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Hightech im Bergmassiv

Der neue Gotthard-Basistunnel ist 57 Kilometer lang und wird im Dezember 2016 endgültig in Betrieb genommen. Bis dahin wird ein Probebetrieb unter realen Bedingungen gefahren. Mehrfach abgestufte und aufeinander abgestimmte Systeme sorgen für größtmögliche Sicherheit. Doch ein Restrisiko bleibt

Die Tunnelleittechnik übernimmt die Überwachung der korrekten Abwicklung der Notfallprozeduren mittels Zeitkontrolle, die die einzelnen Schritte verfolgt.
Die Tunnelleittechnik übernimmt die Überwachung der korrekten Abwicklung der Notfallprozeduren mittels Zeitkontrolle, die die einzelnen Schritte verfolgt.

Der stetig anwachsende Güter- und Personenverkehr stellt immer neue Herausforderungen an die Transport- infrastrukturen. Tunnel spielen bei der Verkehrsführung gerade in Ländern wie Österreich und der Schweiz eine besondere Rolle, da eine oberirdische Beförderung häufig technisch nicht machbar oder unwirtschaftlich ist. Doch je aufwendiger die Tunnel gerade in Bezug auf ihre Länge sind, desto größere Anstrengungen müssen für die Gewährleistung der Sicherheit von Menschen und Sachwerten unternommen werden. Eisenbahntunnel gelten allgemein als vergleichbares sicheres Bauwerk. Einer eindeutigen Streckenführung mit wenigen bis gar keinen Weichen sowie nur geringen äußeren Einflüssen stehen die Risiken von Bränden und den notwendigen Fluchtmöglichkeiten gegenüber.

In der jüngeren Vergangenheit haben verschiedene Brandereignisse in Eisenbahntunneln die Problematik einer raschen und effizienten Brandbekämpfung aufgezeigt. Immer wieder ist es zu Bränden auf Transport- und Güterzügen gekommen, die hohe Schäden verursachten und den Fahrbetrieb mehrwöchig oder sogar für Monate unterbrachen. So kam es 1996 und 2008 im Eurotunnel zu schweren Bränden auf Lkw-Transportzügen während der 35 Minuten dauernden Durchfahrt. Hauptproblem für die Feuerwehren war und ist dabei die effektive Brandbekämpfung bei hohen Temperaturen am Brandherd, die bis zu 1.300 Grad Celsius betragen und Schäden an den Tunnelgewerken verursachen können. Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass trotz der widrigen Bedingungen im Brandfall eine Personenrettung möglich ist.

Evakuierung in 2.300 Meter Tiefe

Das Beispiel des neuen Gotthard-Basistunnels zeigt, wie aufwendig moderne Sicherheitskonzepte sein müssen. Der Tunnel mit einer Gesamtlänge von 57 Kilometern wird im Dezember 2016 vollumfänglich in Betrieb genommen, bis dahin wird ein Probebetrieb unter realen Bedingungen gefahren. Die beiden Tunnelröhren werden durch zwei sogenannte Multifunktionsstellen in Faido und Sedrun in drei etwa gleich lange Abschnitte unterteilt. Hier befinden sich jeweils eine Haltestelle pro Fahrrichtung und je zwei Spurwechsel. Zwischen beiden Tunnelröhren befinden sich alle 325 Meter sogenannte Querschläge (Stollen), in denen Zugreisende auf Hilfe warten können, etwa in Form eines Rettungszugs, der die andere Röhre befährt.

