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Russischer Geheimdienst 1. August 2014

Freund oder Feind?

Ein rauschender Empfang in einem Ambiente, das seinesgleichen sucht. Dazu Krimsekt, Kaviar und kultivierte, angenehme Gesprächspartner. Mit solchen Impressionen können Erfolgsgeschichten, aber auch geheimdienstliche Verflechtungen ihren Anfang nehmen.

Die russische Botschaft in Berlin, ein Gebäudekomplex im imposanten Stil des Neoklassizismus.
Die russische Botschaft in Berlin, ein Gebäudekomplex im imposanten Stil des Neoklassizismus.

Derzeit ist die Gefahr besonders hoch, in verhängnisvolle Fänge zu geraten, und das mitten in der deutschen Hauptstadt: Sie hat mehr von einer Regierungszentrale als von einer konventionellen diplomatischen Vertretung – die Botschaft der Russischen Föderation in Berlin-Mitte. Die in den Jahren 1950 bis 1952 entstandene diplomatische Vertretung stand einst für den alles dominierenden Machtanspruch des „Großen Bruders“ Sowjetunion. Dort bestellten die Botschafter die Regierungsspitzen der DDR ein – statt umgekehrt. Doch auch heute ist der Gebäudekomplex an Berlins Prachtallee Unter den Linden keinesfalls ein Ort wie jeder andere.

Spionage inklusive

Keine diplomatische Vertretung Europas ist größer als die russische Botschaft in Berlin. Und kaum eine Auslandsrepräsentanz der Welt hat ein aufwendiger gestaltetes Interieur. Hinter wuchtigen neoklassizistischen Fassaden und vergoldeten, reich verzierten Türen entfaltet sich ein Prunk der wahrhaft imperialen Art. Doch die Botschaft ist nicht nur ein dekorativer Ort der Diplomatie und des bilateralen Dialogs. Dort, Unter den Linden 63-65, hat auch das Geschäft der Spionage seinen festen Platz. Wer den Repräsentationsbau betritt, dem wird nicht selten ein Sonderservice zuteil. Nämlich „intensivste geheimdienstliche Betreuung“, wie es ein Abwehrexperte formuliert.

Das allein ist grundsätzlich noch nichts Ungewöhnliches. Denn Diplomatie und nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung bilden seit eh und je ein geradezu symbiotisches Verhältnis. In allen Auslandsvertretungen der Welt pflegen stets auch Geheimdienstler im Windschatten der klassischen Diplomatie ihrer diskreten Profession nachzugehen. Auch in westlichen Botschaften treffen Besucher nicht selten auf Damen und Herren mit auffällig wachen Augen. Dennoch toppt die Russische Botschaft in Berlin so ziemlich alles, was in nachrichtendienstlichem Kontext weltweit bekannt ist.

Mit Zweitjob

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Was die diplomatische Repräsentanz von anderen Einrichtungen dieser Art unterscheidet, ist der Anteil von „Diplomaten mit zwei Berufen“. So nennen die Russen ihre Geheimdienstler, die lediglich zur Tarnung als Angehörige des Corps Diplomatique auftreten, in Wahrheit aber hauptamtliche Mitarbeiter des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR oder des Militärgeheimdienstes GRU sind. Während sich in westlichen Botschaften der Anteil von getarnten Geheimdienstmitarbeitern zumeist im niedrigen einstelligen Bereich bewegt, verfügt nach Einschätzungen des Verfassungsschutzes sage und schreibe ein Drittel des russischen Botschaftspersonals über nachrichtendienstliche Hintergründe.

Es besteht deshalb eine hohe Wahrscheinlichkeit, in dem russischen Repräsentativbau auf deutschem Boden Diplomaten mit Zweitberuf zu begegnen. Die Hintergründe für diesen hohen „Durchmischungsgrad“ liegen auf der Hand. Als mit dem Abzug der Sowjettruppen auch die größte KGB-Dependance außerhalb der UdSSR in Berlin-Karlshorst aufgelöst wurde, musste Ersatz her. Seitdem ist der Botschaftskomplex Unter den Linden 63-65 die wohl größte Spionagezentrale Europas.

Aktuell ist die Gefahr, in die nachrichtendienstliche Zange à la russe zu geraten, als besonders hoch einzuschätzen. Denn im Zeichen der derzeit angespannten weltpolitischen Großwetterlage, Stichwort Ost-Ukraine, hat die Russische Föderation offenbar ihre Spionageaktivitäten erheblich ausgeweitet. Nach Mitteilung des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans-Georg Maaßen, beobachtet seine Behörde „derzeit Aufklärungsbemühungen russischer Nachrichtendienste zu potentiellen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen aus der Ukraine-Krise.“ Besonderes Interesse gelte dabei „der Bewertung der russischen Ukraine-Politik durch Deutschland, die EU und die Nato, mögliche Gegenmaßnahmen sowie die deutsche und europäische Energiepolitik.“ Neben der reinen Informationsbeschaffung bemühten sich russische Nachrichtendienste auch, das Meinungsbild in Deutschland zu beeinflussen.

