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Die deutsche Wirtschaft braucht den Verfassungsschutz

Wirtschaftsspionage ist für die innovative deutsche Wirtschaft eine starke Bedrohung. Welche Bedeutung hat der Verfassungsschutz für die deutsche Wirtschaft?

Der Verfassungsschutz wurde unter anderem dazu eingerichtet, die deutsche Wirtschaft vor Wirtschaftsspionage zu schützen. 
Der Verfassungsschutz wurde unter anderem dazu eingerichtet, die deutsche Wirtschaft vor Wirtschaftsspionage zu schützen. 

Die Bundesrepublik Deutschland hat, um gravierende Gefahren für den Staat, seine Bevölkerung und seine Wirtschaft, die vor allem von extremistischen und feindlichen Kräften ausgehen, frühzeitig erkennen und darauf reagieren zu können, Nachrichtendienste eingerichtet: den Inlandsnachrichtendienst Verfassungsschutz, den Auslandsnachrichtendienst BND und den militärischen Abschirmdienst MAD. Die wichtigsten Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und der Landesämter für Verfassungsschutz sind die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitliche Grundordnung, die Mitwirkung beim Geheimschutz und die Aufklärung von Spionagetätigkeiten.

Zuverlässigkeits- und Sicherheitsüberprüfung durch den Verfassungsschutz

Für das Funktionieren der Wirtschaft und die Vertrauenswürdigkeit der Unternehmen ist die Zuverlässigkeit ebenso wie die Einhaltung staatlicher, betrieblicher und geschäftlicher Geheimnisse von ausschlaggebender Bedeutung. Die allgemeine charakterliche und soziale Zuverlässigkeit wird in Vorstellungsgesprächen mit den Personen, die sich als Unternehmer, Führungskraft oder Mitarbeiter bewerben, geprüft. Für die Überprüfung der Zuverlässigkeit im Sinne der Einhaltung der Rechtsordnung und des Ausschlusses von Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, ist die Zuverlässigkeits- und die Geheimschutzüberprüfung in einem gesetzlich geregelten Verfahren unter maßgeblicher Mitwirkung des Verfassungsschutzes vorgeschrieben.

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So regelt § 34a GewO die Zuverlässigkeitsüberprüfung im Sicherheitsgewerbe. Detailliert beschrieben wird, in welchem Umfang die Zuverlässigkeit von Antragstellern, die ein Sicherheitsdienstleistungsunternehmen betreiben wollen, von Betriebsleitern und Leitern einer Zweigniederlassung sowie von Sicherheitsmitarbeitern zu überprüfen ist und welche Behörden und Datenbanken einzuschalten sind. Die erforderliche Zuverlässigkeit liegt nach § 34a abs.1 Satz 4 GewO in der Regel unter anderem dann nicht vor, wenn der Antragsteller oder die mit der Leitung des Betriebs oder einer Zweigniederlassung beauftragte Person einem verbotenen Verein oder einer verfassungswidrigen Partei angehört oder Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgt oder in den letzten fünf Jahren verfolgt oder unterstützt hat.

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Um die Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit in diesem Sinne festzustellen, muss die Stellungnahme der jeweils zuständigen Landesverfassungsschutzbehörde eingeholt werden. Das gilt auch für Sicherheitsmitarbeiter, die zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften, von zugangsgeschützten Großveranstaltungen und zum Schutz von Objekten eingesetzt werden, von denen im Fall eines kriminellen Angriffs eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen kann.

Eingeschaltet in die Zuverlässigkeitsüberprüfung wird der Verfassungsschutz auch, wenn die Luftsicherheitsbehörde die Zuverlässigkeit von Personen überprüft, die bestimmte sicherheitsrelevante Funktionen (§ 7 Abs.1 Satz 1 Nrn. 1-5 LuftSiG) ausüben und bei Unzuverlässigkeit eine Gefahr für die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs darstellen könnten.

Mitwirkende Behörde ist das BfV  auch bei Sicherheitsüberprüfungen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG). Der Geheimschutz in der Wirtschaft dient der Durchführung sämtlicher Maßnahmen, die zum Schutz von Verschlusssachen (in der Abstufung streng geheim, geheim und VS-Vertraulich) getroffen werden müssen. Erhält ein Unternehmen eine VS-Auftrag von einer amtlichen Stelle, so obliegt ihm die Durchführung der notwendigen Geheimschutzmaßnahmen. Das BMWi führt das Geheimschutzverfahren, unterrichtet das Unternehmen über geheimschutzrelevante Erkenntnisse und veranlasst die Mitwirkung des Verfassungsschutzes. Das Ministerium hat ein Geheimschutzhandbuch erarbeitet, in dem sowohl der personelle wie der materielle Geheimschutz geregelt ist, der alle technischen und organisatorischen Maßnahmen umfasst, die bewirken sollen, dass ausschließlich ausreichend VS-Ermächtigte Kenntnis von Verschlusssachen erhalten. Das beauftragte Unternehmen muss die Regelungen des Geheimschutzhandbuchs in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag anerkennen. Auch in diesem Verfahren ist die Nutzung der Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zwingend erforderlich, um einen ausreichenden Geheimschutz zu erzielen.