Die Stollen sind belüftet, die Türen müssen während 90 Minuten eine Brandtemperatur von 1.000 Grad aushalten. Grundlegende Überlegung ist, dass ein Zug im Ereignisfall entweder den Tunnel ganz verlässt oder eine der Nothaltestellen aus eigener Kraft erreicht. Personenwagen müssen gemäß den Vorschriften noch 20 Minuten lang im Vollbrand fahren können. Überhaupt stellen die Züge die größte Brandgefahr dar, weswegen diese besonders mittels Zugkontrolleinrichtungen (ZKE) „beobachtet“ werden. Die Anlagen sind im Gleisbereich eingebaut und verschiedene Detektoren übermitteln Messwerte an ein Auswertesystem, das unter anderem heiß laufende Achslager, Brände im Entstehungsstadium und Gefahrgutaustritte sowie Lastverschiebungen erkennt. Die Züge müssen so aufgerüstet sein, dass Notlaufeigenschaften das Erreichen eine der Nothaltestellen sicherstellen.

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Alle den Tunnel nutzenden Züge müssen über das Zugsicherungssystems ETCS Level 2 verfügen. Die zwei Nothaltestellen verfügen über getrennte Lüftungszentralen in Sedrun und Faido und 24 Strahl-Ventilatoren für Zu- und Abluft im Ereignisfall. Eine Evakuierung findet über die je 600 Meter langen Plattformen (Bankette) statt, die mit Notbeleuchtung, Beschilderungen und Handläufen ausgestattet sind. Hier ist eine Evakuierung von bis zu eintausend Personen in kurzer Zeit möglich. Eine der wichtigsten Voraussetzungen hierfür ist das Fernhalten giftiger Gase im Brandfall. Im Normalbetrieb wird 150 bis 200 Kubikmeter Frischluft in den Gotthardtunnel befördert. Bei einem Brand kann dies auf bis zu 450 Kubikmeter gesteigert werden. Damit soll freie Sicht bis auf zwei Meter Höhe garantiert werden. Ein für den Notfall bereitstehender Evakuierungszug kann innerhalb kurzer Zeit aktiviert werden. Ziel ist es, jede Ereignisstelle im Basistunnel innerhalb von 45 Minuten zu erreichen und die Rettungsmaßnahmen einzuleiten. In 90 Minuten sollten damit alle Menschen aus dem Tunnel evakuiert sein.

Alle Daten erfasst

Damit Notfallpläne schnell umgesetzt werden können, ist zum einen eine zuverlässige Detektion von Ereignissen Voraussetzung, zum anderen eine rasche Umsetzung der Maßnahmen. Somit muss das Gesamtsystem, das alle Gewerke und Anlagen steuert, kontrolliert und überwacht, permanent verfügbar sein. Der Gotthard-Basistunnel verfügt am Nord- und Südende über je ein Tunnel-Control-Center (TCC). Von hier aus lassen sich über die von der Siemens Mobility eingebauten Tunnelleittechnik alle eingebauten Systeme und Anlagen überwachen.

Im Ereignisfall unterstützt das von Hexagon voll integrierte Einsatzleitsystem die Abläufe bei einem Störfall. In beiden Zentren ist die Technik redundant ausgeführt, sodass letztlich eine vierfache Absicherung eine fortwährende Betriebsbereitschaft garantiert. Die Bahnleittechnik ist dabei von der Leittechnik für die nicht eisenbahnrelevanten Systeme, wie Beleuchtung oder Lifte, getrennt. Neben dem Tunnelleitsystem sind auch die weiteren Systeme wie Datennetz, Servernetz oder elektrische Versorgung redundant aufgebaut. Ebenso ist die gesamte Prozessverarbeitungsinfrastruktur zweifach ausgeführt, also alle Leitungen, Netzwerke und ähnliches. Zu den ständig überwachten Komponenten gehören die Belüftung-, Beleuchtungs-, Tor- oder Entwässerungssteuerungen und alle Arten an Detektoren. Das System erfasst und visualisiert dazu über 70.000 Datenpunkte.

Kommt es zu einem Ereignis, einer Störung im Bahnbetrieb, wird diese von der Bahnleittechnik erkannt und als „Tunnelreflex“ an alle relevanten Anlagen kommuniziert. Je nach Ereignis laufen dann standardisierte Szenarien zur Ereignisbewältigung ab. Die Tunnelleittechnik übernimmt die Überwachung der korrekten Abwicklung der Notfallprozeduren mittels Zeitkontrolle, die die einzelnen Schritte verfolgt. Werden diese nicht automatisch und korrekt ausgeführt, informiert das System den Bediener über die Fehler.

