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Competitive Intelligence 9. September 2014

Informationsgewinnung light

Kenner der Materie wissen es: Neben staatlich gelenkter Wirtschaftsspionage und wettbewerbsgesteuerter Konkurrenzausspähung gibt es Competitive Intelligence (CI), zu Deutsch: strategische Wettbewerbsbeobachtung. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Eine freundliche Art, eine nette Stimme: CI-Spezialisten wissen, wie man sein Gegenüber um den Finger wickelt.
Eine freundliche Art, eine nette Stimme: CI-Spezialisten wissen, wie man sein Gegenüber um den Finger wickelt.

Ein Büro irgendwo in Deutschland, das Telefon klingelt. „Guten Tag, hier ist Meier von der Expertix-Personalberatung“, wird Mark Schulze, nennen wir ihn so, höflich angesprochen. Schulze, ein Mitarbeiter der mittleren Führungsebene, fühlt sich geschmeichelt, von einem Headdhunter angerufen zu werden. Auf so ein Telefonat hat er gewartet.

Der Mann am anderen Ende der Leitung: Er kann tatsächlich ein Headhunter sein, der sich für Mark Schulze interessiert, oder aber ein Jemand, der lediglich in diese Rolle geschlüpft ist, um Informationen zu gewinnen. Informationen, die er auf normalem Wege nicht bekommen hätte.

Interna abgreifen

Es gibt viele Alternativen zum realen Headhunter. Der Anrufer könnte in Wahrheit ein Wirtschaftsspion sein oder ein „Social Engineer“, dem es um das trickreiche Abgreifen interner Daten geht. Es könnte sich auch um einen Späher der Konkurrenz handeln oder um einen Mann, der CI betreibt. Doch mit welcher Absicht auch immer sich der Mann am Telefon Mark Schulze nähert, das Unternehmen ist immer der Verlierer. Denn der Anrufer will entweder eine Arbeitskraft mitsamt ihrem betrieblichen Wissen abwerben oder es geht ihm nur um Informationen und Know-how, die, sofern sie in die falschen Hände geraten, dem Unternehmen nachhaltig schaden können.

Jedes Unternehmen, das auf sich hält, praktiziert CI, diese Methodik der kreativen Informationsgewinnung. Bei ausländischen Unternehmen, namentlich US-amerikanischen, britischen, französischen und asiatischen, kann man getrost davon ausgehen, dass CI alles andere als ein Begriff ist, der erst im Wörterbuch nachgeschlagen werden müsste. Kritiker bezeichnen CI als Konkurrenzausspähung oder gar Wirtschaftsspionage light. Doch das trifft den Kern nicht ganz. Es ist zwar richtig, dass wie in den USA viele wegrationalisierte „Old Boys“ der Nachrichtendienste in der CI ein neues Betätigungsfeld fanden. Doch CI bedient sich im Regelfall legaler Methoden, „um den Wettbewerb zu beobachten und seine Absichten zu erkennen, um daraus wirtschaftliche Vorteile für das eigene Unternehmen zu gewinnen“, wie der Experte Bernd Kondruß in seinem CI-Handbuch schreibt.

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Wobei, wie immer, Ausnahmen die Regel bestätigen und deutlich ins Schwarze gehende Grauzonen stets verführerische Bereiche sind, vor denen nicht jeder zurückschreckt.

Operative Informationsbeschaffung

Für die CI-betreibenden Firmen sind überwiegend allgemeine Informationen von geringerem Interesse. Die Auswertung von Pressemeldungen, Prospekten und Internetseiten der Wettbewerber, die Beobachtung von auffälligen Veränderungen in Management und Personalwesen, sind zwar ein guter Anfang für die CI, aber längst nicht das High End.

Auch Handelsregisterauszüge oder Firmeninformationen von Auskunfteien (die nicht selten auf subjektiv gefärbte Eigenangaben der jeweiligen Unternehmen zurückgreifen) sind noch nicht der ganz große Wurf. Die hohe Schule der CI liegt stets in der operativen Informationsbeschaffung.

Der anfänglich genannte Headhunter stellt dazu eine der Möglichkeiten dar. Allein aus der Bereitschaft zu einem Gespräch wird der erfahrene CI-Praktiker darauf schließen können, ob das Beschäftigungsunternehmen von seiner Zielperson als guter Arbeitgeber gesehen wird oder nicht. Bei Headhuntern ist es auch üblich, dass nach Details der aktuellen Tätigkeit gefragt wird. Je nachdem, wie stark das Interesse der kontaktierten Person an einem neuen Arbeitsplatz ist, werden die Informationen üppig oder weniger üppig fließen.

