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Beim Kleinen beginnen

Es sind nach wie vor die großen Schadensereignisse wie der Brand in der Anna Amalia Bibliothek 2004 und der Einsturz des historischen Archivs der Stadt Köln 2009, die den Verantwortlichen in Museen, Archiven und Bibliotheken im Bewusstsein geblieben sind.

Der Kaiserdom zu Speyer ist ein geschütztes Kulturgut.
Der Kaiserdom zu Speyer ist ein geschütztes Kulturgut.

Nach wie vor steht die Frage im Vordergrund, wie sich Risiken für die eigenen Kulturgüter minimieren lassen und wie im Notfall zügig reagiert werden kann und muss, um den Schaden so gering wie möglich zu halten. Eine abgestimmte Notfallplanung ist dabei Grundvoraussetzung für ein rasches und effektives Handeln im Ernstfall.

Die Frage des Kulturgutschutzes bewegt nicht nur die Verantwortlichen in den jeweiligen Institutionen, sie ist auch auf Bundesebene von gesamt- gesellschaftlichem Interesse. Dies lässt sich allein schon daran erkennen, dass das dem Innenministerium unterstellte Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sich im Rahmen der Prävention im Bereich kritischer Infrastrukturen auch mit dem Schutz von Kulturgütern beschäftigt.

Kultur gehört auch zu Kritis

Dieser Umstand geht auf die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten zurück. Das Kulturgut unterliegt in diesem Fall dem Zivilschutz und damit letztlich dem BBK. Die kritischen Infrastrukturen sind demnach nicht nur die „klassischen“ Sektoren wie Energieversorgung, Transport, Finanzwesen und Gesundheit, sondern auch Medien und Kultur. Zu letzteren zählen Rundfunk, Fernsehen und Radio, gedruckte und elektronische Presse, Kulturgut und symbolträchtige Bauwerke. Die Kritikalität einer Infrastruktur kann dabei systemisch sein, also für das abhängige Verhalten von einzelnen Sektoren untereinander besonders wichtig, oder symbolisch, wenn sie als identitätsstiftend angesehen werden kann und deren Beschädigung oder Zerstörung eine nachhaltige emotionale oder psychische „Erschütterung“ der Gesellschaft auslösen könnte. Die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) des BBK etwa gibt regelmäßig Seminare für Verantwortliche aus Kultureinrichtungen.

Letztlich ist jede Institution damit angehalten, einerseits selbst möglichst viel präventiv zu gestalten, andererseits aber auch für den Notfall optimal aufgestellt zu sein. Die Reiss-Engelhorn-Museen (rem) in Mannheim haben hierzu etwa einen Notfallplan für Kunst- und Kulturobjekte in Dauerausstellungen ausgearbeitet, der verschiedenen Szenarien Rechnung trägt. Die Sonderausstellungen sind hiervon zunächst nicht betroffen, da diese oftmals eigene Anforderungen der Leihgeber erfüllen müssen. Die Museen verfügen zusammen über etwa 12.600 Quadratmeter Ausstellungsfläche auf vier Standorte verteilt und bieten Raum für rund 1,2 Millionen Objekte in verschiedenen Ausstellungen und in Depots. Das Projekt dient primär dazu, Risiken zu erkennen, einzuschätzen und bekämpfen zu können. Dazu müssen im Vorfeld potenzielle Gefahren ermittelt werden, um darauf angemessen reagieren zu können. Präventive Maßnahmen sollen möglichst unkalkulierbare Schadensereignisse verhindern oder zumindest in ihren möglichen Ausmaßen eindämmen. Sollte der Schadensfall eintreten, gilt es, effiziente Gegenmaßnahmen durchzuführen, um Wertverluste an Objekten möglichst gering zu halten oder bestenfalls ganz zu vermeiden.

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Stufenweise planen

Ein solches Konzept gliedert sich in zwei Teile, in eine Notfall- und eine Katastrophenplanung. Erstere gilt auch für alltägliche Schadens- oder Notfälle, während die Katastrophenplanung sich zusätzlich auf Auswirkungen von Großschadensereignissen konzentriert. Dies ist auch nochmal unabhängig von der Personenrettung im Ereignisfall zu betrachten, die sowieso Vorrang hat. In der Notfallplanung geht es in erster Linie um die zügige Objektversorgung. Notfälle können immer auch im Alltag eintreten; so können Objekte in ihrer Montierung verrutschen, Materialermüdungen zu Schäden führen oder alte Reparaturen nicht mehr halten. All diese Fälle erfordern ein rasches Eingreifen seitens der Restauratoren. Diese müssen schnell und systematisch reagieren, um das Objekt nicht noch mehr zu gefährden und eine reibungslose Wiederherstellung der Sicherheit zu ermöglichen. Ein erster Schritt hierzu ist die Erstellung eines „Notfall-Kits“ für jedes Gebäude, das im Ernstfall eine schnelle Sicherung und Bewahrung des Objektes ermöglicht. Die Museumsgebäude haben unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten, und die Restaurierungsateliers sind nicht direkt in den Gebäuden mit Dauerausstellungen untergebracht. Die Notfall-Kits vermeiden lange Wege und ermöglichen den direkten Zugriff auf Werkzeug, Verpackungsmaterial, Technik und deren Bevorratung. Ebenso wichtig ist es, rasch überhaupt an das Objekt heranzukommen. Die Museen benutzen viele unterschiedliche Vitrinenmodelle mit unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten. Im Gefahrenfall müssen alle Schlüssel rasch erreichbar und genau gekennzeichnet sein. Die Lösung besteht in der Installation einer Notfallschlüsselbox, mit deren Hilfe die Verantwortlichen einen schnellen Zugriff auf die notwendigen Schlüssel oder Spezialwerkzeuge haben. Ebenso ist der Zugang zu einer Werkstatt für den Notfall einzurichten, die alle Restauratoren nutzen können.

