten wurden Wertdienstleister. Der Schutz von Flüchtlingsunterkünften oder der bewaffnete Schutz von deutschen Schiffen vor Piratenangriffen waren früher völlig undenkbar. Viele neue Aufgaben zeigen, wie innovativ und flexibel unsere dienstleistungsorientierte Branche ist.

Zu diesem positiven Imagewandel haben in den vergangenen Jahrzehnten sicherlich auch einige „Meilensteine“ für die Sicherheitsbranche beigetragen. Welcher ist Ihnen besonders wichtig?

Die Qualitätsoffensive im Jahr 2002 war sicher ein Quantensprung: Die Sachkundeprüfung für bestimmte Tätigkeiten im Gewerberecht, der dreijährige Ausbildungsberuf der Fachkraft für Schutz und Sicherheit sowie die DIN 77200. Die Ausbildungsoffensive ist für mich also der Meilenstein schlechthin. Dazu gehören aber auch die Studiengänge Sicherheitsmanagement an mehreren (Polizei)-Hochschulen. Im Jahr 1992 war das noch völlig undenkbar. Wir haben seitdem mit vielen Partner eine durchgehende Ausbildungspyramide bis zum Master geschaffen.

Aber der Weg dorthin war lang …

Ja, tatsächlich, die Einführung des Ausbildungsberufs im Jahr 2002 hat fast zehn Jahre gedauert. Die ersten Gespräche dazu hatten wir mit der Gewerkschaft ÖTV bereits im Jahr 1993 in Mannheim geführt. Aber wir mussten auch interne Überzeugungsarbeit leisten. Ohne die beiden damaligen Vizepräsidenten, Peter Schmidt und Dr. Franz Feuerstein, wäre das nicht gelungen. Von der Idee bis zur Umsetzung war ein langwieriger bürokratischer Prozess zu überwinden. Aber es hat sich gelohnt. Es ist kein Massenberuf, aber fast 15.000 junge Menschen wurden bisher erfolgreich ausgebildet. Für das Image der Branche hat dies eine große Bedeutung. 

BDSW setzt auf Qualität in der Ausbildung

Die Qualitätsoffensive bei der Aus- und Weiterbildung lag Ihnen also schon immer sehr am Herzen. Wie kann es in diesem Bereich weitergehen?

Die sicherheitspolitischen Herausforderungen werden dazu führen, dass die Anforderungen an unsere Branche weiter zunehmen werden. Von der neuen Bundesregierung erwarte ich, dass wieder stärker der gesamtgesellschaftliche Ansatz auch in Sicherheitsfragen betont wird. Ein starker Staat allein, der nur auf die öffentlichen Sicherheitskräfte abstellt, greift zu kurz. Die Herausforderungen, die wir haben, sind nur im Zusammenspiel von Polizei und privaten Sicherheitskräften zu meistern. Ein erfolgreicher Public Private Partnership-Ansatz ist wichtiger als jemals zuvor.

Und welches war in den vergangenen Jahren die vielleicht größte Herausforderung?

Die größte Herausforderung zu Beginn war es, interne „Grabenkämpfe“ zu überwinden und aus beiden Verbänden schlagkräftige Organisationen zu machen. Dies ist uns gelungen. Zahlreiche bundesweite Arbeitskreise und Fachausschüsse dienen dem Informationsaustausch und der Erarbeitung von (politischen) Forderungen. Eine zielgerichtete mediale und politische Arbeit hat dazu geführt, dass die Sicherheitswirtschaft als wichtiger Pfeiler der Inneren Sicherheit anerkannt ist. Aus den Anfängen des Arbeitskreises Luftsicherheit haben wir einen schlagkräftigen Fachverband und schließlich einen eigenen Verband, den BDLS, gegründet. Durch Corona hat sich das Zahlungsverhalten in Deutschland binnen weniger Wochen stark verändert. Dies wird die Branche nachhaltig verändern.

