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Offline- und Online-Systeme

Das Kind beim Namen nennen

Die Zutrittstechnik ist stetig im Wandel, die Bandbreite an Systemen und Funktionen wächst. An vielen Stellen verschwimmen zudem die Grenzen, was eigentlich Zutrittskontrolle ist und wie man sie aktuell definieren kann. Offline- und Online-Systeme nähern sich derart an, dass eine klare Abgrenzung schwer fällt. Dennoch bot das PROTECTOR Forum Zutrittskontrolle 2015 den idealen Rahmen, es zu versuchen.

Die Teilnehmer am zweiten Tag des PROTECTOR Forums Zutrittskontrolle(von links): Bernd Lesemann, Hartmut Beckmann, Volker Kraiss, Dietmar Vetten, Marco Pompili, Chefredakteur Andreas Albrecht, Moderator Boris Stamm, Polichronis Sidiropoulos, Harald Gille
Die Teilnehmer am zweiten Tag des PROTECTOR Forums Zutrittskontrolle(von links): Bernd Lesemann, Hartmut Beckmann, Volker Kraiss, Dietmar Vetten, Marco Pompili, Chefredakteur Andreas Albrecht, Moderator Boris Stamm, Polichronis Sidiropoulos, Harald Gille

Schon die erste Frage zum Thema durch Moderator Boris Stamm löst eine Grundsatzdebatte aus: „Ich möchte vorneweg eine Frage zur Begriffsklärung stellen: Nehmen wir einmal an, ich ersetze als Betreiber meine alte mechanische Schließanlage und verwende stattdessen in Zukunft nicht mehr das Medium Schlüssel, sondern einen Transponder. Habe ich dann automatisch Zutrittskontrolle?“

Volker Kraiss von Kraiss Consult winkt ab: „Durch den Einsatz von elektronischen Zylindern und Beschlägen hat man noch keine klassische Zutrittskontrolle. Wenn man mechanische Zylinder durch elektronische Zylinder oder Beschläge ersetzt, hat man in erster Linie nur ein elektronisches und relativ komfortables Schließsystem und nicht mehr.“ Doch für Harald Gilleßen von Gretsch-Unitas ist auch das eine Frage der Definition: „Für mich kann auch eine mechanische Schließanlage eine Form von Zutrittskontrolle sein, eben eine mechanisch organisierte Zutrittskontrolle. Aber ich weiß natürlich, dass man die Diskussion häufiger führt, wie genau Zutrittskontrolle zu definieren ist.“

Zwischen den Extremen

Genau in diesem recht weiten Spannungsfeld bewegen sich auch die Anwender, die entscheiden müssen, welche Aussagen von Herstellern der Kategorie Vermarktung oder der Kategorie Technik zuzuordnen sind. Die Gemengelage am Markt ist manchmal verwirrend, wie auch die Schilderung von Bernd Lesemann von Opertis zeigt: „Wenn wir über elektronische Zylinder reden, finden sich hier auch mehrere Begriffe wieder: Mechatronik, Digitalzylinder, Offline-Zutrittskontrolle und so weiter. Außerdem kommt es auf die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Anlage an. Die vollen Funktionalitäten einer Zutrittskontrollanlage können auch mit elektronischen Schließzylindern und der zugehörigen Verwaltungssoftware offline wie online gegeben sein. Eine vernetze elektronische Schließanlage ist deshalb auch ein Zutrittskontrollsystem, das man von ganz geringen Anforderungen bis hin zu höchsten Ansprüchen skalieren kann – inklusive Forensik und Hochsicherheit sowie Einbindung von Brandmeldeanlagen oder Videoüberwachung.“

„Wenn wir über elektronische Zylinder reden, finden sich hier auch mehrere Begriffe wieder: Mechatronik, Digitalzylinder, Offline-Zutrittskontrolle und so weiter. Außerdem kommt es auf die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Anlage an. Die vollen Funktionalitäten einer Zutrittskontrollanlage können auch mit elektronischen Schließzylindern und der zugehörigen Verwaltungssoftware offline wie online gegeben sein.“
Bernd Lesemann, Product Manager, Opertis GmbH

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„Die problemlose Verfügbarkeit von leistungsfähigen mechatronischen Komponenten hat auch klare Vorteile für manche Anwendung. Nehmen wir zum Beispiel eine Brandschutztür, die man in ein Zutrittssystem einbinden möchte. Das geht mit einem elektronischen Zylinder ohne die teuren und aufwendigen baulichen Veränderungen, vor denen man sonst wohl zurückschrecken würde.“
Harald Gilleßen, Produktmanagement Elektronik, BKS GmbH

Volker Kraiss betont, dass es dennoch Möglichkeiten zur Differenzierung gibt: „Die Leistungsmerkmale einer klassischen Online-Zutrittskontrollanlage unterscheiden sich schon wesentlich von den Leistungsmerkmalen eines elektronischen Schließsystems. Bei klassischen Online-Zutrittskontrollanlagen verfügen wir über deutlich erweiterte Funktionalitäten, allen voran die Türüberwachung, die Kombination mit zusätzlichen Stellgliedern und die Integration in ein übergeordnetes Gefahrenmanagement. Diese Dinge kommen in der Welt der elektronischen Zylinder und Beschläge nicht vor, und das markiert für mich den Punkt, an dem zumindest im Bereich sicherheitsrelevanter Geschäftsprozesse und damit verbundener Sicherheitsstandards elektronische Schließkomponenten beziehungsweise Schließsysteme nicht eingesetzt werden können.“

Ergänzen und zusammenwachsen

Doch es gibt auch Szenarien, wo die Mechatronik erweiterte Funktionen ermöglicht oder gewisse Installationen vereinfacht, wie Harald Gilleßen anmerkt: „Die problemlose Verfügbarkeit von leistungsfähigen mechatronischen Komponenten hat auch klare Vorteile für manche Anwendung. Nehmen wir zum Beispiel eine Brandschutztür, die man in ein Zutrittssystem einbinden möchte. Das geht mit einem elektronischen Zylinder ohne die teuren und aufwendigen baulichen Veränderungen, vor denen man sonst wohl zurückschrecken würde. Mit einem verdrahteten Online-System wäre das sehr schwierig. Aber dank der Mechatronik kann man diese Türen mühelos integrieren und absichern.“

Das angesprochene Szenario sowie die erwähnten Funktionalitäten auf beiden Seiten verdeutlichen schon, dass es in der Praxis – und vor allem aus Anwendersicht – diese klare Trennung der Systeme gar nicht gibt. Und auch die Hersteller bieten zunehmend beide Varianten an, um die Ansprüche des Kunden bestmöglich bedienen zu können. Vielmehr wachsen die einstigen Offline-Systeme nach oben in die Richtung Zutrittskontrollanlage und zum anderen runden die klassischen Online-Anbieter ihre Portfolios nach unten hin durch vernetzte Digital-Zylinder ab.

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