Ausgangspunkt von „vertraulichen Verbindungen“, so der Fachbegriff der russischen Dienste, ist in nahezu allen Fällen die russische Botschaft in Berlin. Interessierende Personen aus der Politik, aber auch aus der Wirtschaft werden zu Empfängen unter harmlos klingenden Bezeichnungen wie „deutsch-russischer Kulturdialog“ eingeladen.

Beeindruckende „Gastfreundschaft“

Dabei wird gezielt auf imposante Effekte gesetzt. Wer in den Festsälen der Russischen Botschaft zu Gast ist, fühlt sich wie ein VIP. Schon der Weg in die erste Etage lässt manche Herzen höher schlagen. Eine dreiflügelige Treppe aus schwarzem Marmor führt zu den Veranstaltungssälen. „Ein ästhetisches Highlight und ein unvergleichliches Erlebnis in einer Atmosphäre überwältigender Gastfreundschaft“, schwärmtein Besucher.

Derlei Hochgefühle wissen Gesprächspartner der besonderen Art für ihre Zwecke zu nutzen. Sie stellen sich als Angehörige des Auswärtigen Dienstes, beispielsweise als Mitarbeiter der Referate für Bildungs-, Wissenschafts- und Technikfragen, Kulturfragen, Innenpolitik und bilaterale Beziehungen oder des Handels- und Wirtschaftsbüros vor. Es sind Geheimdienstler, die sehr viel von Psychologie und „Menschenfischerei“ verstehen. Das setzt sie in die Lage, bereits nach kurzem Smalltalk zu beurteilen, ob sie eine abschöpfungswürdige Person vor sich haben. Ist das der Fall, bauen die sich kumpelhaft gebenden Russen in atemberaubendem Tempo freundschaftliche Beziehungen auf. Diese zielgerichtete Nutzung des Zwischenmenschlichen stelle die klassische Stärke der russischen Dienste dar, macht der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom gegenüber PROTECTOR deutlich.

Ist das sinnbildliche Eis erst einmal gebrochen, schlagen die russischen Gesprächspartner häufig vor, das Gespräch in geselligem Rahmen, beispielsweise in einem exklusiven Restaurant oder einer noblen Bar, fortzusetzen. Geld fließt dabei im Allgemeinen nicht, aber die russische Seite bezahlt stets die oft üppigen Rechnungen. Auffällig ist, dass sich die gewählten Lokalitäten nie in der Nähe der Botschaft befinden.

Unbemerkt abgeschöpft

Bereits nach kurzer Zeit kommen nachrichtendienstliche Praktiken ins Spiel. So werden von den Russen Jour-Fixe-Termine, „Eiserne Treffs“ genannt, festgelegt. Zum Beispiel jeden zweiten Dienstag im Monat. Ist der deutsche Gast verhindert, sagt er nicht ab, sondern kommt stattdessen zwei Tage später, selbe Uhrzeit, selber Ort. So soll jede, möglicherweise kompromittierende Kommunikation vermieden werden. Den deutschen Gesprächspartnern wird eingeschärft, sie sollen keinesfalls in der Botschaft anrufen. Nach der Devise: Die eigenen Leute müssten ja nichts davon erfahren, dass man sich mit einem Ausländer treffe.

Trotz solcher geheimdiensttypischen Vorsichtsmaßnahmen erahnen nur wenige deutsche Gesprächspartner die wahren Hintergründe der Treffs. Selbst eindringliche Bitten der Russen, das Handy während der Begegnungen auszuschalten, wecken selten Argwohn. Verfassungsschützer, die Kenntnis von über 100 solcher Treffs im Raum Berlin haben, sprechen von einer erschreckenden Naivität. „Oft fallen die Gesprächspartner aus allen Wolken, wenn sie erfahren, mit wem sie da in Wahrheit an einem Tisch gesessen haben“, so ein Abwehrmann.

Eine Unbedarftheit, die teuer zu stehen kommen kann. Während den unter Immunität stehenden „Diplomaten“ nichts Schlimmeres passieren kann, als dass sie Deutschland verlassen müssen, trifft allzu sorglos plaudernde Gesprächspartner die volle Härte des Gesetzes. Unwissenheit oder Naivität schützt auch in diesem Fall vor Strafe nicht.

Klaus Henning Glitza

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