Direkt zum Inhalt

Dauerbrenner

Im gesamten deutschen Einzelhandel summierten sich die Inventurdifferenzen 2012 auf 3,8 Milliarden Euro. Statistisch betrachtet, stiehlt jeder deutsche Haushalt jährlich Waren im Wert von rund 50 Euro im Einzelhandel.

Statistisch stiehlt jeder deutsche Haushalt jährlich Waren im Wert von rund 50 Euro.
Statistisch stiehlt jeder deutsche Haushalt jährlich Waren im Wert von rund 50 Euro.

Diebstähle durch unehrliche Kunden sind mit rund 1,9 Milliarden Euro nach wie vor für gut die Hälfte der Schäden verantwortlich. Den eigenen Mitarbeitern werden immerhin 800 Millionen angelastet. Der Rest des Diebstahls entfällt mit fast 400 Millionen Euro auf Lieferanten und Servicekräfte, hinzu kommen organi-satorische Fehler.

Nach wie vor schmälert eine durchschnittliche Inventurdifferenz von 0,57 Prozent – bewertet zu Einkaufspreisen in Prozent vom Nettoumsatz – die Renditen im Einzelhandel. Bewertet zu Verkaufspreisen in Relation zum Bruttoumsatz entspricht dies in branchengewichteter Hochrechnung einem Wert von durchschnittlich 0,98 Prozent des Umsatzes.

Damit sind die Verlustraten stabil auf hohem Niveau und das, obwohl der Handel jährlich rund 1,2 Milliarden Euro in Präventiv- und Sicherungsmaßnahmen investiert.

Im Fokus der Sicherheitsaufwendungen stehen aktuell erweiterte Kameraausstattungen, Schulungen zur Steigerung der Aufmerksamkeit von Mitarbeitern sowie verbesserte Warensicherungen.

Branchenentwicklungen

Anzeige

Der betrieblichen Praxis folgend wurden die Erhebungen bewertet zu Nettoeinkaufspreisen in Relation zum Nettoumsatz erfasst. Als Orientierung können folgende Mittelwerte angegeben werden, obwohl ein direkter Vergleich von Inventurdifferenzen verschiedener Unternehmen nur bedingt möglich und sinnvoll ist:

  • Im Lebensmittelhandel (inklusive C&CMärkte) liegen die durchschnittlichen Inventurdifferenzen bei 0,49 Prozent. Die C&C-Märkte schneiden traditionsgemäß mit Werten um 0,2 Prozent am besten ab. SB-Warenhäuser haben mit 0,51 Prozent vom Nettoumsatz einen leichten Anstieg zu verzeichnen. Bei Supermärkten bis 2.500 Quadratmetern betragen die durchschnittlichen Differenzen ebenfalls 0,51 Prozent, während große Supermärkte im Schnitt 0,48 Prozent ausweisen.
  • Drogeriemärkte liegen mit durchschnittlich 0,78 Prozent knapp unter dem Vorjahresniveau. Die beteiligten Baumarktunternehmen haben marginal niedrigere Inventurdifferenzen feststellen können, 2012 durchschnittlich 0,71 Prozent.
  • Im gesamten Bekleidungshandel sind die durchschnittlichen Inventurdifferenzen von 0,51 Prozent auf 0,53 angestiegen. Während die Bekleidungsfachgeschäfte inklusive Schuhhandel (0,42 Prozent) mehrheitlich geringere Bestandsverluste ausweisen konnten, hatten die Textilfachmärkte (0,66 Prozent) und Textilkaufhäuser einschließlich Warenhausbetreiber (0,60 Prozent) höhere Verluste zu verzeichnen.

Im Durchschnitt aller Branchen gibt der Handel rund 0,3 Prozent vom Umsatz für Sicherheitsmaßnahmen aus. Kameraüberwachung liegt im Trend und wird weiter forciert. Geschultes, aufmerksames Personal sowie diebstahlhemmende Warenträger und Warensicherungen gewinnen aktuell weiter an Bedeutung. Ebenso sind permanente Datenanalysen zur Analyse diebstahlgefährdeter Artikel und zur Früherkennung von Schwachstellen wichtige Präventionsinstrumente.

