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Öffentliche Sicherheit 5. März 2020

Deutsche Unternehmen schlecht für Krise gerüstet

Eine Studie belegt: Deutsche Unternehmen sind nicht ausreichend auf eine Krise vorbereitet. Details erläutert Claudia Nestler von PWC Deutschland.

Deutsche Unternehmen sind nicht ausreichend auf eine Krise vorbereitet – das ist das zusammengefasste Ergebnis einer PWC-Studie. Warum das so ist, erfuhr PROTECTOR von Claudia Nestler, Partnerin und Crisis Management Leader bei PWC Deutschland.

PROTECTOR: Zunächst einmal: Wie definieren Sie „Krise“?

Claudia Nestler: Den Begriff „Krise“ haben wir für die Zwecke unserer Studie als Situation definiert, die durch signifikante interne oder externe Faktoren ausgelöst wird, die eine unternehmensweite Wirkung aufweist, Störungen im normalen Geschäftsbetrieb verursacht und das Potenzial hat, dem Ruf des Unternehmens schwer zu schaden. Neben einem einzelnen, signifikanten Faktor kann natürlich auch das unglückliche Zusammenspiel mehrerer Ereignisse eine Krise in einem Unternehmen auslösen.

Das bedeutet im Umkehrschluss, nicht jede Störung des Geschäftsbetriebs muss sich zu einer Krise entwickeln; und je besser ein Unternehmen auf solch unerwartete Ereignisse vorbereitet ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Vorfall auch zu einer Krise mit weitreichenden Folgen für ein Unternehmen ausweitet.

Jetzt sind ja nicht alle Krisen existenziell für ein Unternehmen. Gibt es ein „Ranking“?

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Um eine umfassendere Analyse zu ermöglichen, haben wir die vordefinierten 19 Krisenszenarien in sieben Kategorien eingeteilt: operative, technologische, humanitäre, finanzielle, rechtliche, personelle und imagebezogene Krisen.

Spitzenreiter unter den als schwerwiegend eingestuften Krisen sind Ereignisse, die sich negativ auf die operativen Prozesse oder die technologische Infrastruktur des Unternehmens auswirken. Dies geben 21 Prozent beziehungsweise 20 Prozent der Befragten an. Jeweils 16 Prozent schätzen Vorfälle mit rechtlichen Konsequenzen oder Auswirkungen auf das Image des Unternehmens als besonders schwerwiegend ein. Ein ganz bestimmtes Krisenszenario ist es somit nicht, dem die Mehrheit der Befragten zutraut, ihrem Unternehmen einen existenziellen Schaden zuzufügen. Es zeigt sich, dass Unternehmen für eine ganze Reihe an Krisenszenarien gewappnet sein sollten, die sie je nach Ausprägung mit ganz unterschiedlicher Härte treffen können.

Sie haben die Umfrage weltweit durchgeführt. Kann man „Ländertrends“ feststellen? Ist man in anderen Ländern besser auf Krisen vorbereitet als in Deutschland?

Wir haben die Ergebnisse der Umfrage in Deutschland den globalen Umfrageergebnissen gegenübergestellt. Wann und in welcher Form ein Unternehmen von einer Krise überrascht wird und der übliche Geschäftsbetrieb erst einmal unterbrochen ist, lässt sich kaum vorhersagen. Aber das bedeutet nicht, dass sich eine gute Vorbereitung nicht auszahlt. Im Gegenteil: gezielte Maßnahmen können sich im Ernstfall durchaus rentieren. Und die eigenen Fähigkeiten zur Krisenbewältigung zu kennen und sich über Stärken und Schwächen bewusst zu sein, macht es möglich, Ressourcen in Krisensituationen bestmöglich zu nutzen.

Deutschen Unternehmen mangelt es an Bewusstsein für die Krise

Leider ist das Bewusstsein der Bedeutung von Krisenprävention im globalen Vergleich bei deutschen Unternehmen weniger ausgeprägt. Nur 40 Prozent der befragten deutschen Unternehmen gaben an, einen Krisennotfallplan implementiert zu haben; weltweit waren es zumindest die Hälfte der Befragten. „Kein Krisenreaktionsteam im Unternehmen vorhanden“ wurde von 31 Prozent der befragten deutschen Unternehmen benannt, im globalen Vergleich sind es nur 24 Prozent. Und auch in das „Proben für den Ernstfall“ wird von deutschen Unternehmen weniger Aufwand in Simulation und Training gesteckt. 41 Prozent verzichten ganz auf entsprechende Übungen, während es global immerhin auch noch 31 Prozent sind, die den Ernstfall nicht trainieren.

Kommen wir zu den Abwehrmaßnahmen. Wie ist es um die Krisennotfallpläne bestellt?

Eine der größten Schwachstellen ist das Fehlen von Krisenteams mit klaren Verantwortlichkeiten. Ich bin überzeugt, dass das Vorhandensein von Krisenteams mit klarer Rollenverteilung entscheidend für eine schnelle und effiziente Unternehmensreaktion darstellt. Eine Krise gemeinsam durchleben und überstehen, stärkt das Teamgefühl, und wertvolle Erfahrungen helfen in künftigen Krisensituationen.

