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Strategien vernetzen 9. November 2011

Kooperation von Wirtschaft und Staat

Schutz kritischer Infrastrukturen, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz sind verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Diesen Themen widmet sich der Fachverband Sicherheit im ZVEI, dessen Vorsitzender Gert van Iperen über das bisher Erreichte sowie noch bestehende Aufgabenfelder berichtet.

Die Energieversorgung gehört zu den kritischen Infrastrukturen, deren Schutz der Staat gewährleisten muss.
Die Energieversorgung gehört zu den kritischen Infrastrukturen, deren Schutz der Staat gewährleisten muss.

W&S: Wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion um das Thema Sicherheit in Deutschland?

Van Iperen: Die Sicherheitsdiskussion hat vielfältige Facetten, angefangen von den Spätfolgen der Anschläge des 11. September, der Entwicklung des Terrorismus seitdem und dem Schutz der Bevölkerung davor. Bis hin zu den Themen Cybersecurity und Piraterie am Horn von Afrika. Gerade letztere bedroht auch unsere Volkswirtschaft, vom Leid der unmittelbar Betroffenen einmal ganz abgesehen. Diese Piraterie hat Züge organisierter internationaler Kriminalität und verursacht immense gesamtwirtschaftliche Kosten.

Wir stellen aber auch fest, dass die Sensibilität für sicherheitsrelevante Fragen deutlich größer geworden ist; es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass effiziente und vernetzte Volkswirtschaften ein besonderes Schutzbedürfnis gegen Eingriffe haben.

W&S: Welche Bereiche sehen Sie als besonders „schutzbedürftig“ an?

Van Iperen: Oberste Priorität hat natürlich alles, was unmittelbar mit dem Schutz von Menschenleben zu tun hat. Von daher ist eines unserer zentralen Anliegen die Forderung nach einer verbindlichen Vorschrift für Rauchmelder in jedem Haus und jeder Wohnung. Das haben bislang erst neun von 16 Bundesländern in ihren Landesbauordnungen.

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Beim Thema Security, also der inneren öffentlichen Sicherheit, geht es um die Wechselwirkungen zwischen vernetzten Systemen. Die kritischen Infrastrukturen Energie, Transport und Verkehr rücken durch die IT-Vernetzung immer enger zusammen. Auf der einen Seite kann man dadurch Effizienzreserven heben. Auf der anderen Seite braucht man ein stimmiges Sicherheitskonzept, das die Auswirkungen berücksichtigt, die von einem System ins andere „überschwappen“ können. Hier muss man gut überlegen, welche internen Widerstandsfähigkeiten man benötigt und wie man Notlaufeigenschaften von Systemen handhabt. Und schließlich muss man auch berücksichtigen, welche Systeme bei einem Ausfall Schwarzstartfähigkeiten haben, also aus eigener Kraft wieder auf die Beine kommen, und wer im Gegensatz dazu auf die Hilfe Dritter angewiesen ist.

W&S: Sie erwähnen die kritischen Infrastrukturen. Wie sieht es mit deren Absicherung aus?

Van Iperen: Die grundsätzlichen Parameter sind in der „Kritis“-Strategie, der „Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen“ zusammengefasst. Infrastrukturen im Allgemeinen und kritische Infrastrukturen im Besonderen sind die unverzichtbaren Lebensadern moderner, leistungsfähiger Gesellschaften. Eine der Kernaufgaben des Staats ist daher die Gewährleistung des Schutzes dieser Infrastrukturen. Aber auch die unternehmerische Sicherheitsvorsorge ist unerlässlich. Wirtschaft und Staat kooperieren vielfältig und partnerschaftlich bei der Erarbeitung von Analysen und Schutzkonzeptionen.

W&S: Gibt es nicht noch Bereiche, in denen Sie Handlungsbedarf sehen?