Ähnliche Möglichkeiten stehen zur Verfügung, wenn sich ein Mitarbeiter der Konkurrenz auf die Stellenanzeige eines Wettbewerbsunternehmens meldet. Böse Zungen behaupten, dass einige trickreiche Unternehmen bewusst solche Anzeigen schalten, die ganz zufällig ein Profil enthalten, durch das sich mit großer Sicherheit ein hochkarätiger Spezialist des konkurrierenden Unternehmens angesprochen fühlen dürfte. Ist der Kandidat erst einmal auf dem Bewerberstuhl, steht der geschickten Gesprächsabschöpfung, unter CI-Experten Elicitation genannt, nichts mehr im Wege. Die ausgeschriebene Position ist durchaus real, wird hinterher aber intern besetzt, um die Spuren und die wirklichen Absichten zu verwischen.

Perfekte Tarnung

Genauso geht es auch umgekehrt. Ein interessanter Bewerber meldet sich auf eine Stellenanzeige des Wettbewerbs. Sein Profil entspricht hundertprozentig den geforderten Ausbildungs- und Tätigkeitsmerkmalen. Beim Vorstellungsgespräch versucht der angebliche Bewerber möglichst viel über das Unternehmen herauszukommen. Solche Fragen sind normal, denn wohl jeder Wechselbereite möchte wissen, für welches Unternehmen er künftig tätig wird. Der Fake-Bewerber nutzt dabei das große Interesse des potenziellen neuen Arbeitgebers, die scheinbar ideale neue Kraft für das Unternehmen zu verpflichten.

Fragestellungen in solchen Gesprächen könnten sein: Woran arbeitet Ihr Unternehmen gerade? Werden neue Produkte entwickelt beziehungsweise eingeführt - und wenn ja, zu welchem Preis? Gibt es weitere interessante Mitarbeiter, die eventuell wechseln möchten? Geht in der Firma eigentlich alles mit rechten Dingen zu?

Eine wichtige Informationsquelle für CI-Spezialisten sind auch die sozialen Netzwerke. Es ist schier unglaublich, was in einer Zeit, in der der Datenschutz wie eine heilige Kuh gehütet wird, in Facebook und auf anderen Seiten freiwillig an personenbezogenen Interna offenbart wird. Es gehört zu den großen Widersprüchen unserer Zeit, dass Menschen, die bereits ihren zweiten Vornamen als schützenswertes Faktum ansehen, sich mit kompletten Lebensläufen im Internet präsentieren und sich mit zum Teil höchst privaten Fotos geradezu exhibitionieren. Wen wundert es da, dass Facebook & Co. der CI-Experten Lieblinge sind.

Ideale Quelle

Denn was dort per Mausklick an Informationen zu gewinnen ist, war früher nur mit aufwendigen Recherchen eruierbar. Wer wissen will, welche Personen in einem Unternehmen in interessanten Positionen tätig sind, kommt dank Internet in Windeseile ans Ziel. Auf Basis der veröffentlichten Lebensläufe kann auch festgestellt werden, welche Mitarbeiter vor nicht allzu langer Zeit das interessierende Unternehmen verlassen haben. Solche Personen werden von CI-Experten mit Vorliebe im Gespräch abgeschöpft. Denn es ist weder zu erwarten, dass es unerwünschte Informationsrückflüsse ins das Zielunternehmen gibt, noch dass noch eine Bindung an den früheren Arbeitgeber besteht.

Das Optimum ist dabei ein ehemaliger Beschäftigter, der sein „altes“ Unternehmen mit Groll im Bauch verlassen hat. Bei solchen Menschen ist davon auszugehen, dass sie keinerlei Loyalität empfinden und eher geneigt sind, dem ungeliebten ehemaligen Arbeitgeber durch Preisgabe von Interna gehörig eins auszuwischen.

Instrumentalisiert werden kann natürlich auch die offene Meinungsäußerung in den sozialen Netzwerken. CI-Experten können dadurch ermessen, wes Geistes Kind ihre Zielperson ist und dies gezielt nutzen, um sich in das Vertrauen ihres Gegenübers einzuschleichen. Die gleichen Möglichkeiten haben natürlich auch alle, die auf der dunklen Seite der Informationsbeschaffung stehen: Wirtschaftsspione, Konkurrenzspäher und Kriminelle.

Fest steht, CI basiert zwar überwiegend auf legalen Methoden, kann aber trotzdem schädlich für Unternehmen sein, die davon betroffen sind. CI-Praktiker sind bestrebt, strategische Wettbewerbsvorteile für ihr Unternehmen zu schaffen - und die werden in aller Regel durch nachteilige Effekte bei der Konkurrenz erreicht.

Klaus Henning Glitza

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