Daher sind die Ergebnisse der Umfrage umso erstaunlicher. Jeder vierte Studienteilnehmer berichtete, dass keine Verantwortlichkeiten zur Krisenprävention und -bewältigung auf Führungsebene benannt sind. Knapp jeder Dritte der Befragten erklärte, dass in seinem Unternehmen eine verantwortliche Person für eine Krisensituation benannt ist, jedoch keine festen Aufgaben und Verantwortlichkeiten für die Rolle festgelegt sind. Lediglich 39 Prozent der Befragten erklärten, dass sie überhaupt ein Krisenteam mit klar definierten Rollen und Verantwortlichkeiten haben.

Auf spezielle Risiken fokussieren

Jetzt sind die Risiken für die Unternehmen je nach Branche natürlich unterschiedlich. Gibt es da überhaupt den „einen“ Notfallplan?

Ein komplexer Notfallplan, der jedes mögliche Szenario berücksichtigt, ist nicht erforderlich und in der Realität wahrscheinlich auch schwer aufzustellen. Viel wichtiger ist es, bei der Entwicklung des Notfallplans dessen Praxistauglichkeit im Auge zu behalten. Wir raten dazu, sich zunächst auf ausgewählte Risiken zu fokussieren, von dem für das jeweilige Unternehmen beziehungsweise die Branche die höchste Gefahr ausgeht.

Aber mit der Aufstellung eines Notfallplans allein ist es nicht getan. Rollen und Verantwortlichkeiten sowie auch Abläufe für eine Krisensituation in einem Unternehmen zu definieren und schriftlich festzulegen, ist nur der erste Schritt zur Implementierung einer erfolgreichen Krisenprävention. Im nächsten Schritt sollte die Schulung aller einzubeziehenden Mitarbeiter erfolgen. Das kann beispielsweise durch ein gemeinsames Krisensimulationstraining erfolgen, in dem Mitarbeiter in sicherer Umgebung den Ernstfall proben können und die Praxistauglichkeit des Notfallplans getestet wird.

Aus der Krise nichts lernen

Warum gibt es die aber nicht in jedem Unternehmen? Ist das eine Kostenfrage?

In der Tat, im Rahmen unserer Studie gaben 39 Prozent der befragten deutschen Unternehmen an, keine finanziellen Mittel für Krisenprävention zur Verfügung zur stellen. Teils ist es sicherlich eine Kostenfrage, die Unternehmen davon abhält, die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Inwieweit eine angemessene Prävention vor Schaden bewahrt, lässt sich nun mal nur sehr schwer quantifizieren. Neben der Kostenfrage sehen wir jedoch auch ein fehlendes Bewusstsein für die Bedeutung einer erfolgreichen Krisenprävention, die über bisher übliche Notfallplanungen beispielsweise zu Betriebsunterbrechungen im Produktionsprozess hinausgehen.

Darüber hinaus zeigen unsere Umfrageergebnisse auch, dass bislang zu wenige Unternehmen die Chance nutzen, aus einer erfahrenen Krise zu lernen. Sicherlich ist ein Unternehmen zunächst erleichtert, eine anstrengende Krise endlich überstanden zu haben. Bleibt dann jedoch der wichtige Folgeschritt aus, und es unterbleibt die Analyse der Ursachen, die zur Krise geführt haben, und der Wirkkraft der Krisenbewältigung, dann nimmt sich ein Unternehmen selbst die Chance, besser auf zukünftige Vorfälle vorbereitet zu sein. Und diese Lehren aus der Krisenbewältigung werden noch von zu wenigen Unternehmen gezogen.

Einige der Befragten haben ja sicher schon eine Krise erlebt. Ist man dort eher gerüstet?

Unternehmen, die gestärkt aus einer Krise hervorgegangen sind, gaben an, eine Ursachenanalyse ausgeführt zu haben und gewonnenen Feststellungen genutzt zu haben, um Krisennotfallplan und Schulungen in eigenen Unternehmen anzupassen – immerhin 87 Prozent der befragten Unternehmen gaben dies an, global 92 Prozent.

Ob eine Krisenbewältigung erfolgreich ist oder nicht hängt eben sehr stark davon ab, wie gut das Krisenteam zusammenarbeitet und miteinander agiert. 84 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland (global 90 Prozent) bestätigten, dass sie ihre Krise im Team gut gemeistert haben, und 68 Prozent (global 84 Prozent) erklärten zudem, dass sie während einer Krise an ihrer Unternehmenskultur und den gelebten Werten festgehalten haben.

Welche Schritte würden Sie Unternehmen empfehlen, die von sich aus sagen, dass sie eher schlecht vorbereitet sind?

Gestalten Sie zuerst einen Krisenplan unabhängig von einer konkreten Krisensituation. Bilden Sie daraufhin ein Krisenteam und legen Sie Rollen, Verantwortlichkeiten und kritische Abläufe fest. Richten Sie dann den Krisennotfallplan an Ihrer Unternehmenskultur und den gelebten Unternehmenswerten aus. Erproben Sie schließlich Ihre Krisenfestigkeit, simulieren Sie eine Krisensituation und beobachten Sie, wie sie als Krisenteam agieren, um daraus wichtige Veränderungen für den tatsächlichen Notfall umgesetzt zu haben.

Claudia Nestler, Partnerin und Crisis Management Leader bei PWC Deutschland

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