Bekämpfung der Wirtschaftsspionage

Zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes gehört die Sammlung und Auswertung von Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (§ 3 Nr.2 BVerfSchG). Von der hierunter fallenden Wirtschaftsspionage ist die innovationsstarke deutsche Wirtschaft in erheblichem Maße bedroht. Wirtschafts- und Technologiespionage betreiben nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden vor allem russische und chinesische Nachrichtendienste. Nach dem Bundeserfassungsschutzbericht 2020 steht die deutsche Wirtschaft, insbesondere mit ihren Kritischen Infrastrukturen, im Fokus von Cyberspionageangriffen durch die Advanced Persistent Threat-Gruppierungen APT 28 und 29 mit Verbindungen zu russischen Nachrichtendiensten. Mit seinen Erkenntnissen zu Techniken und dem gesamten Modus Operandi von Cyberangriffen kann der Verfassungsschutz Beiträge zur Abwehr solcher Angriffe leisten. Das geschieht sowohl in bilateralen Gesprächen mit betroffenen Unternehmen als auch durch die Mitwirkung im Nationalen Cyber-Abwehrzentrum.

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Besonders intensiv sind nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Spionageaktivitäten chinesischer Dienste. Darüber hinaus ist China verstärkt dazu übergegangen, technologische Lücken durch den Aufkauf deutscher mittelständischer Unternehmen aus dem Bereich der Spitzentechnologie zu schließen. Chinesische Nachrichtendienste eruieren auch Wissenspotentiale chinesischer Experten, die in Deutschland tätig sind. Solche Spionageaktivitäten gehen teils von staatlichen chinesischen Stellen, teils von Konkurrenzunternehmen in China aus. Ausspähungsversuche richteten sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes auch gegen deutsche Unternehmen, die Impfstoffe gegen Covid 19 entwickeln.

Präventiver Wirtschaftsschutz

Ein zentrales Anliegen des Verfassungsschutzes ist der präventive Schutz von Unternehmen vor Wirtschaftskriminalität durch Auswertung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse. Nach einem Bericht von Bitkom, der im August 2021 veröffentlich wurde, erklärten bei einer Befragung von über 1.000 Unternehmen Anfang 2021 88%, in den letzten 12 Monaten von Diebstahl, Industriespionage oder Sabotage betroffen gewesen zu sein. Bei 86% der befragten Unternehmen haben in diesem Zeitraum Cyberangriffe einen Schaden verursacht. Die Schäden durch die genannten Deliktsarten summierten sich nach Berechnung von Bitkom in den letzten 12 Monaten auf 223 Mrd. EUR, ein gewaltiger Anstieg gegenüber 2019 mit 103 Mrd. EUR. 37% der Befragten vermuteten den Ursprung der Angriffe (auch) in Osteuropa, 23% in Russland, 30% in China.

Das BfV geht von Unternehmen gemeldeten Verdachtsfällen nach und sensibilisiert Unternehmen gemeinsam mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz. Beklagt wird, dass manche Unternehmen den Weg zum Verfassungsschutz scheuen, um ihre Reputation nicht zu schädigen. Dabei wird oft übersehen, dass im Gegensatz zur Polizei der Verfassungsschutz nicht dem Legalitätsgrundsatz unterliegt, also dem Unternehmen absolute Vertraulichkeit zusagen kann. Das BfV engagiert sich auch in der vom BMI koordinierten Initiative Wirtschaftsschutz zusammen mit Verbänden, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Auf einer Informationsplattform haben sich BfV, BKA, BND und BSI zusammengeschlossen und stellen gebündelt ihre Expertise für Unternehmen zur Verfügung. Sie geben einen Sonderbericht Wirtschaftsschutz zur wirtschaftlichen und politischen Lageentwicklung in verschiedenen Ländern und zu Cyberbedrohungen heraus. Und sie haben eine Einführung in den „Wirtschaftsgrundschutz“, unter anderem mit Standards, Bausteinen, praxisgerechten Handlungsempfehlungen und der Beziehung zum IT-Grundschutz des BSI, erarbeitet. Kernzielgruppe sind kleine und mittelständische Unternehmen. Im Mai/Juni 2021 haben sie eine „digitale Roadshow Wirtschaftsschutz 2021“ unter dem Leitmotto „Resilienz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen in einer vernetzten Welt bundesweit stärken“ durchgeführt. Mit dem ASW Bundesverband veranstaltet das BfV jährlich eine Tagung zum Wirtschaftsschutz.

Insgesamt sollte die Wirtschaft den Verfassungsschutz durch die Information über Verdachtsfälle sowie die Nutzung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse und des vorhandenen Fachwissens stärker als bisher in Anspruch nehmen.

Reinhard Rupprecht, MinDir. a.D.

Chinesische Nachrichtendienste eruieren sind in Deutschland besonders aktiv.
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