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Unternehmen 16. November 2022

„Die Potentiale sind enorm“

Interview mit Dr. Henrik Siegle, CTO bei Bosch Building Technologies.

Dr. Henrik Siegle, CTO bei Bosch Building Technologies.
Dr. Henrik Siegle, CTO bei Bosch Building Technologies.

Seit November 2021 ist Henrik Siegle als CTO bei Bosch Building Technologies. Mit PROTECTOR sprach der promovierte Physiker über die Megatrends Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sowie über neue Entwicklungen in der Gebäudetechnik.

Herr Dr. Siegle, Klimawandel und Energieknappheit stellen den Gebäudesektor vor große Herausforderungen. Wie geht Bosch Building Technologies damit um?

Dr. Henrik Siegle: Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sind für uns und die gesamte Bosch-Gruppe schon lange von zentraler Bedeutung. Für Bosch Building Technologies gilt das insbesondere auch für den Bereich der Gebäudeautomation, in dem wir uns in den letzten Jahren auch durch Firmenübernahmen vor allem in den USA und Deutschland kontinuierlich verstärkt haben – alles mit dem Ziel, Gebäude energieeffizienter und nachhaltiger zu machen. Das erreichen wir beispielsweise durch automatisierte, anwesenheitsbasierte Raumklima- und Lüftungssteuerung, intelligente Beleuchtung sowie Beschattungssteuerung. Im Ergebnis optimieren wir so den Betrieb von Gebäuden, senken die Kosten für den Kunden und tragen zur Ressourcenschonung bei.

Bosch selbst ist bereits seit 2020 klimaneutral. Wie haben Sie das geschafft?

Dr. Henrik Siegle: Bosch hat frühzeitig begonnen, sich mit Themen der Energieeffizienz zu beschäftigen, weswegen die Bosch-Gruppe bereits heute mit ihren weltweit mehr als 400 Standorten klimaneutral wirtschaftet. Hierzu tragen vier Maßnahmenbereiche bei: die Steigerung der Energieeffizienz, die verstärkte Nutzung regenerativer Energien aus Eigenproduktion, der Bezug von Grünstrom und schließlich Kompensationsmaßnahmen im Falle unvermeidbarer CO2-Emissionen. Wir arbeiten daran, den Mix der Maßnahmen weiter zu optimieren. Denn Energieeffizienz ist für die Bosch-Gruppe auch eine Verpflichtung. Wir wollen nicht nur für den Einsatz unserer energieeffizienten Produkte werben, sondern Nachhaltigkeit auch als Unternehmen vorleben. Deshalb wurden alle Geschäftsbereiche analysiert, die Energieverbräuche erfasst und für jeden einzelnen Bereich Strategien entwickelt, wie wir diese noch weiter senken können. Wir als Geschäftsbereich Bosch Building Technologies liefern dazu Lösungen in die Gruppe hinein, zum Beispiel unsere cloudbasierte Energy Platform. Über diese werden die einzelnen Energieströme etwa in einer Fabrikanlage hochfrequent analysiert und zukünftige Verbräuche antizipiert. Auf diese Weise sind wir in der Lage, den Energieverbrauch unserer einzelnen Standorte kontinuierlich zu optimieren. Ein gutes Beispiel ist das Bosch-Werk Homburg, wo wir seit Einführung der Energy Platform den CO2-Ausstoß um 6.700 Tonnen in den ersten zwei Jahren senken konnten. Dies entspricht 12 Prozent.

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Außerdem zielen wir als Bosch-Gruppe nun auch auf die Verringerung von CO2-Emissionen, die nicht direkt durch uns entstehen, etwa in der Lieferkette oder während der Nutzung unserer Produkte. Hier nehmen wir uns als Bosch eine Reduktion um 15% bis 2030 vor.

Können Sie uns weitere Beispiele aus Ihrem Hause nennen, die zu mehr Nachhaltigkeit beitragen?

Dr. Henrik Siegle: Es gibt zahlreiche Initiativen und Projekte für mehr Nachhaltigkeit bei Bosch Building Technologies. Dazu zählt ein auch jüngst innerhalb der Bosch-Gruppe prämiertes umweltfreundliches Verpackungskonzept. Im Rahmen dessen wird Verpackungsmaterial wiederverwendet, was zu einer signifikanten Reduktion der Abfallmenge bei gleichzeitiger Beschleunigung der Umpackprozesse führt. Außerdem reduziert die optimierte Verpackungsgröße auch deutlich Fracht- und Lagervolumen, was ebenfalls wieder CO2-Emissionen einspart. Ein weiteres tolles Beispiel für Nachhaltigkeit sind unsere Remote Services, die durch die Möglichkeit zur Fernwartung beim Kunden nicht nur zur Einsparung von Arbeitszeit beitragen, sondern auch zur Vermeidung von Arbeitswegen und somit zur Verringerung des CO2-Austoßes.

