Digital Twin schafft neue Wege im Brand- und Gefahrenfall
Softwaregestützte Simulation sicherheitstechnischer Systeme bietet neue Lösungen. So hilft ein Digital Twin bei der Alarmierung und Evakuierung in Gebäuden.
Digitale Technologien und Konzepte spielen für die softwaregestützte Simulation des Gebäudes in Form eines „Digital Twin“, eines digitalen Zwillings, eine wichtige Rolle. Damit können bereits in der Planungsphase die bauliche Voraussetzung für eine reibungslose Entfluchtung im späteren Ernstfall definiert werden. Beispielsweise wird beim „Building Information Modeling“ – kurz BIM – das gesamte Gebäude mit allen Gewerken parallel und abgestimmt geplant und im virtuellen Digitalmodell simuliert, getestet und bei Bedarf korrigiert. In Bezug auf die Planung und den Betrieb sicherheitstechnischer Systeme birgt BIM gerade auch im Bereich der passiven Sicherheit große Potenziale. Die Steuerung von Personenströmen im Betriebsalltag lässt sich damit ebenso zuverlässig und praxisnah testen wie etwa Evakuierungssysteme oder Brandschutzszenarien. Mit dem digitalen Zwilling lässt sich zum Beispiel die korrekte Position von Brandmeldern einfacher ermitteln. Das Brandschutzsystem der Zukunft wird damit noch weniger anfällig für zunächst unbemerkte Planungsfehler sein.
Die drei unterschiedliche Typen eines Digital Twins
Um ein breites Anwendungsspektrum abdecken zu können, unterscheidet man bei dem digitalen Zwilling eines Gebäudes zwischen drei unterschiedlichen Typen:
- Product Twin: bildet jede verbaute Komponente als BIM-konformen Datensatz ab und bietet damit alle relevanten Informationen zu Bauweise, Material, Auslegung und Funktion des jeweiligen Geräts.
- Construction Twin: bildet das Gebäude mit allen seinen baulichen Details ab. Er wird für die Vorplanung benötigt und erlaubt unter anderem umfangreiche Simulationen für den späteren Gebäudebetrieb.
- Performance Twin: in diesen digitalen Zwilling werden Live-Daten aus dem Gebäude übertragen und in Echtzeit als komplettes Online-Abbild des Objekts im laufenden Betrieb bereitgestellt. Der Performance Twin ist damit die Datendrehscheibe. In diese können unterschiedlichste Systeme integriert und die Gebäudeperformance und -effizienz gesteigert werden. Mit Hilfe der gesammelten Daten werden sowohl Serviceleistungen, beispielsweise aus der Wartung, digitalisiert und effizienter gestaltet, als auch wertvolle Zeit und Ressourcen gespart.
Simulation des Ernstfalls in Gebäuden
Ein Beispiel, wie der Digital Twin die Sicherheit von Mensch und Gebäude erhöht, ist die Simulation der Gebäudeentfluchtung und zwar sowohl in der Planungsphase als auch im Praxisbetrieb. Die Voraussetzung dafür bilden Tools wie die aktuelle Evakuierungssimulationssoftware von Siemens. Sie erlaubt die direkte Simulation auf Basis des vom Planer bereitgestellten digitalen Construction Twin. Damit ist die Analyse von Evakuierungszeiten und kritischen Engpässen unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien möglich.
Basierend auf dem 3D-Modell des Construction Twin fügt die Software Einzelpersonen und Gruppen so in das virtuelle Gebäude ein, wie sie sich typischerweise im Gebäude aufhalten und bewegen. Dann wird der Evakuierungsablauf simuliert: Die Software errechnet und visualisiert die möglichen Fluchtwege sowie das zu erwartende Menschenaufkommen. Dabei wird auch berücksichtigt, dass sich einzelne Personen möglicherweise entgegen der Fluchtrichtung der Menschenmenge bewegen, beispielsweise Ersthelfer, die zum Brandherd vordringen müssen.
Bereits während der Planung eines Gebäudes lassen sich somit die Punkte ermitteln, die gefährliche Situationen begünstigen. Diese Engpässe können dann durch geeignete bauliche Maßnahmen präventiv entschärft werden. Mit den Erkenntnissen aus der Simulation lassen sich bestehende Sicherheitssysteme optimieren, indem Engpässe oder Gefahrensituationen erkannt und schon in der Planung behoben werden können. Und auch bei geplanten Umbauten oder bei der Umnutzung von Gebäuden kann die Simulationssoftware sinnvoll zum Einsatz kommen.
Entfluchtung in Echtzeit planbar
Der Performance Twin macht die Entfluchtung in Echtzeit transparent und damit planbar. Die Evakuierungssoftware greift dafür auf Gebäudemanagement- und Intelligent-Response-Systeme zu, die dynamisch auf Gefahrensituationen reagieren und die Menschen aus der Gefahrenzone leiten können.
Auf Basis der gebündelten Echtzeit-Informationen, berechnet die Software dynamisch die besten Entfluchtungswege und überträgt diese in das Gebäudemanagement. So berücksichtigt das Programm automatisch möglich alternative Wege, wenn ein Fluchtweg plötzlich blockiert ist. Die Information der Gebäudenutzer im Gefahrenbereich und die Steuerung der Personenströme erfolgt aus dem Gebäudemanagementsystem durch integrierte Fluchtweglenkungssysteme, gestützt durch situationsspezifisch definierte Sprachdurchsagen und dynamische Anzeigen.
Weitere Möglichkeiten zur Alarmierung in Gefahrensituationen
Soweit vorhanden, können auch Indoor-Positioning-Systeme zur zusätzlichen Alarmierung und Lenkung genutzt werden. Besonders nützlich ist dies beispielsweise in modernen Bürogebäuden, die als Business Centers oder Coworking Spaces kurzfristig an Nutzer vermietet werden, die dort dann keinerlei Ortskenntnis haben. Ist dort ein Indoor-Positioning-System zur Personenidentifikation verbaut, kann der Fluchtweg zusätzlich auf dem Smartphone des Nutzers angezeigt werden (Indoor-Navigation).
Und auch bei den Alarmierungsmöglichkeiten erlauben neue Technologien und datenbasierte Erkenntnisse immer effizientere Lösungen. So gibt es die Möglichkeit, die Gebäudenutzer über sogenannte Mass-Notification-Systeme, also beispielsweise per SMS, über Social-Media-Kanäle oder durch Warnungen auf den Computerbildschirmen an den Arbeitsplätzen zu informieren. Diese Anwendung ist zum Beispiel sinnvoll für Hochschulen, Industrieanlagen und andere große Liegenschaften, in denen sich Personen über einen längeren Zeitraum aufhalten. Die Voraussetzung ist allerdings, dass sich jeder Gebäudenutzer im Zuge des Sicherheitskonzeptes an einem entsprechenden System registriert oder anmeldet.
Zunehmende Bedeutung
Digitalisierung in der Brandschutztechnik hat viele Facetten. Der digitale Zwilling ermöglicht heute neue Wege bei Alarmierung und Evakuierung. Die Potenziale sind in diesem Zusammenhang aber noch längst nicht ausgeschöpft. So wird die Bedeutung von BIM in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen.
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