„Für eine Vielzahl an Ereignissen sind in den Leitstellen, respektive im Einsatzleitsystem von Hexagon, entsprechende Lagepläne, Checklisten, Informations- und Entscheidungs- schritte zur Unterstützung des Einsatzleiters hinterlegt“, erläutert Peter Müller, Projektleiter Tunnelleittechnik Gotthard-Basistunnel und Ceneri-Basistunnel bei der Siemens Schweiz AG. Alle Systeme sind zudem für die Operator zweisprachig einstellbar, deutsch und italienisch. Die Sicherheit gilt aber auch den Tunnelkontrollzentren selbst. Sie sind nur per elektronischer Zutrittskontrolle zugängig. Ebenso wird großen Wert auf die cybertechnische Sicherheit der Systeme gelegt. „Das gesamte Netzwerk ist hinter dem SBB-Security-Netz angebunden, ein unmittelbarer Zugriff von außen besteht demnach nicht“, so Müller. Das Netzwerk der SBB ist selbst mehrfach gesichert.

Sicherheit hat Priorität

Im Evakuierungsfall gilt die besondere Aufmerksamkeit des Kontrollzentrums den Nothaltestellen im Tunnel. Drei unterschiedliche Detektionsarten, Wärmebildkameras, Rauchmelder und Fibrolaser von Siemens überwachen diese Bereiche. Letzere sind an der Wand und am Boden installiert. Das linienförmige Wärmemeldesystem erfasst sowohl Wärmestrahlung wie auch Wärmeströmung (Konvektion) und erkennt diese innerhalb von einer Sekunde auf 0,5 Metern genau. Die Wärmebildkameras und Rauchmelder prüfen dazu ständig Temperatur und Luft auf Rauchpartikel, sodass Brände bereits im Entstehungsstadium früh erkannt werden. Insgesamt überwachen an die 200 Kameras die Nothaltestellen. Zum Schutz vor den rauen Bedingungen im Tunnel sind die Kameras in Käfige verpackt.

Nach einer Branddetektion werden gezielt die Entrauchungsklappen angesteuert sowie die Ventilation und Beleuchtung der vom Zug angesteuerten Nothaltestelle eingeschaltet. Neben der umfangreichen Technik zur Ereignisfrüherkennung wird im Basistunnel auch viel Wert auf eine adäquate Ausbildung der Mitarbeiter gelegt, damit diese im Ernstfall effizient helfen können. Die Schulungen für Tausende Mitarbeiter der Schweizerischen Bahn (SBB) und Externer sind nicht nur theoretischer Natur, sondern umfassen auch Tunnel- und Fluchtwegbesichtigung vor Ort. Abgehaltene Großübungen einschließlich aller Rettungskräfte zur Überprüfung des Gelernten im Ereignisfall dienen der Optimierung von Abläufen und der Aufdeckung möglicher Probleme in der Praxis.

Unterstützt wurde das Training mit einer Echtzeit-Simulation des Gotthard-Basistunnels, erlebbar aus 200 verschiedenen Rollen. Evakuierungen oder Unfälle im Tunnel konnten sich damit durch Gruppen- und Einzelsimulationen trainieren lassen. Die verschiedenen Fälle der Vergangenheit haben gezeigt, dass Schadensereignisse in Eisenbahntunnel nicht gänzlich auszuschließen sind. Umso wichtiger sind die Lehren, die aus solchen Ereignissen gezogen werden. Im Basistunnel ist gerade der Problematik der Rettung vieler Menschen aus einer extrem langen Tunnelröhre durch die verschiedenen abgestuften Systeme und speziell den Nothaltestellen Rechnung getragen worden.

Hendrick Lehmann

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