Mit der Branderkennung „Aviotec“, sind Betreiber in der Lage, einen Brand frühzeitig zu detektieren.
Mit der Branderkennung „Aviotec“, sind Betreiber in der Lage, einen Brand frühzeitig zu detektieren.

Welche Bedeutung hat Energieeffizienz im Gebäudesektor insgesamt?

Dr. Henrik Siegle: Neben der Industrie ist der Gebäudesektor für circa 40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen verantwortlich, also hat Energieeffizienz dort natürlich eine sehr große Bedeutung. Der hohe Anteil an den Emissionen zeigt, welche enormen Potentiale zur Reduktion des Energieverbrauchs im Gebäudesektor stecken und wie groß der Beitrag ist, den wir mit unseren nachhaltigen Lösungen dazu leisten können.

Die Klimaneutralität, die wir im Konzern inzwischen erreicht haben, hat Bosch zu einem Geschäftsmodell gemacht und die Bosch Climate Solutions GmbH gegründet. Diese ist inzwischen Teil von Bosch Building Technologies. Damit bieten wir auch anderen Unternehmen an, eine Strategie zur Klimaneutralität für sie zu entwickeln und ihnen über unseren Systemintegrator die geeigneten Maßnahmen dafür an die Hand zu geben.

Da die Berichtspflichten, welchen Beitrag Unternehmen für die Umwelt leisten, zunehmen, entwickeln wir zusammen mit Partnern die Building Management Services Suite, kurz BMSS.  Das offene, domänenübergreifende Serviceangebot kombiniert und integriert die einzelnen Gebäudesysteme, Dienste und Softwarelösungen aus verschiedenen Anwendungsbereichen. So lassen sich belastbare Fakten zur Nachhaltigkeit generieren, die für das sogenannte ESG-Reporting erforderlich sind, also als Nachweis für umweltfreundliches Handeln.

Gibt es eine charakteristische Kundenklientel, die Lösungen zur Energieeffizienz besonders nachfragen?

Dr. Henrik Siegle: Das Spektrum unserer Kunden ist hier enorm breit – von der Schule bis zum Krankenhaus, von der Drogeriemarktkette bis zum Industriestandort.

Neben Nachhaltigkeit ist auch die Vernetzung der einzelnen Gewerke in der Sicherheitstechnik bereits seit langem ein großes Thema. Wie positioniert sich Bosch Building Technologies hier als Komplettanbieter?

Dr. Henrik Siegle: Bosch Building Technologies profitiert beim Thema Vernetzung enorm von einer bereichsübergreifenden Zusammenarbeit innerhalb der Bosch-Gruppe. Konnektivität und das Internet der Dinge, in der englischen Abkürzung als „IoT“ bekannt, sind Themen, die wir als Bosch sehr frühzeitig aufgegriffen haben. Daher verfügen wir hier inzwischen über langjährige Erfahrung in der Technologieentwicklung und der geschäftsmäßigen Applikation solcher Lösungen, von denen einige hervorstechen. Als Beispiel möchte ich hier unsere VdS-zertifizierte videobasierte Branderkennung „Aviotec“ nennen, mit der wir über eine intelligente Videoanalyse der dazugehörigen Sicherheitskamera in der Lage sind, einen Brand viel früher als mit klassischer Brandmeldetechnik zu detektieren. Die Intelligenz in der Kamera ermöglicht darüber hinaus noch weitere Anwendungen, zum Beispiel Einbruch- und Diebstahlschutz. Auch können wir hiermit etwa das Einhalten von vorgeschriebenen Abstandsregelungen zwischen Personen überwachen. Das ist ein innovatives Beispiel der Vernetzung von Gewerken.

Natürlich spielt Vernetzung aber auch innerhalb von Gewerken eine große Rolle in unserem Geschäft. Hier möchte ich unsere vernetzten Lösungen erwähnen, die Prozesse der technischen Gebäudeausstattung möglichst störungsfrei und effizient ablaufen zu lassen, etwa durch Condition Monitoring, also Zustandsüberwachung, oder Predictive Maintenance, die für vorausschauende Instandhaltung steht. Es geht dabei beispielsweise um Brandmelder, die über ihren Betriebszustand selbstständig informieren und auf notwendige Wartungsintervalle hinweisen.

Ein weiteres Beispiel stammt aus unserem Produktbereich Access & Intrusion, wo wir den kontaktlosen Zutritt zu Gebäuden nun auch über eine Smartphone-basierte Lösung anbieten, also über sogenannte Mobile Credentials.