Wo Licht ist, ist auch Schatten: In Ihre Amtszeit fallen ebenso negative Ereignisse, Stichwort Heros-Skandal oder die bereits erwähnte Bewachung von Flüchtlingsunterkünften …

Der Fall Heros im Jahr 2006 war für die BDGW und ihre Mitgliedsunternehmen ein „Super-GAU“. Einige Unternehmen waren auf einem guten Weg zu einem Finanzdienstleister. Das war damit erledigt. Viel Arbeit in unsere Sicherheitsvorschriften war nötig, um das Vertrauen der Kunden, aber auch der Öffentlichkeit und der Politik wieder zu gewinnen. Die Übergriffe auf Flüchtlinge in einer Unterkunft im nordrhein-westfälischen Burbach im Jahr 2015 führten zu einer beispiellosen negativen medialen Berichterstattung über unsere Branche. Die Einführung des Bewacherregisters und weitere Verschärfungen im Gewerberecht waren die Folge. Vergessen werden dürfen auch nicht die massiven Streiks in der Luftsicherheit. Zehntausende von unbeteiligten Passagieren wurden dadurch geschädigt. Dies hat zur Gründung des Bundesverbandes der Luftsicherheitsunternehmen geführt.

Sicherheitsdienstleistungsgesetz auf der Agenda der künftigen Regierung

Und es gibt auch noch einige offene „Baustellen“ wie beispielsweise das Sicherheitsdienstleistungsgesetz oder das Bewacherregister. Was erhoffen Sie sich hier von der künftigen Regierung?

Die größte Baustelle ist die Gewinnung von geeigneten und zuverlässigen Mitarbeitern. Die gute wirtschaftliche Entwicklung im nächsten Jahr und die demografische Entwicklung wird dieses Problem weiter verschärfen. Die unzureichende Anerkennung der Arbeit unserer 260.000 Mitarbeiter gehörte auch zu den „Baustellen“.

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Lehnert als Präsident des BDSW bestätigt
Gregor Lehnert wurde im Rahmen der Jahresmitgliederversammlung für weitere vier Jahre als Präsident des BDSW bestätigt.

Das Sicherheitsdienstleistungsgesetz ist ein wichtiges Instrument zu Veränderungen, weil es durch Vorgaben die Qualität der Dienstleistung weiter verbindlich verbessern wird. Flankiert werden muss dies durch eine PR-Kampagne. Für den wiedergewählten Präsident Gregor Lehnert wird dies die wichtigste Aufgabe in seiner Amtszeit. Das Bewacherregister wird im Laufe des nächsten Jahres vom BAFA auf das Statistische Bundesamt übergehen. Ich bin zuversichtlich, dass die Funktionsfähigkeit des Registers in den nächsten Jahren deutlich verbessert wird. Aber auch die Tarifpolitik steht vor großen Herausforderungen. Die Einführung eines gesetzlichen Mindeststundenlohns von 12 EUR wird Folgen haben. Vor allem müssen wir den Lohnabstand zu den qualifizierten Tätigkeiten vergrößern.

Worin sehen Sie für Ihren Nachfolger die größten Herausforderungen?

Die angesprochenen Baustellen sind nicht kurzfristig zu lösen. Mein Nachfolger, Florian Graf, wird diese aufgrund seiner großen Erfahrungen in der Politik, im Verbandswesen und in der Verwaltung tatkräftig angehen. Er kann sich dabei auf ein kompetentes und erfahrenes Team in den Verbänden stützen. Ganz wichtig ist die vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit dem Präsidium des BDSW unter Führung von Gregor Lehnert und dem Vorstand in der BDGW mit Michael Mewes als Vorstandsvorsitzenden. Verbandsarbeit ist nur im Team erfolgreich. Vor diesem Hintergrund bin ich optimistisch, was die Zukunft der Branche, aber auch der Verbände anbelangt.

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