Van Iperen: Stimmt, besonders dort, wo es um Normung und Standardisierung bei Lösungen und Systemen der inneren öffentlichen Sicherheit geht. Sie sind notwendige technische Voraussetzungen zur Vernetzung der zahlreichen Behörden. Ich denke hier an Polizei, Rotes Kreuz und weitere Institutionen wie Stadtwerke oder Verkehrsgesellschaften, die im konkreten Krisenfall miteinander kommunizieren und kooperieren müssen. Stand der Technik sind zum Beispiel vollintegrierte elektronische Systeme, die allen Beteiligten ein interaktives Lagebild zur Verfügung stellen, mit dessen Hilfe man in komplexen Situationen gemeinsam agieren und reagieren kann. Die Realität sieht allerdings vielerorts noch ganz anders aus.

W&S: Wie sehen diese neuen neuen Marktperspektiven aus?

Van Iperen: Auf europäischer Ebene wurde mit Esrif (European Security Research and Innovation Forum) ein Prozess initiiert, der die Notwendigkeit der Entwicklung eines "European Security Labels" gezeigt hat. Ferner verfolgen wir in Europa die Strategie des "One-Stop-Testing, One-Stop-Certification". Damit wollen wir einen möglichst einheitlichen Markt für Safety- und Security-Produkte ohne national abweichende Prüf- und Zertifizierungsverfahren bekommen. Außerdem sollen die Markteintrittsbarrieren und -zugangskosten deutlich gesenkt werden.

W&S: Kondensiert das denn schon in neuen Produkten?

Van Iperen: Ja, in der Tat, denn ganz aktuell entwickelt ein Arbeitskreis im ZVEI ein Konzept, um Rauchwarnmelder mit einer zusätzlichen Funktionalität zu versehen, damit sie im Katastrophenfall als Alarmsignalgeber eingesetzt werden können. Gegenwärtig werden die technischen Fragen wie die Form der Signalübertragung und weitere Aspekte geklärt. Denn vielerorts sind die Sirenen abgeschafft und ein flächendeckendes Signal an die Bevölkerung kaum mehr möglich. Das ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Brüssel als Thema mit Handlungsbedarf erkannt worden.

W&S: Gehen wir weg von der „harten“ Technik. Welche Rolle spielt in Sicherheitskonzepten die IT-Sicherheit vor dem Hintergrund immer massiverer Cyber-Attacken?

Van Iperen: Allerspätestens seit „Stuxnet“ ist das Bewusstsein deutlich angestiegen. Deutschland hat seit Februar 2011 eine eigene Cybersicherheitsstrategie und seit April 2011 ein operatives nationales Cyberabwehrzentrum. Bereits seit Ende der 1990er Jahre werden Schritte zum Schutz kritischer Informationsinfrastrukturen diskutiert und implementiert. Die jetzige Entwicklung ist daher die logische Fortschreibung und Weiterentwicklung dieser Schritte.

Auf Seiten der Wirtschaft ist eine umfangreiche Betroffenheitsanalyse im Hinblick auf die Gefährdung durch Cyberangriffe angelaufen. Wir erwarten deren Ergebnisse in den nächsten Monaten. Für die Industrie hat dabei unter anderem der Schutz von Industriesteuerungen in der Automation oder von eingebetteten Systemen oberste Priorität.

W&S: Wie passt jetzt der ZVEI in dieses Gemengelage von Wirtschaft und Staat?

Van Iperen: Wir sehen uns als Mittler. Der Fachverband Sicherheit im ZVEI bündelt die vielseitigen Kompetenzen der Branche in den drei Leitmärkten Safety, Security und Defence. Safetey stellt den Schutz von Menschenleben, die technische Sicherheit von Anlagen und Gebäuden dar. Security steht für innere öffentliche Sicherheit, das heißt Schutz von Infrastrukturen wie Flughäfen und Energieversorgung, Informationstechnik und Kommunikation sowie Bevölkerungs- und Grenzschutz. Defence bezieht sich auf die äußere Sicherheit.

Die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Produkt- und Systemkompetenz ermöglicht eine umfassende Herangehensweise an das Thema Sicherheit. Nur mit einer Strategie der vernetzten Sicherheit können wir den Schutz der Gesellschaft und ihrer materiellen wie immateriellen Werte in einer vernetzten globalisierten Welt verbessern. Denn Sicherheit ist ein maßgeblicher wirtschaftlicher wie politischer Standortfaktor.

Interview: Annabelle Schott-Lung

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