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Bosch will Zutrittskontrollgeschäft ausbauen
Bosch will als Anbieter für Zutrittskontrolle im internationalen Markt deutlich bekannter werden und sein Zutrittskontrollgeschäft weiter ausbauen.

Wo sehen Sie im Moment und in Zukunft die Markttrends in der Sicherheits- und Gebäudetechnik?

Dr. Henrik Siegle: Mal unabhängig von Markttrends ist es uns sehr wichtig, immer kundenzentriert zu arbeiten. Wir wollen Lösungen, die den heutigen und zukünftigen Kundenbedürfnissen entsprechen. Mit der Methode User Experience, kurz „UX“, verstehen wir sehr gut, was ein Kunde tatsächlich möchte und benötigt. Dafür testen wir unsere Innovationen möglichst früh beim Kunden und können so lernen, ob und wie das zukünftige Produkt in der Praxis funktioniert. Damit sind wir also immer besonders nah am Kunden. Auf dieser Basis entwickeln wir nicht nur unsere Produkte und Lösungen, sondern auch unsere Services.

Neue Entwicklungen in der Gebäudetechnik sind sehr vielfältig und drehen sich aus meiner Sicht rund um die Megatrends Energieeffizienz, Nachhaltigkeit, Sicherheit und Künstliche Intelligenz. Künstliche Intelligenz spielt gerade in der Videosicherheit und in der intelligenten Gebäudesteuerung eine zentrale Rolle mit enormem Potential, das wir als Bosch immer mehr realisieren wollen. Siehe auch das gerade genannte Beispiel der videobasierten Branderkennung.

Was uns vom Markt abhebt, ist unser Geschäftsmodell, das auf zwei Säulen beruht: Einerseits auf dem Systemintegrator-Geschäft, bei dem wir von der ersten Anfrage, über die Beratung und Planung bis hin zur Implementierung und dem operativen Betrieb alles aus einer Hand anbieten – und andererseits aus dem Produktgeschäft. Durch die direkte Kundenschnittstelle im Systemintegrator erhalten wir zum einen von den Kunden selbst, aber auch von den Kolleginnen und Kollegen im Systemintegrator direktes Feedback, das in unsere Produktentwicklung einfließt.

Mit einer Smartphone-basierte Lösung ermöglicht Bosch Building Technologies unter anderem den kontaktlosen Zutritt zu Gebäuden.
Mit einer Smartphone-basierte Lösung ermöglicht Bosch Building Technologies unter anderem den kontaktlosen Zutritt zu Gebäuden.

Wie entwickelt sich Ihr Systemintegrator-Geschäft?

Dr. Henrik Siegle: Sehr positiv. Wir sind in diesem Bereich in Europa und Nordamerika gut gewachsen. Darüber hinaus haben wir unser Systemintegrator-Geschäft durch Zukäufe in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden jüngst nochmals deutlich erweitert. Auf was wir im Systemintegrator-Geschäft großen Wert legen, ist es, technisch immer state-of-the-art zu sein. Und zu dieser Kompetenzentwicklung sind auch regelmäßige Schulungen unserer Mitarbeitenden wichtig, denn die technischen Weiterentwicklungen gewinnen immer mehr an Dynamik.

Bekommen Sie vor diesem Hintergrund auch den Fachkräftemangel zu spüren?

Dr. Henrik Siegle: Das klingt jetzt vielleicht trivial, aber unser Geschäftsmodell funktioniert natürlich nur mit kompetenten und motivierten Mitarbeitenden. Wichtig ist dabei nicht nur die Frage, wie man neue Mitarbeitende gewinnt, sondern auch, was man für jene Mitarbeitende tut, die man bereits beschäftigt. Wir haben beispielsweise eine eigene Akademie mit drei Standorten in Deutschland, in der unsere Mitarbeitenden regelmäßig weitergebildet werden, sowie ein breites Portfolio an Seminaren zur beruflichen Weiterentwicklung.

Um neue Talente zu gewinnen, bieten wir duale Studiengänge, Trainee-, Master- und Doktoranden-Programme an und sind unter anderem regelmäßig auf verschiedenen Karrieremessen unterwegs. Außerdem arbeiten wir verstärkt mit Universitäten und Instituten zusammen. Dabei haben wir einiges zu bieten: Unser Purpose „Building solutions for a better life“ motiviert nicht nur mich selbst, sondern kommt auch außerhalb von Bosch sehr gut an. Bei uns kann man direkt an den wichtigen Themen der Gegenwart und Zukunft arbeiten, die Welt sicherer und nachhaltiger zu machen – und das mit modernsten Technologien wie Künstlicher Intelligenz! Dennoch bleibt der Fachkräftemangel natürlich eine große Herausforderung.

Andreas Albrecht

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