Wo steht was?

Nicht nur für die eigenen Mitarbeiter, auch für die Feuerwehr ist im Ernstfall wichtig zu wissen, wo welche Objekte stehen. Genaue Grundlagenpläne und Laufzettel sind notwendig, um sich in den mitunter verzweigten Gebäudeteilen schnell zu orientieren. Die Vitrinen der Dauerausstellungen müssen pro Ausstellungseinheit und Stockwerk genau in Raumpläne eingezeichnet werden. Denn im Gefahrenfall muss jeder unverzüglich zur richtigen Vitrine gelangen, ohne diese erst groß suchen zu müssen. Farbcodierte, gut lesbare Grundpläne stellen die Grundlage dar. „Mit Hilfe der Sammlungsleiter sollen in einem nächsten Schritt die Objekte eingetragen werden, die zuerst gerettet werden müssen – eine Prioritätenliste. Diese Angaben ergänzen die Grundpläne“, erläutert Eva-Maria Günther, Abteilungsleiterin Ausstellungsmanagement und Museumsvermittlung der Reiss-Engelhorn-Museen. In einem weiteren Schritt sollen die Grundpläne mit der Feuerwehr überarbeitet werden, sodass deren Lesecodes in die Gestaltung der Pläne mit einfließen und damit die Orientierung für die Feuerwehr erleichtert wird.

Gemeinsam handeln

Großschadensereignisse lassen sich nur schwer vorausplanen. Für Museen bedeutet dies neben Brandereignissen auch Wasserschäden, Ausfall von Belüftungen oder Klimaeinheiten für bestimmte Exponate sowie Vandalismus und ähnliches. Kein großes Schadensereignis kann mit einem Notfallplan detailgenau abgedeckt werden. Dennoch gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die auch solche Ereignisse mit aufgreifen. Es müssen auf jeden Fall personelle Zuständigkeiten festgelegt sowie grundsätzliche Abläufe im Vorhinein strukturiert werden. Sollte es notwendig sein, Objekte in andere Räumlichkeiten oder ganz aus Gebäuden zu bringen, müssen genügend Rettungsmittel vorhanden und zugänglich sein. Für die Reiss-Engelhorn-Museen sind solche Transportmittel je Gebäude angedacht.

Ein weiter Schritt könnte die Etablierung eines Notfallbundes sein, wie er bereits in vielen deutschen Städten existiert. Die Verbünde sind eine Reaktion auf die Großschadensereignisse, bei denen eine betroffene Institution rasch an ihre Grenzen in Bezug auf Kapazitäten und Ressourcen stößt, etwa beim Einsturz des Stadtarchivs in Köln 2009. In solchen Verbünden schließen sich lokale oder regionale Museen, Bibliotheken und Archive zusammen, um vorhandene Fachkompetenzen und Ressourcen ihrer Mitglieder zu bündeln und sich im Ernstfall gegenseitig zu unterstützen. Beispielsweise hat der Notfallverbund Halle ein eigenes Notfalllager eingerichtet, in das Objekte verbracht werden können. Die Notfallverbünde dienen neben konkreten Leistungen im Schadensfall auch der Abstimmung von Notfallplänen und zur Optimierung von Strukturen, um im Ernstfall besser vorbereitet zu sein. Ebenso lassen sich Ressourcen im Notfall bündeln und vergrößern – etwa Transportmaterialien und Fachpersonal wie Restauratoren – und gemeinsame Übungen unter Einbeziehung der Feuerwehr abhalten. Egal ob es sich um ein alltägliches Risiko im „Normalbetrieb“ oder um ein außergewöhnliches Schadensereignis handelt, auf die Institution abgestimmte Notfallpläne bilden immer die Grundlage. „Die 24/7 Rufbereitschaft durch die hauseignen Restauratoren ist bereits seit langem ein fester Bestandteil der internen Arbeitsabläufe. Professionalisiert werden soll mit Hilfe des Projekts die Ablaufplanung der Schadensereignisse“, so Günther. Das Vorgehen ist in Einzelschritte gegliedert, diese müssen nach der Vollendung jeweils in Schulungen an die betroffenen Mitarbeiter vermittelt werden. Nur wenn diese ihre Aufgaben genau kennen, lässt sich im Ernstfall wertvolle Zeit einsparen, die zur Rettung von Objekten benötigt wird.

Hendrick Lehmann

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