Die Gesamtaufwendungen für Inventurdifferenzen und deren Vermeidung betragen also jährlich fünf Milliarden Euro, die der Handel wie alle Kosten in seine Verkaufspreise einkalkulieren muss: Jeder ehrliche Kunde wird also bei jedem Kauf mit über einem Prozent des Kaufpreises an den Schäden der Ladendiebstähle beteiligt.

PKS trügt

Die polizeilich erfassten Ladendiebstähle haben 2012 mit 361.759 angezeigten Fällen über sechs Prozent abgenommen. Der stetige Rückgang der angezeigten Ladendiebstähle in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) spiegelt offensichtlich nicht die tatsächlichen Verhältnisse wider.

Die aktuellen Einschätzungen des Handels zur Kriminalitätslage stehen im Widerspruch zur Statistik. Durch die geschätzte hohe Dunkelziffer von über 98 Prozent besitzt die Statistik nur eine eingeschränkte Aussagefähigkeit. Aus dem durchschnittlichen Schaden der angezeigten Diebstähle und dem tatsächlichen Schaden im Handel ergibt sich, dass täglich über 100.000 Ladendiebstähle mit je einem Warenwert von fast 70 Euro unentdeckt bleiben. Damit werden jährlich rund 30 Millionen Ladendiebstähle weder entdeckt noch angezeigt.

Von einer entspannten Lage bei Ladendiebstählen zu sprechen, ist angesichts des enormen Dunkelfeldes fatal. Trotz rückläufiger Statistiken wird im Handel nach wie vor gestohlen, was nicht niet- und nagelfest ist. Spricht man mit Einzelhändlern, so sieht die Welt ganz anders aus, als es die PKS suggeriert: Bandendiebstahl, spezialisierte Tätergruppen, insbesondere aus dem osteuropäischen Raum, Leergutmanipulation, Umtauschbetrug, Wechselgeldbetrug. Und fast täglich tauchen neue Methoden und Tricks der Betrüger auf; hinzu kommen noch Einbruchs- und Raubdelikte.

Es sind derzeit weniger die gewöhnlichen Gelegenheitsdiebe, wie sie der Handel seit jeher kennt, sondern es sind oftmals Täter mit „professionellem“ Hintergrund oder Personen, die ihren Lebensunterhalt durch Straftaten bestreiten. Es liegt in der Natur der Sache, dass hierzu kaum verlässliches Datenmaterial existiert.

Ein Indiz: während die angezeigten einfachen Ladendiebstähle kontinuierlich zurückgehen, haben sich die angezeigten schweren Ladendiebstähle in den letzten fünf Jahren verdoppelt.

Organisierter Ladendiebstahl

In vielen Bereichen der Einzelhandelskriminalität erwarten die Händler eine weitere Steigerung. Vor allem Ladendiebstähle in ihren unterschiedlichen Formen und Ursachen wie Gelegenheitsdiebstähle, Beschaffungskriminalität, Diebstahl auf Bestellung und Bandendiebstähle sind aber mit Abstand das größte Problem für den Einzelhandel.

Im Fokus steht vor allem der professionell organisierte Ladendiebstahl im Sinne von Bandendiebstählen und Diebstählen auf Bestellung von professionell agierenden Tätergruppen, die bei jedem Zugriff wertmäßig hohe Schäden verursachen.

Erhöhtes Budget

Das „akzeptable“ Niveau der Inventurdifferenzen stellt keinen Anlass dar, Investitionen und Aufwendungen für Präventiv-, Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen zu vernachlässigen. Gut ein Viertel der Unternehmen hat 2013 sein Budget für Präventions- und Sicherungsmaßnahmen erhöht.

Das Bedrohungspotenzial durch Kundendiebstahl und Mitarbeiterdelikte ist unverändert hoch. Auch wenn Vertriebsaspekte oft im Vordergrund stehen, sind Warensicherungs-, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen zwingend und gezielt einzusetzen.

Frank Horst, Leiter des Fachbereichs Sicherheit & Inventurdifferenz beim EHI Retail Institute

Passend zu diesem Artikel